Fast erschrak sie, als Viky in ihrer ungestümen Art etwas laut ins Zimmer kam.
„Was ist los, Mama? Josef sagt, es ist Post gekommen. Ist es etwas mit Papa? Kommt er? Wann kommt er? Gott, so ein langer Brief!“
Ein Schatten ging über ihr eben noch so sorgloses Gesicht.
„Wie konnte ich das vergessen, mir fällt ein“, sagte sie angstvoll, „Papa ist ja dort mitten im Kriegsgebiet. Hat er etwa Schwierigkeiten herauszukommen?“
„Nein, nein, das nicht, Kind“, meinte die Fürstin, „aber ich glaube, bei Papa wird es solange er lebt immer Ueberraschungen geben. Obgleich er meistens auf Reisen ist, hält er uns dadurch doch immer in Atem. Es ist drollig, dass er immer erwas Besonderes erlebt. Das kommt wohl, weil er in alle Dinge, die ihm begegnen, und an denen andere vorbeigehen würden, mitten hineinspringt.“
„Mama, du sprichst wirklich in Rätseln“, sagte Viky ungeduldig, „bitte, bitte, lass mich einmal selbst lesen, was Papa schreibt. Oder darf ich nicht?“
„Natürlich darfst du“.
Viky las schweigend.
„Was sagst du zu dem Briefe?“ fragte die Fürstin nach einer Weile.
„Eigentlich fabelhaft von Papa! Richtig jugendlicher Kavalier! Ob das kleine Mädel hübsch ist, das er da so eins, zwei, drei gerettet hat und uns mitbringen will? Er scheint gar nicht lange überlegt zu haben. Hast du eigentlich gewusst, Mama, dass Papa so temperamentvoll ist? Hier wird er nur lebhaft, wenn er auf seine Gesteinsarten und Erdschichten zu sprechen kommt.“
Eine kleine, abweisende Falte erschien auf ihrer Stirn:
„Aber Viky“, sagte die Mutter strafend. „Ich glaube, das ist nicht der richtige Ton, in dem man von seinem Vater spricht.“
„Nicht böse sein, Mutti! Du weisst, ich sag’ immer alles, wie ich denke. Und ich hab’ ja Papa auch wirklich lieb. Wenn ich auch seiner Rückkehr mit etwas gemischten Gefühlen entgegensehe. Wie das nur werden wird mit dieser Astrid, die er uns da bringt? Vielleicht ganz nett. Denn was sonst so an jungen Mädchen hier auf den Gütern herumwimmelt, das ist doch entweder lauter grünes Gemüse, das von Gott und der Welt keine Ahnung hat, oder es sind schon reichlich vertrocknete Dämchen, die mir durch ihr Alter imponieren wollen, weil sie nichts anderes haben,“
„Aber Viky, sei doch nicht immer so leichfertig. Du kannst doch nicht alles in der Welt danach beurteilen, ob es amüsant ist oder nicht.“
„Warum nicht, Mama? Zum mindesten soll man versuchen, alles amüsant zu nehmen. Das andere kommt schon von selbst. Nun, und was diese Astrid anlangt, na, ich werde sie erst mal beschnuppern. Am Ende ist sie auch etwas traurig. Und das könnte mir ja gerade noch fehlen.“
„Ich fasse die Sache mit dieser jungen Astrid Sjörberg doch etwas anders auf. Sie ist eine Waise, die soviel Schweres durchgemacht hat, wie wir es auch nicht im Entferntesten begreifen können. Ich glaube, Viky, wir wollen uns hier mal etwas ernster einstellen und Vaters Wunsch zu erfüllen suchen, der dahin geht, dem jungen Mädchen hier vorübergehend eine Heimat zu geben. Und ich freue mich fast, dass das Fremde, das meistens bei seiner Heimkehr zwischen ihm und uns liegt, durch die Pflichten gemildert werden wird, die er uns in der Sorge um das junge Mädchen aufgibt. —“
Viky umarmte stürmisch die Mutter.
„Du bist die famoseste alte Dame, die es gibt“. und als sie eine Missbilligung auf dem Gesicht der Fürstin sah, fügte sie schnell hinzu:
„Ich weiss, ich weiss, du liebst die studentischen Kraftausdrücke nicht. Also, du bist die süsseste und beste und anständigste Mutter von der Welt. Und immer kriegst du mich wieder herum, wenn ich leichtsinnig bin. Ach, und ich bin das doch zu gern“.
„Ja, und ich fürchte, dass der Aufenthalt in München dich sehr darin bestärkt, liebes Kind“, seufzte die Fürstin, „ich bin ja sehr gerührt, dass du dich immer wieder zu mir bekennst. Vielleicht solltest du deine Liebe nicht zu einseitig nur mir geben.“
„Woher weisst du, dass ich das tue, Mama?“ meinte Viky schelmisch.
„Du weisst schon, was für eine Liebe ich meine“, sagte die Fürstin. „Die andere, die du meinst, ja, mein Kind, da wird wohl auch noch viel mit Papa zu besprechen sein. Aber es hat ja noch gute Weile damit. Du bist noch so jung, und es ist noch lange nicht aller Tage Abend.“
Viky schwieg. Ihr Gesicht zeigte einen leisen Trotz. Sie liebte es nicht, wenn die Fürstin auf dieses Thema kam. Sie war durch das auswärtige Studium sehr selbständig geworden und wollte jetzt immer gern mit dem Kopf durch die Wand. Gerade wollte sie der Mutter etwas unfreundlich erwidern, als ein helles Kinderstimmchen im Nebenzimmer ertönte.
„Tann nicht, tann nicht“, schrie es plötzlich hell und klagend hinter der Tür. Und zwei Fäustchen hämmerten gegen das Holz.
Viky eilte lachend durch das Zimmer und öffnete die Tür.
Der kleine Robby stürzte eilig ins Zimmer herein.
„Omi, Blümchen“, lachte er und warf der Fürstin ein paar zerknitterte Märzveilchen in den Schoss.
„Robby fottelauft“, verkündete er strahlend.
Aber schon kam die alte Erzieherin, Fräulein von Brock, atemlos angekeucht.
„Das gute Kind, das gute Kind! Wie sein Lauf beschwingt ist, wenn es Durchlaucht eine Freude machen kann. Und sei es mit diesen bescheidenen Frühlingsboten“, sagte sie in überschwänglichem Ton.
Die Fürstin und Viky konnten sich kaum das Lachen verbeissen. Sie konnten eigentich an Fräulein von Brocks Komik längst gewöhnt sein. Aber es war immer wieder so unendlich erheiternd, wenn sie in blumiger Romansprache ihre Lebensweisheiten von sich gab.
Man musste sie nun einmal nehmen, wie sie war, mit all ihren komischen und doch so liebenswerten Eigenschaften.
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An der Rezeption in der Halle des Königsberger Hotels stand Rodenhausen.
„Sehr wohl, Durchlaucht“, sagte der Geschäftsführer zuvorkommend, „die Koffer zum Berliner Zug. Der Träger mit dem Handgepäck erwartet Durchlaucht eine Viertelstunde vor Abfahrt mit den Platzkarten und den Billets an der Schranke.“
Rodenhausen nickte und verglich seine Armbanduhr mit der grossen Uhr im Vestibül. Dann sah er sich suchend um.
„Fräulein Sjörberg, ist sie noch nict zurück?“
„Das gnädige Fräulein lässt Durchlaucht sagen, dass sie im Schreibzimmer auf Durchlaucht wartet.“
Rodenhausen durchschritt rasch die Halle. Das Schreibzimmer lag gleich nebenan. Astrid sass am Schreibtisch. Rodenhausen umfasste für einen Moment ihre Gestalt und das zarte Gesicht, das jetzt, im Eifer des Schreibens, eine leichte Röte zeigte. Er musste lächeln. Sie schrieb wie ein Kind, die Zunge leicht zwischen den Lippen hin und herschiebend, als sollte sie den Zug der Feder unterstützen.
„Nun, Astrid, noch nicht fertig? In zwanzig Minuten geht der Zug.“
„Schon fertig.“
Astrid setzte rasch die Unterschrisft unter den langen Brief. Es war eine eigentümlich energische Handschrift, die zu dem sonst so zarten Mädchen eigentlich gar nicht passte.
„Es ist nur ein Brief an Ingenieur Redderson“, plauderte sie, während sie sich jetzt von Rodenhausen in den Mantel helfen liess. „Ich habe Angst, dass er schon in Sorge um mich ist.“
„Aber Sie haben ihm doch ein Telegramm geschickt, Kind.“
„Das allerdings, Durchlaucht.“
Rodenhausen drohte lächelnd mit dem Finger. „Schon wieder ,Durchlaucht‘, kleine Astrid? Haben Sie denn unsere Abrede ganz vergessen, nach der ich für Sie ,Onkel Rodenhausen‘ bin? Aber soviel haben Sie diesem Ingenieur Rederson mitzuteilen, stehen Sie denn so besonders nah mit ihm?“
„Ja, Onkel Rodenhausen, ich habe ihm doch unendlich viel zu danken. Er ist wie ein Bruder zu mir gewesen. Und der einzige Kamerad, der mit mir jung, und der mit mir heiter war, der ein wenig zu mir passte. Ich glaube, er wird mich sehr vermissen.“
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