So überzeugt das auch geklungen, war es doch alles Lüge gewesen. Keiner wußte das besser als er. Von ihm hatte sich Christa Dörfel küssen lassen und seinen Liebesworten hatte sie gelauscht und sie erwidert. Der Verlobte mochte sein wie er wollte, zur Eifersucht besaß er genügend Grund.
Er riß sich zusammen. Ein Stern war von seinem Himmel hinuntergefallen, ein schöner Traum hatte sich in nichts aufgelöst, seine Liebe lag in Scherben vor ihm.
Es wäre Zeitverschwendung, hier noch länger zu warten. Er hatte hier nichts mehr zu suchen.
Das blutjunge Mädel lächelte ihn zaghaft an.
„Wer sind Sie, mein Herr, und was wünschen Sie? Ich war ein paar Minuten oben in unserer Mansarde, um etwas zu suchen und habe aus Bequemlichkeit die Korridortür offen gelassen. Das war leichtsinnig von mir, denn Sie sind einfach eingetreten und haben ein bißchen von dem Spektakel gehört, den Hansjörg jeden Sonntag Vormittag mit meiner Cousine anstellt.“ Sie spottete: „Es ist ihm allmählich zur lieben Gewohnheit geworden. Leider hat Christa immer wieder Geduld mit ihm gehabt, aber ich glaube doch, jetzt hat sie es gründlich über, sich weiter piesacken zu lassen.“ Die klugen blauen Augen blitzten. „Mich sollte ein Mann so behandeln wie Hansjörg Christa behandelt, dem wollte ich heimleuchten! Aber Christa hört immer wieder mitleidig auf sein Betteln, wenn er bereut, nachdem er es wieder einmal zu toll getrieben.“ Sie atmete tief auf. „Ich erkläre Ihnen das nur, wenn es Sie auch nichts angeht, damit Sie nicht glauben, meine Cousine hätte dem Menschen jemals wirklich Grund zur Eifersucht gegeben. Wenn man nämlich so vom Korridor als Unparteiischer zuhört, könnte man das sogar glauben. Aber Christa ist die Reinheit und Wahrheit selbst.“
Stefan Pilger hätte ihr die Augen über Cousine Christas Reinheit und Wahrheitsliebe öffnen können, doch weshalb sollte er dem jungen vertrauensseligen Geschöpf den Glauben an das Ideal nehmen, das Christa für die hübsche Kleine zu sein schien.
Er erwiderte sachlich: „Sie fragten mich vorhin, wer ich sei und was ich wünschte. Ich hätte Fräulein Christa Dörfel gern persönlich etwas ausgehändigt, was sie letzthin verloren hat. Man übergab mir den Gegenstand für sie und ich übernahm es, ihn ihr zu überbringen.“
Das junge Mädchen meinte: „Ich kenne Christas Sachen natürlich nicht alle, darf ich vielleicht sehen, um was es sich handelt?“
Er holte aus seiner Brusttasche die in weißes Seidenpapier eingeschlagene Brosche hervor und überreichte sie ihr.
Das junge Mädchen zupfte das verhüllende Seidenpapier auseinander und das mit bunten geschliffenen Steinen übersäte Schmuckstück kam zum Vorschein.
Ein Weilchen betrachteten es die blauen Augen genau, dann erklärte der hübsche junge Mund: „Die Brosche ist wundervoll und könnte mir auch gefallen, aber ich erinnere mich nicht, sie bisher bei Christa gesehen zu haben. Es ist ein geschmackvolles Stück, keine Massenware. Es muß viel Geld gekostet haben. Aber Christa liebt das, was nicht jeder trägt.“
Sie fragte und es lag Mißtrauen in ihrer Frage: „Wer sind Sie eigentlich?“ Und als nicht gleich eine Antwort erfolgte, sagte sie: „Ich heiße Huberta Meister. Ein viel zu gediegener Name für mich, nicht wahr? Christa meint, ich sollte eigentlich Gustl Tralala heißen.“
Er mußte lächeln und ihm war doch so bedrückt ums Herz.
Er stellte sich vor: „Ich heiße Stefan Pilger.“ Er erklärte: „Ich weiß bestimmt, daß die Brosche Fräulein Dörfel gehört und von ihr in der letzten Zeit täglich getragen wurde, also daß sie die Brosche verloren haben muß. Ich möchte sie auf keinen Fall wieder mitnehmen. Geben Sie die Brosche Ihrer Cousine und bestellen Sie ihr zugleich, daß ich leider zufällig einen Teil ihrer sehr lebhaften Unterhaltung mit ihrem Verlobten mitanhören mußte, sie möge das entschuldigen, es wäre mir sehr peinlich. Aber ich glaube, es ist am besten, wenn ich mich jetzt empfehle.“ Er spöttelte, doch sie merkte den Spott nicht: „Wenn ich noch bleibe, stoße ich möglicherweise mit dem eifersüchtigen Herrn zusammen und gerate in den Verdacht, ein Freund Fräulein Dörfels zu sein.“
Er machte ein paar Schritte, doch blieb er wieder stehen, denn eben wurde draußen eine Tür zugeschlagen und ein fester Männerschritt auf dem Korridor laut, gleich darauf flog auch die Korridortür heftig ins Schloß.
„Jetzt ist Hansjörg gegangen“, sagte Huberta Meister, „und ein paar Tage lang läßt er sich nach solchen Szenen nicht blicken. Er entfernt sich immer so wirkungsvoll in letzter Zeit. Und nun noch einen Augenblick, mein Herr, ich werde nach meiner Cousine sehen und sie gleich wegen der Brosche befragen.“
Schon befand sich Stefan Pilger allein.
Er überlegte, ob er sich nicht einfach davonschleichen solle. Aber wiederum reizte es ihn, Christa noch einmal zu sehen, ihr gegenüber zu stehen, die ihn so bitter enttäuscht hatte.
Huberta fand Christa in finsteres Nachdenken versunken. Sie stand in der Nähe des Fensters und schien nicht einmal ihren Eintritt bemerkt zu haben. Huberta hüstelte, entriß sie auf diese Weise ihrem Grübeln.
Christa murmelte: „Ich glaube, es würde mir sehr gut tun, wenn ich noch ein Weilchen allein bleiben könnte, Huberta, bei dir darf ich wohl auf das nötige Verständnis für meine ziemlich flaue Stimmung hoffen. Hansjörg hat mir wieder ohne jeden Grund abscheulich zugesetzt. Ich ertrage das nicht mehr lange.“
Huberta, streichelte sie zärtlich.
„Mach dich doch frei von ihm, Christa! Was nicht geht, das geht eben nicht, du würdest ja eine Sünde gegen dich selbst begehen, wenn du seine Frau werden wolltest. Du bist so eine sonnige Frohnatur und findest immer schnell dein inneres Gleichgewicht wieder. Wer dich nicht ganz genau kennt, merkt dir gar nicht an, was du mit dir herumträgst. Gegen die Kundschaft bist du immer gleichmäßig liebenswürdig und aufmerksam und alle mögen dich gern. Du kannst Anspruch auf den allerbesten Mann machen. Hansjörg aber hat sich letzthin zum Patentekel entwikkelt, er braucht eine Frau, die den Menschenquäler ordentlich an die Leine nimmt, eine, die Haare auf den Zähnen hat. Klein und bescheiden müßte er werden.“
Ihre Augen blitzten. „Sei überzeugt, mit mir dürfte er die Mätzchen nicht machen, aber du bist schon viel zu verdattert zur richtigen Gegenwehr, wie er sie nötig hätte.“ Sie schob Christa die Brosche in die Hand. „Da, guck mal, das hat eben ein Herr gebracht, das sollst du verloren haben. Ich kenne diese Brosche nicht, aber vielleicht gehört sie dir doch!“
Christa Dörfel wickelte ohne besondere Neugier das Papier auseinander. Natürlich konnte man einmal etwas verlieren, ohne es gleich zu vermissen.
Sie blickte auf das glitzernde Füllhorn nieder, hob es vor die Augen.
„Eine wunderhübsche Brosche!“ lobte sie lässig, „aber mir gehört sie nicht. Gib sie also dem Herrn wieder und bestelle ihm, es handle sich um einen Irrtum.“
Sie reichte die Brosche zurück, wollte sich abwenden.
Huberta sagte lebhaft: „Ich habe dem Herrn schon erklärt, soviel ich wüßte, besäßest du eine solche Brosche nicht, aber er behauptet, er wüßte genau, daß du diese Brosche in letzter Zeit täglich getragen hättest. Deshalb ist es wohl am besten, du sagst ihm das selbst, was ich ihm bestellen soll. Mir glaubt er es vielleicht doch nicht.“ Sie raunte: „Es ist ein sehr sympathischer und netter Herr. Eigentlich wollte er vorhin schon gehen, er hat nämlich allerlei von Hansjörgs Schreierei mitangehört und ich habe ihn im Verkaufsraum festgehalten, damit er dem dämlichen Hansjörg nicht gerade in die Quere laufen sollte, sonst hätte der schließlich sogar in dem Fremden einen Anbeter von dir zu sehen geglaubt. Er hat sich vorgestellt, der Fremde, aber sein Name ist mir wieder entfallen, ich glaube er hieß ,Eremitʻ. Ach nein Mönchʻ oder so ähnlich.“
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