Fünf Tage später misst man sich erneut, und erneut schauen 80.000 zu. Diesmal gewinnt Dynamo „nur“ mit 2:0. Die DDR-Nationalelf verkauft sich gut, findet aber bei ihren blitzschnellen Kontern in Khomich ihren Meister. Ein Teil des Publikums verhält sich nicht im Sinne der Weltfestspiele, indem es frenetisch das heimische Team anfeuert, was der sozialistische Verhaltenskodex und die brüderliche Verbundenheit mit der UdSSR nicht vorsieht. Das Neue Deutschland: „Ein Teil der Zuschauer zeigte sich nicht auf der Höhe des schönen, fairen und kämpferischen Spiels und nahm am Spielgeschehen in völlig einseitiger Weise Anteil. Damit bewiesen sie nur, dass sie die alte üble nationalistische Überheblichkeit noch immer nicht überwunden haben. Sie zeigten, dass ihnen das Bewusstsein von den elementarsten Pflichten eines Gastgebers abgeht. Dies wiegt umso schwerer, als es jedem Deutschen eine selbstverständliche nationale Pflicht sein sollte, sich des großen Vertrauens der Jugend der Welt und vor allem des großen Sowjetvolkes würdig zu erweisen.“
Puck statt Ball
In Dynamos Fußballhierarchie kommt Jaschin an Khomich und Walter Sanaja vorerst nicht vorbei, weshalb Eishockey seine Hauptbeschäftigung wird. Tschernischow: „Die Stammtorhüter der Dynamo-Klubmannschaft stellten seinerzeit Extraklasse dar, Khomich u. a., so dass Jaschin zunächst nicht zum Zuge kam. Ich beeilte mich nicht, ihn ‚anzubieten‘. Ließ ihn Eishockey spielen – nun auch hier im Tor. Er entpuppte sich als großartiger letzter Mann, und binnen ein paar Wochen war er die Nummer eins in der Mannschaft.“
Zwei Winter, 1951/52 und 1952/53, hütet Jaschin den kleinen Drahtkäfig des Eishockeyteams. Am 6. März 1953 wird Dynamos Eishockeyteam mit Jaschin im Tor sowjetischer Pokalsieger. Die Meisterschaft beendet Dynamo als Dritter. Jaschin wird später dazu eingeladen, mit dem sowjetischen Nationalteam zur Eishockeyweltmeisterschaft 1954 nach Stockholm zu fahren. Es ist das erste WM-Turnier, bei dem die UdSSR dabei ist. Und auch das erste, das sie als Weltmeister beendet. Mit der WM 1954 löst die Sowjetunion Kanada als dominierende Eishockey-Macht ab – ohne Jaschin im Tor, aber mit Arkadi Tschernischow als Trainer. Tschernischow 16 Jahre später, anlässlich des 40. Geburtstags von Jaschin: „Ich bin überzeugt, dass Lew, wäre er beim Eishockey geblieben – 1953 war er da unser bester Torwart – eine ebenso großartige Entwicklung genommen hätte. Lew war ein seltenes Talent, das vom Dynamoklub unterstützt und gefördert wurde.“ Der Ausflug aufs Eis ist nicht umsonst: Für Jaschin war „das Eishockey-Intermezzo eine gute Schule. Hier erwarb ich Kühnheit, schnelle Reaktion.“
Aber ebenfalls 1953 verkündet der nun 33-jährige Khomich seinen Rücktritt. Der „Tiger“ geht zunächst zu Spartak Minsk. Nach dem Ende seiner Karriere wird er Sportfotograf für Sowjetski Sport und fährt in dieser Funktion zu den WM-Turnieren 1970, 1974 und 1978.
Am 2. März 1953, vier Tage bevor Jaschin mit Dynamo den Pokal im Eishockey holt, feiert er im heimischen Stadion gegen Lokomotive Moskau eine gelungene Rückkehr ins Tor der ersten Fußballmannschaft. Er entscheidet sich nun komplett für den Fußball. Tschernischow: „Leider wechselte er die Zunft. (…) Die Liebe zum Fußball war größer. Es kam die Zeit, wo sich die Fußballtrainer wieder auf Lew besannen. Es machte großen Spaß, mit ihm zu arbeiten, und ich freue mich, dass ich ihn zur Liebe zum Fußball und zum Eishockey erzogen habe.“ Jonathan Wilson ist überzeugt: „Wäre Khomich noch ein weiteres Jahr länger geblieben, hätte die Entscheidung auch gut andersherum ausfallen können.“
Jaschin wird Dynamos neue Nummer eins – vor Walter Sanaja, der 1946 von Dynamo Tiflis zum Namensvetter in Moskau gestoßen war. Sanaja ist vier Jahre älter als Jaschin, misst aber auch zehn Zentimeter weniger. 1953 macht Jaschin 13 Ligaspiele und gewinnt im Herbst mit Dynamo den Pokal. In diesem Jahr wurde er somit zweifacher Pokalsieger: als Eishockeyspieler und als Fußballer. Anschließend will ihn sein Trainer nicht mehr auf dem Eis sehen, weil er um die Knochen seines neuen Stars fürchtet. Sanaja, der immer weniger Einsätze bekommt, wechselt 1954 zurück nach Tiflis und lässt anschließend seine Karriere bei Neftjanik Baku ausklingen. Seine Tochter Marina ist als Eiskunstläuferin bei den Olympischen Winterspielen 1972 dabei.
Jaschin ist nun de facto Profi. Walentina Jaschina: „Als Fußballspieler hat Lew natürlich nie gearbeitet. Die Spieler waren zwar offiziell keine Berufsspieler. Sie waren formal bei Ministerien und staatlichen Unternehmen angestellt. Am Ende seiner Karriere war Lew Oberst im Innenministerium. Er nahm an offiziellen Feiern des Ministeriums teil, aber einen Dienst hat er dort nicht verrichtet.“
In der Bundesrepublik Deutschland sind zu dieser Zeit auch die Besten der Besten nur sogenannte Vertragsspieler. Sie müssen einen Beruf ausüben, und ihre monatlichen Gehälter dürfen zunächst 160 DM, später 320 bzw. 400 DM (1958) nicht überschreiten. Der deutsche Oberligaspieler kann von den Trainingsbedingungen, der Rundumversorgung und Entlohnung eines Dynamo-Akteurs nur träumen. 1952 berichtet der Spiegel: „‚Dynamo‘, der Sportclub des sowjetischen Innenministeriums, hat ein eigenes Stadion mit Schwimmbad, Gaststätte, Tennishalle und Kino. Die Wohnungen aller ‚Verdienten Sportler‘ des Clubs liegen im Stadiongelände. Im Sommer wie im Winter fahren die Aktiven in ein clubeigenes Krim-Sanatorium. Die Spitzensportler arbeiten nur dem Scheine nach. Ihr Gehalt schwankt zwischen 3.000 und 4.000 Rubel im Monat (1 Rubel ca. 1 DM), einschließlich der Prämien für jedes Spiel. Für Reisen gibt es nur das Flugzeug.“
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