«An ihm kannst du doch sowieso keinen messen ...!»
«An wem sonst?»
«Vater hat unendliche Erfahrung hinter sich. Aber auch er ist mal jung gewesen.»
«Und war er anders?»
«Selbstverständlich hatte er schon damals all die bewundernswerten Eigenschaften, die ich aber erst später erkannte. Auf den ersten Blick unterschied er sich kaum von seinen Altersgenossen. Sogar sein erster Satz unterschied sich nicht von dem, was ich mir damals tagtäglich anhören mußte.»
«Daß er anstelle des Biers, das du ihm nicht gebracht hast, dich nimmt?»
«Ja, siehst du!»
«Aber du hast erkannt, daß er es ernst meinte!»
«Das schon ...»
«Wie?»
«Das weiß ich nicht ...»
«Aber von diesem Augenblick an war es dir ganz klar, daß er es ist.»
«Ja ...»
«Warum wunderst du dich dann über mich? Zu mir hat bis heute keiner auch nur etwas annähernd Ähnliches gesagt. Ja, Mami, es ist nicht schwer, einen Schatz zu bewahren, der niemanden reizt!»
Gertrud ist ehrlich empört.
«Ich bitte dich, was erzählst du da?»
«Die Wahrheit! In einem Jahr hat sich kein Mann gefunden, außer den Lehrern natürlich, der mich angesprochen, geschweige denn irgendwohin eingeladen hätte. Sonntag nachmittags bin ich fast regelmäßig allein in den Zoo gegangen, bis er zerbombt wurde, damit die Mädchen wenigstens glaubten, ich würde mich heimlich mit jemandem treffen, der verheiratet sein mußte. Aber keine einzige hat mich danach auch nur gefragt. Sie sind gar nicht auf den Gedanken gekommen!»
«Tinchen ... weißt du, daß du sehr, wirklich sehr hübsch bist?»
«Nein. Anfangs hab’ ich gedacht, ich sei nicht häßlich, auf alle Fälle nicht häßlicher als ein paar echte Vogelscheuchen in der Klasse. Nur sind die meisten von denen sogar schon verlobt. Was soll ich jetzt davon halten?»
«Dann ... muß es an etwas anderem liegen, Tinchen ...!»
«Aber an was denn?»
«Laß uns überlegen.»
«Ich tue ja fast nichts anderes mehr. Mir geht das schon auf den Wecker!»
«Bist du nicht vielleicht zu abweisend? Ich meine – zugeknöpft? Gibst du den Männern nicht zu verstehen, daß sie deinen Ansprüchen nicht genügen, noch bevor sie es überhaupt versuchen konnten? Und falls sie wissen, wessen Tochter du bist, könnten sie von dir nicht den Eindruck haben, du verlangst, sie müßten unbedingt dem Karli ... deinem Vater gleichkommen?»
Sie liegen sich nicht mehr in den Armen, Christine kaut aufgeregt am rechten Daumennagel, wie von klein auf immer, wenn ihr etwas um keinen Preis gelingen wollte. Dafür hält Gertrud ihre Linke fest, legt sie in den Schoß und streichelt sie beschwichtigend. Die Ehrlichkeit der Tochter besticht sie, sie ist auch während der Trennung die gleiche geblieben.
«Vielleicht hast du recht, Mami, es ist gewiß so gewesen, jedenfalls bis vor kurzem. Aber jetzt hab’ ich sogar selber was versucht – und wieder nichts!»
«Hast du doch jemand gefunden, der es wert ist?»
«Ach, nein. Ich hab’s erst gestern ...»
Die Mutter hört einen Vorwurf heraus, und das macht sie unglücklich.
«Das hab’ ich doch nicht ahnen können, Tinchen, ich wollte dich hier in Sicherheit wissen ... So ein Pech! Hast du ihm wenigstens gesagt, wohin er dir schreiben kann?»
«Wer ...?»
«Na der ... von dem du sprichst.»
«Er hat mich doch hergebracht!»
«Hierher? Du meinst ...»
«Den Namen hab’ ich überhört.»
«Weißmüller ...?»
«Der große Blonde ...»
«Ja! Und der kam dir also ...»
«Er kam mir jedenfalls anders als all die Berliner Laffen vor. Zum ersten Mal im Leben schien mir, daß jemand Vater ähnlich sein könnte.»
Sie hört auf, an dem Daumen herumzukauen und schaut die Mutter mit einer Eindringlichkeit an, die nach Zustimmung verlangt. Gertrud entsinnt sich der Bedenken, die Karl kürzlich über Weißmüller geäußert hatte. Sie traut sich jedoch nicht, es der Tochter gerade jetzt zu wiederholen, als könnte sie damit den Faden ihres neuen Selbstvertrauens zerreißen. Sie behilft sich mit einer Halbwahrheit.
«Ja, Karl sprach kürzlich über seinen Diensteifer.»
«Und wie gefällt er dir, Mami?»
«Ein hübscher Bursche ...»
«Er trägt keinen Ring, geht er hier mit einer?»
«Wo soll er hier eine hernehmen?»
«Wirklich nicht?»
«Ich glaube es wenigstens ...»
«Und außerhalb?»
«Woher soll ich das wissen, Tinchen?»
«Entschuldige, ich bin unmöglich!»
Aus ihrer Verlegenheit rettet sich Gertrud mit einer weiteren Frage.
«Warte, du hast gesagt, du hättest was versucht ... was denn eigentlich?»
«Mit ihm anzubändeln. Eben, um nicht zugeknöpft und abweisend dazustehen, wie du sagst, damit gerade er nicht dachte, ich würde über ihn als Vaters Untergebenen die Nase rümpfen, hab’ ich ihn während der Fahrt nach allem möglichen ausgefragt.»
«Über was?»
«Wie es euch beiden geht, wie es hier so läuft, was er hier tut, mit was man sich hier amüsiert. Was Mädchen eben so fragen – denke ich wenigstens!»
«Auf das meiste durfte er dir als Soldat keine Antwort geben!»
«Schade, dafür aber Vaters Fahrer. Der hat so ein Zeug zusammengequasselt, daß ich lieber eingeschlafen bin.»
Gertrud denkt angestrengt nach.
«Warum sagst du nichts, Mami?»
«Vielleicht ist er schüchtern ...»
«Mit so einer Figur? Auf den müssen doch die Weiber nur so fliegen!»
«Tinchen! Du bist ja eifersüchtig! Also ist Schluß mit den Hemmungen?»
Beide lachen. Christine beichtet weiter.
«Ich habe ihn dann nachts gesehen.»
«Nein ...! Du hast dich mit ihm ...»
Jetzt erst wird Gertrud bewußt, daß der junge Mann und ihre Tochter unter dem gleichen Dach wohnen.
«Nein, das nicht! Ich hab’ ihn nur aus einer gewaltigen Höhe springen sehen, mir blieb fast das Herz stehen. Ich ahnte ja nicht, daß es hier ein Schwimmbecken gibt.»
«Ja, Vaters Vorgänger hat es anlegen lassen, du kannst da jederzeit baden ...»
Sie erwähnt nicht, wie empört Karl darüber war, daß es auch in diesem Fall zum unerlaubten Einsatz von Gefangenen gekommen war, doch obwohl sie selbst ein eher unsportlicher Typ war, stieg sie gern in das immer frische Wasser, das ein französischer Architekt, der hier sein Ende erwartete, aus dem Festungsbach hierher geleitet hatte. In diesem Winkel währte für sie die verflossene Friedenszeit weiter.
Vorsichtig sagt Christine.
«Nach ihm ist eine Frau dorthin gegangen.»
Erstaunlicherweise erzählt sie der Mutter nichts von den verdächtigen Umständen; das überrascht sie selbst.
«Das konnte nur die Monika sein.»
«Monika?»
«Ich meine, sie ist mit mir die einzige, die es bislang durfte. Jetzt kommst auch du dazu, versteht sich!»
Christine ist die Neugier selbst.
«Und wer ist das?»
«Die Frau von Karlis – von Vaters Stellvertreter Grube.»
«Wie alt ist die?»
«Etwas jünger als ich.»
Christine ist beruhigt. Auf Großmütter ist man nicht eifersüchtig. In diesem Augenblick denkt sie auch nicht daran, daß die andere noch begehrter sein könnte als ihre Mutter. Sie vergißt das ebenso wie den Umstand, daß sie soeben noch Kummer hatte. Sie ist wieder ein Kind, als sie jetzt auf dem Bett herumhüpft, bis Gertrud fast herunterfällt. Aber da kniet Christine schon vor ihr, umarmt ihre Knie und preßt den Kopf in ihren Schoß.
«Mami, liebe Mami, ich bin so froh, daß ich hier bin!»
Gertrud verscheucht alle neuen Zweifel aus ihren Gedanken und freut sich mit dem Kind. Unmittelbar darauf dringt, gedämpft durch das Fenster, eine satte Melodie herein. Ein Walzer. Und eine ganze Kapelle spielt ihn. Auch die Tochter hört es und hebt den Kopf.
Читать дальше