70Die Thematik der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und ihrer Kontrolle wird im Rahmen der juristischen Ausbildung regelmäßig schon in Verbindung mit der Darstellung des Allgemeinen Teils des BGB angesprochen. 102Geregelt ist das Recht der AGB allerdings im allgemeinen Schuldrecht in den §§ 305–310. Daher begegnen den Studierenden die AGB auch häufig erst innerhalb des allgemeinen Schuldrechts, weshalb auch an dieser Stelle eine kurze Darstellung erfolgen soll. Für die vertiefte Beschäftigung sei auf Ausführungen im Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des BGB aus dieser Reihe verwiesen. 103
2.Allgemeine Geschäftsbedingungen
71Bevor man sich der für die Fallprüfung wesentlichen Thematik der Kontrolle der AGB widmen kann, ist es zunächst notwendig, sich vor Augen zu führen, was AGB sind und warum es sie überhaupt gibt.
Der Begriff der AGB ist in § 305 Abs. 1 BGB legaldefiniert: Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Dabei ist es nach § 305 Abs. 1 Satz 2 gleichgültig, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat. Wählt der Verwender aber ein Vertragsmuster mit unterschiedlichen Ankreuzoptionen, muss er durch das Ankreuzen klar zum Ausdruck bringen, welche Regelungen von ihm gewollt sind, ansonsten liegt gar keine AGB vor, die überprüft werden müsste. 104
72Die Definition lässt schon erkennen, worum es bei dem Recht der AGB geht. Dem BGB liegt die Idee zugrunde, dass der Einzelne seine Angelegenheiten selbstbestimmt und eigenverantwortlich regelt, insbesondere dadurch, dass er frei mit anderen Verträge aushandelt. Geschieht dies, spricht viel für einen ausgewogenen Interessenausgleich, häufig ist von der „ vertraglichen Richtigkeitsgewähr“ die Rede. 105Kauft jemand etwa ein Pfund Orangen und verhandelt mit dem Verkäufer über den Preis, kommt am Ende ein Preis zustande, mit dem beide Parteien gut leben können, andernfalls wird der Vertrag nicht geschlossen. Verwendet jedoch eine Partei AGB, ist die Ausgangslage eine andere. Denn die AGB werden nicht frei ausgehandelt. Das macht der letzte Teil der Legaldefinition des § 305 Abs. 1 deutlich: Satz 3 der Vorschrift bestimmt, dass dann, wenn die Vertragsbedingungen ausgehandelt sind, keine AGB vorliegen.
73Kernelement der AGB ist also der Umstand, dass diese nicht ausgehandeltsind. Daraus folgt, dass bei ihnen auch die „vertragliche Richtigkeitsgewähr“ für eine faire Lösung nicht eingreifen kann. Der Vertragspartner, der von seinem Gegenüber mit AGB konfrontiert wird, befindet sich vielmehr in einer „Alles-oder-Nichts“-Situation. Entweder er akzeptiert das oftmals umfangreiche AGB-Regelwerk, oder er muss auf den Vertragsschluss verzichten. Die Verhandlungsparitätzwischen den Vertragspartnern ist gestört. In diesem Fall greift das BGB zugunsten der schwächeren Partei ein, also desjenigen Vertragspartners, dem die AGB letztlich vorgegeben werden.
74Das BGB verbietet AGB dabei nicht grundsätzlich, denn sie erfüllen im heutigen Wirtschaftsleben, das erheblich von dem um 1900 abweicht, wichtige Funktionen. So werden insbesondere bei Massengeschäften beide Seiten entlastet, wenn sie sich nicht langwierig über viele Vertragsdetails austauschen müssen, sondern eine Partei diese schon vorbereitet hat. Das gilt vor allem für solche Vertragstypen, für die das Zivilrecht selbst gar keine Kodifikationen enthält, wie z. B. für neuere Vertragsformen wie den Leasingvertrag. 106Daher haben AGB an sich ihre Existenzberechtigung, der Gesetzgeber musste jedoch der durch sie gestörten Vertragsparität ebenso Rechnung tragen. Das tut er, indem er vom Rechtsanwender, also auch von den Studierenden in der Falllösung, eine Kontrolle der AGB verlangt.
3.AGB-Kontrolle im Prüfungsaufbau
75Dieses Lehrbuch orientiert seine Darstellungsweise insgesamt am Prüfungsaufbau. Davon muss an dieser Stelle eine Ausnahme gemacht werden. Das liegt daran, dass sich für die AGB-Kontrolle abstrakt kein allgemeingültiger Prüfungsort festlegen lässt, denn die Überprüfung der Geschäftsbedingungen muss im Gutachten jeweils dort erfolgen, wo der Regelungsinhalt der im konkreten Fall zu überprüfenden Klausel dies gebietet. 107Stellt die in der Geschäftsbedingung getroffene Regelung eine – vertragliche – Anspruchsgrundlage dar, ist ihre Wirksamkeit gleich zu Beginn des Gutachtens zu erörtern. Liegt hingegen etwa ein mittels einer Klausel vereinbartes Rücktrittsrecht vor, so ist dessen Wirksamkeit im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 346 Abs. 1 – hier: Rücktrittsgrund – zu berücksichtigen. Für die Verortung der AGB-Kontrolle in der Falllösung ist demzufolge der Regelungsinhalt der jeweiligen Klausel maßgeblich.
4.Auslegung von AGB/Kontrollmaßstab
76Bevor man eine Klausel inhaltlich überprüfen kann, muss man zunächst erörtern, was die Klausel überhaupt aussagt, d. h. sie ist ggf. auszulegen. Schon bei der Ermittlung des Klauselinhaltes gelten Besonderheiten. Der normalerweise im Bürgerlichen Recht geltende Auslegungsmaßstabdes objektiven Empfängerhorizonts gemäß §§ 133, 157 gilt hier nicht. 108Bei der Auslegung von AGB kommt es, anders als bei der sonstigen Auslegung, nicht darauf an, wie der Vertragspartner aus der Sicht eines objektiven Dritten die Klausel verstehen musste, sondern entscheidend ist das Verständnis eines Angehörigen der an solchen Geschäften typischerweise beteiligten Geschäftskreise. 109Die Auslegung wird also grundsätzlich vom Einzelfall abstrahiert. 110Der Rechtsanwender muss somit die Klausel so auslegen, wie ein durchschnittlicher Kunde, der mit den Klauseln in Berührung kommt, diese verstehen konnte, und gerade nicht wie der im konkreten Fall evtl. überdurchschnittlich gebildete oder geschäftserfahrene Vertragspartner. In diesem Zusammenhang legt § 305c Abs. 2 zudem fest, dass Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders gehen, dieser sich also um eine möglichst eindeutig formulierte AGB bemühen muss.
77Hat man nunmehr festgestellt, dass die Vertragsklauseln AGB im Sinne des § 305 Abs. 1 darstellen und deren Inhalt ermittelt, kann man die Regelung der AGB-Kontrolle unterziehen.
78Der persönliche sowie sachliche Anwendungsbereich der Regelungen zur AGB-Kontrolle ist in § 310 geregelt. In § 310 Abs. 1 und 3 sind Regelungen zum persönlichen Anwendungsbereichgetroffen. Im ersten Absatz wird die Kontrolle von Klauseln, die gegenüber einem Unternehmer verwendet werden, eingeschränkt. Das gilt auch für weitere dort genannte juristische Personen, die dem Gesetz nicht so schutzwürdig erscheinen, weil sie z. B. infolge ihrer unternehmerischen Tätigkeit über eine Verhandlungsposition verfügen, der zufolge die Vertragsparität nicht so stark gestört ist, wie dies etwa beim Verhältnis Unternehmer/Verbraucher der Fall wäre. Sieht das Gesetz in § 310 Abs. 1 daher wegen des fehlenden Schutzbedürfnisses Lockerungen vor, verfährt es in § 310 Abs. 3 genau umgekehrt: Es trifft bei AGB, die gegenüber Verbrauchern verwendet werden, für die AGB-Kontrolle verschärfte Regelungen.
79Zum sachlichen Anwendungsbereichenthalten die Absätze 2 und 4 des § 310 Regelungen. Während § 310 Abs. 2 Sonderregelungen für die AGB von Versorgungsunternehmen enthält, beinhaltet § 310 Abs. 4 wichtige Bereichsausnahmen. Für einige Rechtsgebiete gilt das AGB-Recht nicht, dort verwendete Klauseln sind daher keiner Kontrolle nach §§ 305 ff. zu unterziehen. Die Bereichsausnahme gilt für das Erb-, Familien-, und Gesellschaftsrecht. Im Arbeitsrecht wirkt die Ausnahme dagegen nur zum Teil; einige arbeitsrechtliche Vertragsarten sind explizit ausgenommen, für den Arbeitsvertrag an sich ist die AGB-Kontrolle anzuwenden, allerdings mit der Maßgabe, die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen. 111
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