1. Bei den in den Sinn gekommenen Begriffen zur Definition von Recht waren auch die Begriffe Macht und Gewalt. Macht und Gewalt ist das, was zählt, um Interessen durchsetzen zu können. Gegenläufige Begriffe waren Schutz und Sicherheit.
Der freiheitliche und soziale Rechtsstaat erhebt den Anspruch auf das sogenannte Gewaltmonopol. Er verbietet den Menschen in seinem Geltungsbereich (Territorialprinzip: Bundesrepublik Deutschland) die »eigenmächtige« Ausübung von Gewalt. Ob Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen oder anderen Zwecken dient, ist gleich, denn natürlich ist auch Gewalt als Selbstzweck verboten. Dafür muss der Staat im Rahmen einer Art Gesellschaftsvertrag den Menschen auch gewährleisten, dass sie vom Staat geschützt werden und durch staatliche Einrichtungen zu ihrem Recht kommen und Konflikte gelöst werden.
Der Rechtsstaat beansprucht Geltung seiner Gesetze und Anspruch auf Gerechtigkeit für jeden. In diesem Rahmen hat er staatliche Einrichtungen/Behörden (Institutionen) gegründet, die diese Prinzipien als verfassungsmäßige Verpflichtungen übernommen haben. Das sind die staatlichen Organe, die Verwaltung und die Behörden.
Konflikte über Rechtsansprüche und Interessen sind nach diesem Gesellschaftsvertrag durch die verfassungsmäßig dazu berufenen Institutionen zu regeln. Jeder Mensch wird darauf verwiesen, sich an diese Regeln zu halten, bei dem Verbot der Eigenmächtigkeit und der Gewaltanwendung. Somit bietet der Staat im Rahmen seiner Gewährleistung auch die Möglichkeit der Durchsetzung rechtlicher individueller Interessen durch die staatliche Gewalt an. Das wären direkte Zwangs- und Gewaltmaßnahmen gegen Rechtsverpflichtete. Der geht regelmäßig eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Anspruchs oder der Rechtsposition voraus, die dafür also herbeizuführen ist.
2. Es gibt zwei staatliche Institutionen, die in die Grundrechte und andere private Rechte des Menschen maximal eingreifen und dazu befugt sind.
Die Polizei als unmittelbar zuständige Behörde für die Ausübung staatlicher Gewalt (das Militär hat nach deutschem Verfassungsrecht keine Befugnisse in diesem Sinn nach innen) hat zwei Aufgaben, die in den Länder-Polizeigesetzen geregelt sind: Gefahrenabwehr und Sicherheit für Menschen und Verfolgung von Straftaten.
Mit dieser Ermächtigung kann die Polizei Personen festnehmen, in ihrer Freiheit beschränken oder ihr auch jegliche Bewegungsfreiheit nehmen, genannt Verhaftung. Jedoch regelt Art. 104 GG, dass die Befugnis der Polizei zur Freiheitsentziehung nur bis zum Folgetag nach der Verhaftung zulässig ist. Sodann tritt der Richtervorbehalt ein (Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG). Ein Mensch kann nur mit richterlicher Entscheidung weiter in seiner Freiheit beschränkt und festgehalten werden.
3. Die andere verfassungsrechtlich befugte Behörde für Grundrechtseingriffe ist das Jugendamt. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder »zuvörderst das Recht und die den Eltern obliegende Pflicht«. Satz 2 regelt das staatliche Wächteramt: Die staatliche Gemeinschaft überwacht die Eltern bei ihrer Verantwortungsausübung für ihre Kinder. Für diesen Aufgabenbereich sind die staatlichen Organe Jugendamt und Familiengericht berufen.
Das Jugendamt hat gesetzliche Befugnisse, die bis zur Herausnahme eines Kindes aus seiner Familie und der Trennung (Herbeiführung und Aufrechterhaltung) von seinen Eltern reichen. Diese sind für persönliche Lebensläufe von diesen Kindern regelmäßig weit mehr bedeutsam als die polizeiliche Befugnis zur vorübergehenden Festnahme und zum Festhalten bis zum nächsten Tag. Auch hier greift der Richtervorbehalt ein. Das Jugendamt kann durch das Familiengericht korrigiert werden, denn Grundrechtseingriffe sind dem Gericht vorbehalten zu überprüfen (Art. 6, 19 Abs. 4 GG).
Alle staatlichen Stellen sind in der Bundesrepublik aufgeteilt auf die sogenannten drei Gewalten. Damit ist auch das Prinzip der Gewaltenteilung angesprochen, weil diese Bereiche staatlicher Tätigkeit sich auch gegenseitig aufeinander beziehen und kontrollieren.
1. Die gesetzgebende Gewalt (Legislative) ist das oberste Organ, über die Gesetze werden die Regeln der staatlichen Gemeinschaft verbindlich festgelegt. An die Gesetze sind die vollziehende Gewalt (Exekutive) und die Rechtsprechung (Judikative) gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG).
Die vollziehende Gewalt hat die Aufgabe der Ausführung der Gesetze und ist deswegen ihnen verpflichtet. Die Rechtsprechung ist in ihrer Kontroll- und Ausgleichsfunktion an die Gesetze gebunden, die sie nicht ausführt, sondern in Konfliktfällen anwendet.
2. Das Prinzip des gesetzlichen Richters kommt also zum Tragen bei der Kontrolle der ausführenden Gewalt im Konflikt mit besonders hochrangigen Grundrechten, hier sind es das Freiheitsrecht (polizeilicher Eingriff) und das Grundrecht auf Familie (Jugendamt).
Während die Polizei von sich aus eine festgehaltene Person dem Haftrichter vorführen, also die kontrollierende dritte Gewalt einschalten muss, weil sie die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung (Verhaftung) für nötig hält, hat das Jugendamt – scheinbar – die Möglichkeit, ohne gerichtliche Überprüfung in das Familiengrundrecht einzugreifen, etwa ein Kind aus der Familie herauszunehmen und die Trennung aufrechtzuerhalten. Denn nach § 42 SGB VIII muss das Jugendamt nur dann, wenn die Eltern widersprechen, das Familiengericht anrufen und eine Entscheidung herbeiführen (Abs. 2, Ziff. 2).
Jedoch handelt es sich bei der Entscheidung von Eltern, nicht zu widersprechen, um einen Akt der Ausübung ihres Elternrechts. Eltern können und sollen ja auch selbst einschätzen, ob ihr Verhalten, ihr Leben, ihre Verantwortungsausübung für ihr Kind und seine Entwicklungs- und Schutzbedürfnisse gut oder schädlich sind, und können und sollen dann die gesetzlich vom Jugendamt bereitzustellenden Hilfeangebote auch annehmen.
Die Aufgabenstellung des Jugendamtes ist eine gesetzlich ausschließlich auf Hilfe ausgerichtete. Und alle Jugendhilfemaßnahmen sind, wie das Wort schon sagt, Hilfen, die Erziehungsberechtigte beantragen können.
Nur in dem Konfliktfall des notwendigen Kinderschutzes hat das Jugendamt die Aufgabe zu intervenieren und dann, wenn Eltern widersprechen, zur Klärung das für die elterlichen Zuständigkeiten des Sorgerechts ausschließlich zuständige und dafür entscheidungsmächtige Familiengericht anzurufen.
Also: Die Kontrollausübung des Familiengerichts gegenüber dem Jugendamt für und bei Grundrechtseinschränkungen (Eingriff in das Elternrecht) gilt und ist auch jederzeit und unbefristet aktivierbar, wenn Eltern sich nicht einverstanden erklären, Widerspruch erheben oder eine vollzogene Einverständniserklärung (Antrag auf Hilfe zu Erziehung) zurücknehmen.
5 Grenzen staatlicher Gewalt
1. Nachdem sich die ausführende Gewalt an die Gesetze zu halten hat, deren Ausführung ihr obliegt, und die Gerichte an das Gesetz gebunden sind, muss jede grundrechtseinschränkende gerichtliche Entscheidung gesetzlich begründet sein. Für jeden Grundrechtseingriff gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, wird geprüft, ob der Eingriff geeignet, geboten und im richtigen Verhältnis zum Rechtsgut, um dessen Willen er geschieht, steht. So kann ein Rotlichtverstoß für sich niemals eine Freiheitseinschränkung rechtfertigen, weil dies außer Verhältnis stehen würde.
2. Gerichtliche Entscheidungen über Freiheitseinschränkungen, wie Eingriffe in die Familie, haben das Verhältnismäßigkeitsprinzip ganz strikt zu beachten. Die Frage von Macht und unmittelbarer Gewalt stellt sich dem Gericht, welches ausdrücklich bei der Durchsetzung von gerichtlichen Entscheidungen Vollzugsorgane ermächtigen muss, Gewalt auszuüben, sonst darf dies nicht geschehen (§ 90 FamFG). Das führt bei Herausgaben zu albtraumhaften Situationen gegenüber Kindern, wenn sie etwa aus einer Pflegefamilie herausgenommen und den leiblichen Eltern zurückzugeben sind. Insbesondere Herausgabeentscheidungen können mit gerichtlicher Gewaltermächtigung vollstreckt werden.
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