Er lehnte sich aus dem Fenster.
„Aha, da ist ja schon die Blockstation. Wir werden gleich da sein.“
Astrid lief schnell an Melitta vorbei in ihr Abteil. Er nahm die Koffer herunter.
„Ach, dann muss ich ja auch wohl . . . “, sagte Melitta. „Wir sehen uns ja nachher.“
Sie neigte den Kopf und verschwand in ihrem Abteil.
Rodenhausen sah ihr mit einem halb ärgerlichen, halb amüsierten Lächeln nach:
„Na, da haben wir ja gleich den richtigen Willkommen gehabt, Kind“, sagte er. „Ich hätte es mir für Sie zwar anders gewünscht. Aber unseres Herrgotts Menagerie ist gross.“
— — — — — — — — — —
Auf dem Bahnhof stand der Diener und begrüsste mit einem respektvollen und erfreuten Gesicht Rodenhausen.
„Na, Josef“, Rodenhausen gab dem Diener die Hand, „alles gut zu Hause?“
„Alles gut, Durchlaucht“, meldete Josef mit einem strahlenden Gesicht.
„Na schön, also dann kommen Sir, Astrid!“
Er nahm Astrid leicht unter den Arm und geleitete sie an dem respektvoll grüssenden Bahnhofsvorsteher vorbei die Sperre hindruch.
„Einen Augenblick, Fürst.“
Melitta von Stenglin, die inzwischen auch aus ihrem Abteil gestiegen war, kam eilig Rodenhausen nach.
„Sie haben Ihren Wagen hier, dürfte ich mich bei Ihnen einladen? Ich habe meine Ankunft nicht rechtzeitig angekündigt Lokalzuge sitzen.“
Rodenhausen überlegte einen Augenblick, als ihm der Diener respektvoll etwas zuflüsterte. Ein beinahe erleichterter Ausdruck ging über das Gesicht des Fürsten.
„Ich bedauere tausendmal, Baronin. Soeben meldet mir der Diener, dass meine Frau und Viky in Gernrode auf uns warten. Sie haben dort die Einweihung des neuen Kinderheimes mitmachen müssen.“
„Ach so, dann ist Ihr Wagen natürlich voll besetzt.“
„Ja, leider. Also nochmals Verzeihung, Baronin.“
Melitta von Stenglin verbarg ihren Aerger unter einem liebenswürdigen Lächeln. Sie hätte zu gern die Autofahrt mitgemacht, denn sie musste wissen, wer dieses junge Mädchen war, das Rodenhausen da so plötzlich mitbrachte. Sollte er wieder einmal — aber das war doch unmöglich. Er war doch inzwischen schliesslich auch älter geworden, und dies junge Mädchen hätte seine Tochter sein können. Und was sollte er schliesslich auch an solch einem jungen Ding finden? Aber die Zusammenhänge hätte sie doch zu gern gewusst und zugleich den Triumph gehabt, Rodenhausen wiederzusehen, ehe er seine Frau begrüsste.
Rodenhausen und Astrid fuhren beide ziemlich schweigsam nebeneinander durch die schöne Landschaft. Jeder von ihnen war mit seinen Gedanken beschäftigt.
Rodeausen war doch etwas unruhig: Wie würde das Wiedersehen mit Dorothee und Viky sein? Wie würden sie Astrid entgegenkommen?
Und auch Astrids kleines Herz zitterte etwas vor dem, was ihr bevorstand.
Endlich unterbrach der Fürst das bedrückende Schweigen:
„Ich freue mich, dass Sie meine schöne Heimat im Frühling kennenlernen, liebe Astrid. Sehen Sie, wie herrlich der Kontrast! Auf den Berggipfeln liegt Schnee. Und wir hier unten im Tal fahren durch die warme Sonne.“
Er machte sie auf besondere Schönheiten der Natur aufmerksam, nannte ihr Namen der Berge, der kleinen Dörfer, die man hier und da verstreut liegen sah, und wies plötzlich nach rechts auf eine kleine Lichtung:
„Jetzt noch durch dieses kleine Wäldchen hindurch, das vor uns liegt, Astrid, und dann, sehen Sie dort auf der Lichtung, das ist schon Gernrode.“
Der Kutscher fuhr, wie die Fürstin es angeordnet hatte, vor dem Hause des Pfarrers vor. Dort wollten die Fürstin und Viky nach dem kleinen Einweihungsfest den Fürsten und Astrid erwarten.
Das kleine Pfarrerstöchterchen kam an den Wagenschlag gesprungen:
„Die Frau Fürstin und Prinzessin Viky sind im Garten.“ sagte sie, ein über das andere Mal knixend.
Die Pfarrersleute hatten sich taktvoll zurückgezogen, um das Wiedersehen nicht zu stören.
„Kommen Sie, Astrid.“
Rodenhausen legte väterlich einen Moment die Hand auf die Schulter des jungen Mädchens, als wollte er ihm Mut machen, und führte sie die Stufen zum Pfarrhaus hinauf und nach hinten in den herrlich gepflegten, echten Pfarrersgarten.
„Ah, da sind sie“ , hörte man die frische Stimme Vikys. Und schon war sie, sehr wenig prinzessinnenhaft, wie ein junges Füllen auf Rodenhausen und Astrid zugesprungen.
„Tag, Papa, wie gut du aussiehft, gut und jung!“ Sie fiel dem Vater stürmisch um den Hals.
Mit einem schnellen, musternden Blick umfasste sie dann auch Astrid und schüttelte ihr kräftig die Hand. Rodenhausen aber eilte auf die Fürstin zu, die ihm und Astrid herzlich entgegengeschritten kam. Ihr sonst so verschlossenes Gesicht zeigte jetzt eine weiche, freudige Erwartung.
„Meine liebe Dorothee“ — er hielt warm ihre Hand, während er sie auf die Stirn küsste —:
„Wie reizend, dass du uns mit Viky entgegengefahren bist. An allem spürt man die Heimat. Ach, es ist schön, wieder einmal zu Hause zu sein“, sagte er aus vollem Herzen.
„Und hier“, dabei zog er die kleine Astrid, die sich etwas scheu hinter ihm gehalten hatte, zu sich heran, „meine liebe Dorothee, bringe ich dir Fräulein Sjörberg und empfehle sie all deiner mütterlichen Güte.“
„Seien Sie herzlich willkommen, Fräulein Sjörberg.“
Die Fürstin streckte Astrid die Hand entgegen:
„Mein Mann hat mir soviel Liebes von Ihnen geschrieben, mein Kind. Ich möchte Ihnen helfen.“
Astrid beugte sich bewegt über die Hand der gütigen Frau.
„Wir hatten uns von Pfarrers schon verabschiedet, Theodor“, wandte sich Frau Dorothee jetzt an ihren Gatten, „man wollte auch unser Wiedersehen nicht stören. Ich denke, wenn es euch recht ist, fahren wir jetzt gleich nach Hause, damit Fräulein Astrid auch noch bei Tage ihre neue Heimat sieht.“
„Gern, wie du es wünschst, Dorothee.“
Der Fürst reichte seiner Frau ritterlich den Arm.
— — — — — — — — — —
Die Fahrt nach Schloss Rodenhausen verging unter leichtem Geplauder.
Viky belegte Astrid gleich ganz mit Beschlag und war so lebhaft, dass Astrid gar nicht viel zum Reden kam.
Die Fürstin erkundigte sich bei Rodenhausen nach dem Verlauf der Reise:
„Du wirst und diesmal viel erzählen müssen, Theodor“, sagte sie. „Du kannst dir denken, dass dieser Krieg in der Mandschurei uns sehr interessiert. Wir haben hier gar keine rechte Vorstellung davon.“
„Das kann ich mir denken. Oh ja, ihr werdet viel Interessantes von mir zu hören bekommen. Aber jetzt lass mich zuerst einmal den Frieden der Heimat geniessen und erzähle mir vor allem, wie es bei uns aussieht. Wollte Alexander nicht auch bald seinen Urlaub nehmen und ihn bei uns verbringen?“
„Ja er freut sich schon auf dich und seinen kleinen Jungen. Ich glaube, Theodor, du wirst auch viel Spass an dem kleinen Robby haben.“
Ein glückliches Lächeln glitt über ihre vornehmen Züge:
„Er ist ein richtiger kleiner Sonnenschein“ , fügte sie hinzu.
„Ach, wir sind ja würdige Grosseltern.“
— Rodenhausens Geufzer war halb ernst,halb scherzhaft gemeint —:
„Wenn man so allein in der Welt draussen ist, vergisst man das leicht und kommt sich jünger vor, als man in Wirklichkeit ist. Du hast mir ja öfter geschrieben, dass sich der kleine Robby so nett entwickelt. Ich habe ihm einen sehr drolligen chinesischen Hampelmann mitgebracht. Das wird mich hoffentlich zu seinem Herzchen finden lassen.“
Er unterbrach sich und sah glücklich und wie gebannt auf das Schloss, das jetzt vor seinen Blicken auftauchte:
„Astrid, drehen Sie sich einmal um, dort können Sie unser Schloss schon liegen sehen.“
Astrids Augen wurden weit und leuchtend. Sie vermochte gar nicht zu sprechen. Aber dann umklammerte sie Rodenhausens Hände fest, als brauchte sie einen Halt. Das kleine, scheue Mädchen war ganz Gefühl und Begeisterung:
Читать дальше