Nun ist Ranveig zu Hause.
Friede und Stille liegt über der Natur. Der Elv klatscht an die Steine. Die Sonne scheint, und das Meer strömt nichts als pure Himmelsunschuld aus. In den paar grauen Häusern hat man einiges, worüber man Worte reden kann.
Der Lehrer Klagg verzehrt sein Mahl einsam am großen Tisch in der Nordstube. In der Südstube trägt Ottny für Mann und Tochter das Essen auf. Ihre Nasenlöcher sind jetzt nicht mehr so weit. Der Bauer Finn hingegen fährt sich mit seiner großen, borstigen Hand über Gesicht und Bart und fragt Hjördis: „Wie steht es mit deinen Fellen? Ich habe mich also bestimmt, nächste Woche einmal nach Fagarö zu rudern. Da kannst du mitkommen … Ja, es ist nämlich wegen der Maschine …“
„Wegen welcher Maschine?“ erkundigt sich Ottny sogleich.
„Wegen der Mähmaschine“, sagt Finn in fabelhaftem Gleichmut. Und da hat es jetzt das hitzige Weib Ottny, für alle ihre überflüssigen Redensarten vom Morgen.
„Jetzt glaube ich aber …! Mann, bist du denn ganz von Sinnen?“
Oh, Finn sitzt aber da, in Sicherheit und Größe. Und er hat natürlich schon etwas vernommen von dem, was sich am Elv ereignete. Mit einem listigen Augenblinzeln wendet er sich abermals an seine Tochter: „Wir werden also miteinander die Maschine holen … Wir nehmen das Großboot. Monrad soll auch mit dabeisein.“
„Ich — was sagst du? — Mir wird ganz übel!“ stöhnt Ottny. „Und womit willst du dann diese Maschine bezahlen?“
Hier sitzt nun allerdings der Mann, der in passender Weise zu antworten weiß. „Was das anbetrifft, Weib, so könnte ich mir, wenn es mir im Sinn läge, auch gleich noch eine Rechmaschine dazukaufen“, sagt Finn, immer seiner Tochter pfiffig zublinzelnd, und schaut darauf zum Fenster hinaus.
Die Menschen sind doch nicht so einfach, wie man gemeinhin glaubt. Da sieht man nun Finn, den Hofbauer, in neuem Lichte. Ganz gewiß ist der Geldbeutel in seiner Hosentasche nicht leer. Nein, es werden sich wohl mehrere Scheine darin finden, blaue und gelbe — ja, und vielleicht auch noch ein grüner. Welchen Wohlstand der Bauer aber täglich in seiner Hosentasche mit sich in der weiten Welt herumträgt, das weiß außer dem lieben Gott nur er selber; und er legt darüber keinem Rechenschaft ab.
Und wenn man gleich allem völlig bis auf den Grund kommen möchte, so hängt dieses wohl damit zusammen, daß Finn der erste Mann am Strande von Tyremoen ist und sich unmöglich von einem lausigen Häuslerbub und einer Fiedel in den Hintergrund drängen läßt.
Finn macht es als besonnener reifer Mann natürlich um vieles besser als der verwegene Ove. Er erfindet im richtigen Augenblicke die glorreiche Geschichte mit der Mähmaschine. Damit übertrumpft er sowohl Geige als Naturgenie.
Finn kann sich jetzt im Hochsitz zurücklehnen und mit der Hand über Gesicht und Bart streichen; er kann sogar hochfahrend und kurz angebunden gegen die himmlischen Gewalten und sein hitziges Weib sein und auf dringliche Fragen kaum halbe Antworten geben. Finn besiegt mit seiner Maschine auch Ottny und bringt sie auf andere Gedanken.
Während im Hause Finns von Fortschritt und Aufstieg die Rede ist, wird auf Sörbö unter unglaublichem Lärm die Grütze verzehrt. Der einzige, der hier schweigt, ist Jon, der Vater und Versorger, ein Mann, der mit trauriger Miene seinen Hornlöffel betrachtet und unentwegt von düstersten Vorahnungen erfüllt bleibt.
Was dem grauen Jon immerfort unmöglich erscheint, nämlich seine unmäßig vielen Kinder zu ernähren, das macht Jenny mit Gelächter und Spektakel ab. Alle die Kinder sind darüber zwar grau und mager, genau wie der Vater, geworden und klein von Wuchs geblieben, aber dabei von unerhörter Lebendigkeit.
Man kann auf Sörbö ganz gewiß nicht an eine Mähmaschine denken, man hält sich hier genau ans Bibelwort, verzehrt, Schweiß im Angesicht, die Hafergrütze und sorgt nicht für den morgigen Tag. Und bis dahin hat noch ein jeder Tag immer das Seine gebracht.
Zu allem Überflusse liegen jetzt auch noch ein paar Säcke Wolle auf dem Dachboden, Winterwolle, feinste Lammwolle. Jon ist trotz seiner düsteren Weltanschauung ein tüchtiger Mann und ein Bauer durch und durch. Er gräbt im Moor und leitet immerzu das Grundwasser ab, und er schleppt Steine und rodet Erdreich. Er rodet in zäher, langsamer und mühseliger Arbeit und mit verbissenem Trotz jedes Jahr ein Stück Land — o ein lächerliches Stücklein Land! Aber Jon gibt nicht nach; ebensowenig wie der Kindersegen nachgibt. Dadurch glückte es ihm, in gewissem Sinne durch seiner Hände Arbeit, bis zu dieser Stunde mit der himmlischen Verfügung einigermaßen Schritt zu halten. Auf diese Weise ist nicht nur die Familie, sondern auch der Hof stetig gewachsen — und Jenny wird sicherlich gewinnen und Siegerin bleiben in diesem Rennen, sie, mit ihrem unverwüstlichen Lebensmute.
O Jenny! Sie hat ganz gewiß eine häßliche Krähstimme und nur noch die zwei allerletzten Zähne im Munde. Sie ist erbärmlich abgenutzt und verbraucht in einem harten, gnadenlosen Leben, jedoch das Lachen sitzt ihr noch ebenso locker im Halse wie zu ihrer Jungmädchenzeit, da sie noch auf Fagarö diente und von einer Zukunft träumte. Wer weiß, ob es nicht das wunderbare Lachen war, das dieses verhutzelte Weibchen bis dahin am Leben erhalten.
Nach dem Essen zieht Jon mit seinen unstillbaren Sorgen und allen seinen Kindern wieder hinaus aufs Moor, um weiter zu graben und Erde zu schaufeln. Jenny aber steigt auf den Dachboden hinauf und zupft aus jedem Sack eine Handvoll Wolle. Jenny weiß doch sehr wohl, daß diese Wolle der Handelsmann Laurentzen haben muß für allerlei Waren, die leider zum Leben notwendig sind, und sie weiß, daß es bei weitem nicht reichen wird. Höchstens so viel wird der harte Kaufmann geben, daß man wieder ein wenig Kaffee und Mehl kaufen kann.
Aber Jenny zupft trotzdem eine Handvoll aus jedem Sack und schnürt sie in ein Bündel. Sie schnürt das Bündel hart zusammen, so daß es nicht größer als notwendig erscheinen soll. Dann hängt sie sich den großen Tragkorb über die spitzen Schultern und nimmt die Sichel zur Hand. So können Jon und seine Kinderschar und der ganze Strand sehen, daß Jenny in den Wald geht, um Gras zu sammeln für die kranke Ziege, die im Stalle meckert.
Jenny steigt die Berghalde hinan und klettert über den Steinwall, mäht da ein wenig und mäht dort ein wenig, und kommt so bis an die Kätnerhütte. Hier wartet sie ein Weilchen, horcht in die Stille der Natur hinaus und faßt dann einen merkwürdigen Gedanken, sie öffnet das Gatter und schlüpft zu Karen in die Stube.
„Gestern ist eine meiner Ziegen lahm geworden in den Beinen“, sagt Jenny. „Nun weiß ich mir keinen anderen Rat, als sie im Stall zu halten. Es ist meine beste Milchziege … Ich sehe, du spinnst dunkles Garn, Karen. Dann muß es wohl die Wolle von Ottnys Schafen sein. Soviel kann ich verstehen. Feines Garn — das soll wohl gewoben werden…
Soweit Karen von dieser Sache unterrichtet ist, ist es zu einem Tuch für den Bauer selber bestimmt. Und so reden die beiden, und es wird ein Gespräch.
Ist Karen vielleicht vernichtet und völlig niedergeschlagen von dem Ereignis am Elv? Sie ist nicht vernichtet. Sie kennt den Lauf des Lebens und ist schon längst weise geworden. Sie ist still geworden. Sie wurde freundlich und duldsam wie ein Hund, der es gelernt hat, die guten und schlimmen Launen der Menschen zu ertragen.
„Mein altes Kopftuch mußte ich doch Monrad geben. Es geht noch immer nicht gut mit seiner Wange. Und ich kann keine Zugluft ertragen.“
Jenny läßt sich auf der Bank nieder. Sie sagt: „Wußte ich es denn nicht selber die ganze Zeit lang. Ottny hat sich sündhaft benommen. Aber einmal wird auch sie vor der himmlischen Obrigkeit erscheinen müssen. Dann kann sie der gerechten Strafe nicht mehr entgehen … Was soll man sagen? So verhielt es sich leider von jeher: die Reichen vergessen ihre Seele und tun unrecht an den Geschöpfen Gottes, nur aus Stolz und Hochmut … Du sollst nicht länger daran denken, du, Karen — bei all deinen Aussichten mit Monrad …“
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