52 bb) Die besondere gesetzliche Formvorschrift des § 311b.Abgesehen von den bereits angesprochenen Fällen der Anordnung einer Form im BGB sieht das Gesetz in seinem § 311beine besondere Ausnahmeregelung zur Formfreiheit vor, nämlich einen Formzwang in drei dort namentlich aufgeführten Fällen. Dabei handelt es sich um die einzige Formvorschrift im Allgemeinen Teil des Schuldrechts. Die Vorschrift enthält in ihrem Absatz 1 die Anordnung der Pflicht zur notariellen Beurkundung bei einem Vertrag, der zur Veräußerung oder zum Erwerb eines Grundstücks verpflichtet. Nach Absatz 3 gilt das Gleiche für einen Vertrag über die Verpflichtung zur Übertragung des gegenwärtigen Vermögens, nach Absatz 5 Satz 2 für einen Vertrag, der unter künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil einer Partei geschlossen wird.
53 (1) Übertragung eines Grundstücks.Entsprechend der wichtigen Formvorschriftin § 311b Abs. 1 bedarf ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Entscheidend ist zunächst, dass diese Formanordnung ausschließlichfür das Verpflichtungsgeschäftgilt; der Wortlaut ist insoweit eindeutig. Erfasst werden sämtliche schuldrechtlichen Verträge, die eine entsprechende Verpflichtung zur Übereignung oder zum Erwerb eines Grundstücks enthalten. 65Möglich ist also insbesondere der Kauf, aber in gleicher Weise auch der Tausch oder die Schenkung. Wichtig ist, dass unter diese Formvorschrift infolge des Abstraktionsprinzipsnicht das Verfügungsgeschäft fällt. Für eine Form hinsichtlich der Verfügung über das Grundstück gilt ausschließlich das Sachenrecht, also die Formvorschriften des § 873 i. V. m. § 925.
Beispiel:Schließen A als Verkäufer und B als Käufer einen Kaufvertrag über ein Haus ab, ist dieser ausnahmsweise formbedürftig nach § 311b Abs. 1. Gleiches gilt, wenn A und B einen Tausch vereinbaren: A gibt sein Haus, B seine Motoryacht.
54Um die Reichweitedieser Formvorschrift genau einschätzen zu können, muss man sich klarmachen, welchen Zweck sie verfolgt: Gerade § 311b dient durch die Anordnung der notariellen Beurkundungspflicht in erster Linie dem Schutz der Vertragsparteien 66, vor allem vor einer übereilten Vertragsschließung. 67Darüber hinaus soll sie eine Beweissicherungsfunktion ausüben. Das hohe Formerfordernis in diesem Bereich resultiert daraus, dass die Rechtsordnung Grundstücken eine besonders hohe Wertigkeit zuordnet. Deshalb sollen die Vertragsparteien eindrücklich dazu angehalten werden, sich den Vertragsschluss gut zu überlegen. Die Rechtsordnung geht davon aus, dass hinsichtlich des Grundstücksverkehrs besondere Sorgfaltsanforderungen gelten sollen, weil die Grundstückszuweisung eine Sonderstellung einnimmt. 68
Für die Reichweite der Formvorschrift folgt daraus, dass der Formzwang zur notariellen Beurkundung sich ausschließlich auf das Verpflichtungsgeschäft erstreckt. Dabei ist jedoch nur die Verpflichtung zur Übertragung bzw. zum Erwerb von Eigentumgemeint. Negativ heißt dies zugleich, dass andere Rechtsgeschäfte, die sich auf Grundstücke beziehen, nicht der Formvorschrift des § 311b unterfallen, insbesondere also nicht Miet- oder Pachtverträge, auch nicht die Vereinbarung von beschränkten dinglichen Rechten wie der Hypothek oder der Grundschuld. Nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut ersichtlich wird jedoch, inwieweit sämtliche mit einem dort genannten Verpflichtungsgeschäft zusammenhängende Vereinbarungenauch der Formvorschrift unterliegen. Um dies zu beantworten, bedarf es des Rekurses auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift, d. h. auf die Beweissicherungs- und Übereilungsschutzfunktion: Diese Funktionen kann das Gesetz nur dann erfüllen, wenn es die Formvorschrift umfassend anlegt. Daher ist die Rechtsprechung der Auffassung, dass die Beweissicherung bzw. die Schutzfunktionen nur dann erzielt werden können, wenn der „ganze Vertrag“von der Beurkundung erfasst ist 69: Das bedeutet, dass sich die Erforderlichkeit der notariellen Beurkundung nicht nur auf einzelne Vertragsbestandteile erstreckt, sondern für den gesamten Vertragsinhaltgilt. 70Bei dieser umfassenden Auslegung des § 311b Abs. 1 ist sehr streng vorzugehen. Insbesondere führt dies dazu, dass sämtliche Vereinbarungen, aus denen sich das konkrete Verpflichtungsgeschäft entsprechend dem Willen der Vertragsparteien zusammensetzt, der Beurkundungspflicht unterliegen. 71Infolgedessen kann man nicht nach verschiedenen Vertragsbestandteilen differenzieren, insbesondere nicht danach, ob eine Regelung, die im Zusammenhang mit einem Verpflichtungsgeschäft über den Erwerb bzw. die Veräußerung eines Grundstücks erfolgt, wesentlich oder unwesentlich ist. Denn alleVertragsbestandteile unterliegen der Beurkundungspflicht. 72
55Auch hier gilt jedoch, dass diese sehr strenge Auslegung nicht immer durchgehalten wird. Vielmehr kann es in seltenen Ausnahmefällendazu kommen, dass man auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben anders entscheidet, ein an sich nach der zuvor vorgestellten Auslegungsregel formnichtiger Vertrag also als wirksam anzusehen ist. Zumindest kann es einer der Vertragsparteien im Wege einer Einrede verwehrt sein, sich auf die Nichtigkeit zu berufen. 73Dies hat die Rechtsprechung insbesondere dann angenommen, wenn dem durch die Nichtigkeit begünstigten Teil im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen ein grob treuwidriges Verhalten zur Last fällt oder wenn die Nichtigkeit die wirtschaftliche Existenz des anderen Teils in Frage stellt. Doch im Prinzip bleibt es dabei, dass die notarielle Beurkundungspflicht außerordentlich weit reicht und umfassend gilt.
Liegt ein Verstoßgegen diese Pflicht vor, ist also eine einzelne Abrede, die im Zusammenhang mit einem entsprechenden Verpflichtungsgeschäft steht, nicht beurkundet worden, ist diese Vereinbarung nach §§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 nichtig. Nach der dann greifenden Auslegungsregel des § 139 ist im Zweifel der gesamte Vertrag als nichtig anzusehen. 74Hier wird es Ausnahmen von der Zweifelsregelung kaum geben können, will man nicht das gesamte, zuvor skizzierte System unterlaufen. 75
Eine Einschränkunghinsichtlich der Nichtigkeit bietet jedoch § 311b Abs. 1 Satz 2, d. h. die dort enthaltene Heilungsvorschrift. Ist ein Vertrag über die Verpflichtung, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bereits ausgeführt, sind also Auflassung und Eintragung in das Grundbuch erfolgt, wird dieser eigentlich zunächst formwidrige und damit nichtige Vertrag seinem ganzen Inhalt nach gültig. 76Hinter dieser Heilungsvorschrift stehen erneut Sinn und Zweck dieser Formvorschrift. Haben die Parteien bei einem formnichtigen Verpflichtungsvertrag die Verpflichtung bereits erfüllt, ist ein besonderer Schutz vor einer Übereilung nicht mehr erforderlich. Die wesentlichen Formzwecke werden insofern durch die Auflassung, die ihrerseits wiederum formbedürftig ist, erfüllt. 77Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Ist einmal eine Auflassung erfolgt, sollen die somit vollzogenen und formbedürftigen sachenrechtlichen Veränderungen nicht mehr im Nachhinein unwirksam werden, nur weil das Verpflichtungsgeschäft eine Form nicht beachtet hat. Wichtig ist, dass die Heilung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 dem Wortlaut und auch Sinn der Vorschrift gemäß nur dann eintreten kann, wenn bei dem Verpflichtungsgeschäft die Nichtigkeit auf dem Formmangel beruht. Andere Unwirksamkeitsgründe, etwa eine Geschäftsunfähigkeit einer der Vertragsparteien, werden durch diese Heilungsvorschrift nicht erfasst. Die Heilung tritt ein, sobald Auflassung und Eintragung im Grundbuch erfolgt sind. Sodann wirkt sie von Beginn an, d. h. ex tunc : Anders ist die Formulierung im Gesetz, dass der Vertrag „seinem ganzen Inhalt nach“ gültig wird, nicht zu verstehen. 78
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