Beispiel:A denkt über die Art seiner Fortbewegung nach. Die Abschlussfreiheit garantiert ihm die Freiheit zu entscheiden, ob er ein Auto kaufen bzw. verkaufen möchte. Er hat darüber hinaus die Freiheit zu entscheiden, an wen er verkaufen will. Insbesondere ist niemand verpflichtet, auf ein Kaufangebot einzugehen.
Doch kann gerade die Abschlussfreiheit in gewisser Hinsicht auch eingeschränkt sein. Das gilt in erster Linie für die Situationen, in denen die Rechtsordnung einen Kontrahierungszwang vorsieht. 50Eine Einschränkungder Abschlussfreiheit findet jedoch auch in weiteren, sozusagen abgeschwächten Formen statt, nämlich immer dann, wenn die Rechtsordnung den Abschluss bestimmter Verträge verbietet. Davon abzugrenzen ist die Situation, in dem der Abschluss von Verträgen geboten ist. Bei Abschlussverbotenhandelt es sich um die stärkste Form der negativen Einschränkung der Vertragsfreiheit. 51Da sie einen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellen, sind sie in der Rechtsordnung relativ selten.
Beispiel:L möchte den 14-jährigen J als Arbeitskraft einstellen. Doch hier sehen §§ 2, 5 und 7 JArbSchG ein Abschlussverbot vor: So dürfen etwa Jugendliche nach diesen Vorschriften nicht mit bestimmten Arbeiten betraut werden. Kommt es gleichwohl zu einer vertraglichen Vereinbarung, ist sie nichtig, was sich jedenfalls aus § 134 ergibt.
48Anders als die Abschlussverbote kennt die Rechtsordnung in positiver Hinsicht auch Abschlussgebote. Diese können ebenfalls eine Einschränkung der Vertragsfreiheit beinhalten. Anders als beim Kontrahierungszwang 52enthalten Abschlussgebote keine konkrete Verpflichtung, sondern eine Aufforderung an eine Vertragspartei.
Beispiel:A betreibt ein großes Unternehmen. Gem. § 154 SGB IX hat er die Pflicht, in bestimmtem Umfang Schwerbehinderte zu beschäftigen. Diese Pflicht führt jedoch nicht zu einem unmittelbaren Einstellungsanspruch eines einzelnen Schwerbehinderten. 53Stattdessen sieht die Rechtsordnung Sanktionen zulasten des Arbeitgebers vor, der dieser Pflicht nicht nachkommt. Dieser muss nämlich eine Ausgleichsabgabe zahlen und mit einem Bußgeld rechnen. 54
49 b) Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit.Einen weiteren zentralen Bereich der Vertragsfreiheit stellt die Inhaltsfreiheitdar, die häufig auch als Gestaltungsfreiheitbezeichnet wird. Ihr zufolge können die Vertragsparteien umfassend und frei darüber entscheiden, was sie als Inhalt des Vertrags vereinbaren möchten. Die Parteien können frei vereinbaren, welche Verpflichtung sie überhaupt eingehen möchten. Hier herrscht also keine Bindung an Vorgaben, etwa des BGB. Diese umfassende Gestaltungsfreiheit ist jedoch nur im Schuldrecht durchgehalten; gerade das Sachenrecht weicht von dieser Möglichkeit sehr stark ab. Dingliche Rechte können nämlich nur in der Form vereinbart werden, wie sie das BGB in seinem dritten Buch vorsieht. Bedingt ist diese Abweichung gegenüber dem Schuldrecht insbesondere durch die Anforderungen der Rechtssicherheit, die man bei sachenrechtlichen Zuordnungen sehr viel höher einzuschätzen hat als bei schuldrechtlichen Verpflichtungen. 55
Entsprechend der Inhaltsfreiheit im schuldvertraglichen Bereich können die Parteien alle von ihnen gewünschten, d. h. auch alle atypischen Verträgeschließen. 56Die einzelnen Vertragstypen des Besonderen Schuldrechts, wie sie sich in den §§ 433 ff. finden, sind also mehr gesetzliche Modelle als zwingende Vorgaben. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass innerhalb dieser Modellvorgaben verschiedene Vorschriften auch zwingenden Charakter haben, von denen nicht abgewichen werden darf. Der Regelfall liegt darin, dass die Parteien eine Modellvorstellung des BGB übernehmen, also etwa einen Kaufvertrag schließen, wie er in § 433 geregelt ist. Zum Teil weichen sie dann aber von einzelnen gesetzlichen Vorschlägen vertraglich ab.
Einschränkungender Inhalts- bzw. Gestaltungsfreiheit ergeben sich jedoch im Hinblick auf einzelne Inhalte einer Vereinbarung. Insbesondere im Allgemeinen Teil des BGB finden sich daher Vorschriften, die die Gestaltungsfreiheit einschränken. So sind etwa §§ 134 und 138 als Einschränkungen der Inhaltsfreiheit anzusehen 57; auch die Bestimmungen zu den AGB 58sowie Regelungen aus dem AGG beschränken die Inhaltsfreiheit der Parteien. Hier schreibt der Gesetzgeber aus bestimmten Schutzerwägungen heraus vor, dass manche Vertragsinhalte nicht wirksam vereinbart werden können. 59
Beispiel:A betreibt ein großes Warenhaus und verwendet AGB. Darin schließt er prinzipiell jegliche Haftung gegebenenfalls entstehender Körperverletzungen seiner Kunden aus. Das verstößt jedoch gegen § 309 Nr. 7, der Ausschluss ist daher unwirksam.
50 c) Formfreiheit.Die Formfreiheitkann als eine besondere Ausgestaltung der Inhaltsfreiheit angesehen werden. Sie beherrscht das gesamte Schuldrecht und legt fest, dass die Parteien grundsätzlich dazu berechtigt sind, einen schuldrechtlichen Vertrag formlos abzuschließen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gesetz eine Form ausdrücklich vorschreibt. Es gilt also ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Insbesondere ausreichend ist daher zum wirksamen Abschluss eines Vertrags eine mündliche Vereinbarung. Da die Grundlage jeder Vereinbarung Willenserklärungen sind, genügen darüber hinaus auch konkludente Verhaltensweisen, die eindeutig darauf schließen lassen, dass dadurch ein bestimmter Wille verbindlich mit Erklärungsgehalt geäußert werden soll. Das ist etwa der Fall, wenn eine Partei ein Angebot macht, auf das die andere mit einem bloßen Kopfnicken antwortet: Hier liegen sämtliche Voraussetzungen einer Willenserklärung vor. Da Formfreiheit herrscht, können die beiden Erklärungen als Angebot und Annahme zu einem wirksamen Vertrag führen. 60
Weil ein prinzipieller Formzwangmit einer richtig verstandenen Vertragsfreiheit unvereinbar wäre, findet man im Gesetz nirgendwo die Formfreiheit ausdrücklich formuliert. Sie ergibt sich vielmehr unmittelbar aus der Grundkonzeption des BGB selbst. 61
51 aa) Die Nichtbeachtung einer Formvorschrift.Das Prinzip der Formfreiheit führt dazu, dass zwar grundsätzlich Verträge ohne Beachtung einer Form geschlossen werden können, umgekehrt kennt das Gesetz jedoch an verschiedenen Stellen eine ausdrückliche Anordnung der Beachtung einer Form. Darüber hinaus können die Parteien – auch dies ist Konsequenz aus der Vertragsfreiheit – ihrerseits vertraglich vereinbaren, dass eine Folgevereinbarung der Form unterworfen werden soll. Im letzteren Fall spricht man von einem gewillkürten Formzwang.
Gesetzlich vorgesehenist für den Abschluss von Verträgen die Beachtung einer Form nur selten. Die meisten typisierten Verträge des BGB enthalten keine Klausel zur Formvorschrift. So stellt der Gesetzgeber die Vereinbarung eines Kauf-, Miet- oder Werkvertrags nicht unter einen gesetzlichen Formzwang. Ausnahmsweise findet sich eine Formvorschrift in § 518 für die Schenkung oder in § 766 bei der Bürgschaft. 62
Die Nichtbeachtungeiner gesetzlichen Formvorschrift führt zur allgemeinen Regelung des § 125 Satz 1. Der Vertrag ist grundsätzlich nichtig. 63Nur ausnahmsweise kann er geheilt werden, wenn dies vorgesehen ist. Das ist insbesondere beim Schenkungsvertrag der Fall, § 518 Abs. 2; Gleiches gilt im Rahmen der Bürgschaft nach § 766 Satz 3.
Beim gewillkürten Formzwangführt die Nichtbeachtung nicht in jedem Fall zur Unwirksamkeit des vereinbarten Rechtsgeschäftes, sondern gem. § 125 Satz 2 nur „im Zweifel“. Die unterschiedlichen Konsequenzen in der Rechtsfolge zwischen gesetzlichem und gewillkürtem Formzwang spiegeln die unterschiedlichen Intentionen des angeordneten Zwangs wider: Während eine gesetzliche Formvorschrift stets eine Warn-, Klarstellungs- und Belehrungsfunktion enthält, dient die vertraglich vereinbarte Formvorschrift in der Regel nur zu Beweiszwecken; hier bedarf es nicht der ausnahmslosen Nichtigkeit, um ihr Ziel zu erreichen. 64
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