„Wir gelten zwar heute im armen Deutschland nicht mehr viel“, sagte Rodenhausen einfach, „aber vielleicht wird es mir durch meine Beziehungen, die ich grossenteils allerdings meinem Forscherberuf zu verdanken habe, und meiner Kenntnis Ihres Vaterlandes, doch leichter als manchem anderen sein, auch Ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten zu ordnen.
― Jetzt führe ich Sie aber wirklich in den Schlafwagen, ― es ist nach Mitternacht ― schlafen Sie bis in den Tag hinein. Wenn Sie aufwachen, ist ohne Ihr Zutun Ihr Schicksal schon ein Stückchen weitergerollt, ich schreibe jetzt noch an meine Frau, dass ich eine kleine Tochter mit nach Hause bringe. Darf ich es tun?“
Astrid war zu bewegt, um sprechen zu können. Sie gab nur Rodenhausen fest beide Hände wie zu einem Bündnis.
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Das Schloss lag überwältigend schön. Wie herausgewachsen aud dem waldigen Berg, den es krönte, beherrschte es das Land, beherrschte die kleine, bunte Stadt, deren malerische Häuser sich an seinen Fuss lehnten, als suchten sie Schutz. Auf den beschneiten Berggipfeln lag Vorfrühlingssonne. Sie spiegelte sich in den langen Fensterscheiben des Schlosses.
Ueber eine feine Handarbeit gebeut, fass die Fürstin in dem hohen Armstuhl ihres kleinen Boudoirs. Der erhöhte Erker hier war ihr Lieblingsplatz. Man konnte über die breite Schlossterrasse hinweg, die dem Publikum freigegeben war, weit ins Land hinein sehen, in das Land, über das man einst glücklich geherrscht hatte, dessen Menschen einem zugetan waren.
Gut, dass es Frühling wurde! Die grauen Herbst- und Wintertage hatten die Gedanken noch schwerer und lastender gemacht. Jetzt schien alles licht werden zu wollen. Oder war es nur der Wunsch in ihr, dass es lichter werden möge? ― Man musste es sich eingestehen, man sah der kommenden Zeit mit Unruhe entgegen, wenn nicht sogar mit Angst. Sehnte sie sich eigentlich nach Theodor? Sie musste es selbst nicht. Ja und nein. In ihrem Innern war ja immer die Liebe zu ihm, die sie unter ihrer angenommenen Kühle verbarg. Aber was ihr äusseres Leben anlangte, so hatte sie sich daran gewöhnen müssen, allein zu sein.
Von Anfang ihrer Ehe an war Theodor in der Welt herumgefahren. Hätte er das wohl auch getan, wenn er eine Frau aus wahrer Liebe geheiratet hätte? Dies Wissen, dass Theodors Wahl mehr von äusseren Rücksichten auf Familie und Stellung bestimmt gewesen, als aus innerer Neigung, dies Wissen war der wunde Punkt im Leben der Fürstin. Ihr Mann schätzte sie hoch. Das musste Dorothee. Sie war ihm immer eine verständnisvolle Gefährtin gewesen. Sie hatte im Geiste teilgenommen an seinen Forschungsreisen, an den wissenschaftlichen Arbeiten, in denen er diese Reisen zusammenfasste. Im Geistigen war sie mit ihm gegangen. Aber was war sie ihm als Frau? Die Leidenschaft des Mannes in ihm, sie hatte ihr nicht gehört. Das war das Bitterste im Leben dieser Frau mit ihrem herben Stolz. Die Fürstin hatte oft darüber nachgedacht, ob es nicht doch an ihr gewesen wäre, ihrer Ehe eine andere Richtung zu geben, die Richtung, die ihr Herz von Anfang an ersehnt hatte. Mit Weichheit und Liebe war Theodor zu nehmen. Das hatte sie längst erkannt. Aber sollte sie ihm die Hand bieten? Sie wusste ja, nur Konvention hatte ihn vor fast dreissig Jahren um sie werben lassen. Wäre es nicht an ihm gewesen, das Konventionelle ihrer Beziehungen zu durchbrechen und ihr zu sagen, dass sie ihm mehr geworden? Manchmal hatte sie es zu hören geglaubt. Aber misstrauisch, wie sie gegen sich selbst war, hätte sie seine Bestätigung gebraucht. Und doch, vielleicht hatte sie falsch gehandelt. Vielleicht hatte sie sich zu sehr vor ihm verschlossen.
Frau Dorothee seufzte. Dass diese widerstreitenden Gefühle immer noch in ihr lebten! Dass sie seit fast dreissig Jahren immer noch nicht schweigen wollten! Und doch war es ein gutes Zeichen. Besser Leben und Bewegung, Zwøifel, Sorge und Hoffnung als das Gefühl, dass alles tot in einem war.
Ihre Gedanken wandten sich der Gegenwart zu. Wie lange würde Theodor jetzt wohl in Deutschland bleiben? Er hatte viel in seinen letzten Briefen von dem fremden Land und seinen Forschungen erzählt. Aber für seine nächsten Zukunftspläne hüllte er sich in Stillschweigen. Er war ein Mensch, der sich nie gern festlegte. Vielleicht war ihm auch etwas bange vor der Rückkehr in die Heimat, die ihm nie im vollsten Sinne des Wortes Heimat gewesen war! Heute oder morgen konnte das Telegramm kommen, das seine Rückkehr meldete. Jedenfalls würde Leben mit ihm in das stille Schloss einziehen. Theodor war ein Freund der Menschen. Er zog gern Menschen zu sich heran. Ohne dass er es wollte, wurde er durch seine Art zum Mittelpunkt eines jeden Kreises. Er war es gewesen, der den engen gesellschaftlichen Ring durchbrochen, in dem man innerhalb der Standesgenossen gelebt. Wissenschaftler und Künstler waren oft wochenlang Gäste auf dem Schloss.Und Dorothee, die klug und intelligent war, nahm die Anregungen, die diese Menschen ihr gaben, mit in die einsameren Jahre hinein, die es durch Theodors langdauernde Abwesenheit immer wieder für sie gab. Wohl unterbrach sie diese Einsamkeit durch Reisen, die ihr ihre äussere und innere Unabhängigkeit gestatteten. Aber es zog sie doch immer wieder zurück nach Schloss Rodenhausen. Sie war ein Mensch, der die innere Geschlossenheit sich nur erhalten konnte in der äusseren Geschlossenheit des Daseins. War sie allzulange unterwegs in Hotelzimmern zwischen täglich wechselnden Menschen und der Vielfachheit der äusseren Eindrücke, so überkam sie leicht erwas wie Lebensangst. Sie fühlte dann die jahrelange Trennung von Theodor um so mehr. War sie dagegen in Rodenhausen, so war es ja die auch ihm vertraute Umgebung, die sie wenigstens in dieser Weise mit ihm verband. Und sie wusste, dass seine Gedanken, wenn sie zu ihr gingen, sie in dem Rahmen fanden, den auch er kannte.
Vikn leider hatte wohl etwas von dem unruhigen Naturell des Vaters geerbt. Es litt sie nie lange in der Stille von Rodenhausen. Kaum dass sie es zwei, drei Wochen aushielt, dann zog es sie wieder nach München in den lebhaften und freieren Kreis, den sie sich dort geschaffen hatte. Und man konnte nichts dagegen einwenden. Man hatte Viky nun einmal erlaubt, ihr malerisches Talent auszubilden. Das war in der Stille von Rodenhausen nicht möglich. Nun musste man die Folgerungen aus dieser Erlaubnis ziehen. Auch das hätte die Fürstin anders gewünscht. Wie gern hätte sie, einsam, wie sie war, ihre gesamte Liebe und Sorge auf Viky konzentriert, um in ihrer Zärtlichkeit Ersatz zu finden — Ersatz für das, was Theodor ihr nicht gab. Aber vielleicht wäre es auch gar kein Ersatz gewesen. Es gab nichts in der Welt, was für eine Frau Ausgleich schuf für die innere Verbundenheit mit einem Manne. Aber das Leben gewährte einem selten, was man ersehnte. Man hatte sich zu fügen, wenn es auch schwer war.
Die Fürstin riss sich aus ihren Gedanken. Es war sicher noch nicht alles für die Rückkehr Theodors gerichtet. Sie liebte es, selbst an den Vorbereitungen teilzunehmen, die für jeden lieben Gast getroffen wurden. Und diesmal, wo es galt, Theodor zu erwarten, sollte alles besonders festlich sein.
Gerade, als sie sich erheben wollte, klopfte es an die Tür:
„Ah, Sie bringen Post, Josef?“ empfing sie freundlich den Diener, und als sie gesehen hatte, dass der Brief von Theodor war:
„Bitten Sie die Prinzessin zu mir. Ist der kleine Robby im Hause?“
„Nein, Durchlaucht, Fräulein von Brock ist mit Robby in den Wald gegangen.“
„Es ist gut, Josef.“
Die Fürstin vertiefte sich bereits in den Brief ihres Mannes.
So ausführlich schrieb Theodor noch, wo er doch heute oder morgen schon hier sein wollte?
Sie blätterte in den eng beschriebenen Bogen. Hatte Theodor etwa seine Rückkehr verschoben?
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