1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Wenn sie auch standhaft blieb, Bertina, damals im Stall — irgendwie war es dennoch ein Sündenfall, und die Stimme an ihrem Ohr hatte nicht umsonst geflüstert und gelockt. Gewiss war Bertina bis vor kurzem noch ziemlich unwissend und unberührt von den Stürmen der Liebe. Doch jäh war etwas in ihr erwacht. Sie schaut auf Leif nieder, der sich über einen Stein geworfen hat und seine Muskeln toben lässt. So grausam ist bei den Menschen die Liebe: Völlig unerschüttert kann Bertina Leifs Leidenschaft sehen, und sie achtet nicht den Schmerz, den er um sie leiden muss.
Weil aber der Stein unter ihm zu gross war und nicht nachgab, wollte Leif auf anderem Wege versuchen, das Hindernis, das sich da unversehens vor ihm aufgetan, zu überwinden; er wollte es kurz entschlossen mit Handgewalt versuchen. „Worauf warte ich denn?“ fragte er. „Soll ich vielleicht zuschauen, wie der Affe von Kongshaugen dich mir vor der Nase wegschnappt? Jetzt habe ich dich — jetzt nehm ich dich ... Ja, beim Hunde, ich nehm dich mit allen deinen schwarzen Haaren und deiner Verrücktheit ...“ Und er machte sich wahrhaftig daran, sie vom Steinwall herabzuziehen. Er streckte seine langen Arme aus und meinte wohl, es sei nichts Besonderes dabei.
Dann traf ihn Bertinas Blick, und er zögerte. Ein geheimer Zauber schien von ihr auszugehen. Sie sagte leise, fast sanft: „So, scher dich jetzt weg ... Du wirst ekelhaft, und ich mag dich nicht mehr sehen.“
Das traf ihn wie ein Faustschlag. Er gab den Angriff ohne weiteres auf. Seine Lippen waren blau geworden und zuckten heftig. Mit runden Augen starrte er Bertina an, brachte aber kein Wort hervor und liess den Kopf sinken. Ohne den Kopf wieder zu heben, entfernte er sich, ging über die Wiese und verschwand im nahen Wald. Bertina folgte ihm mit den Augen, und es schien ihr unmöglich, dass es eine Zeit gegeben, da sie an seiner Seite durch diesen Wald geschritten. Zum erstenmal hatte sie vorhin unter den rostbraunen Barthaaren die rohe Form seines Mundes bemerkt ...
Bertina wusste sehr wohl, dass Leif sich am Waldrande niedergeworfen hatte und dass er sie von dort her belauerte. Doch sie fühlte sich so völlig sicher, dass sie aufs neue die Augen schloss. Und so sass sie, in wunderlichem Staunen und tiefer Versunkenheit.
Zwei, dreimal kam vom Waldrande her ein Pfiff. Bertina hörte es nicht. Die Sonne sank in den Föhrenwald; eine ungeheure Feuergarbe schoss in den blassgrünen Himmel empor. Eine graue Bachstelze trippelte auf fadendünnen Beinchen auf dem Steinwall heran; als sie durch irgend etwas erschreckt aufflatterte, erwachte Bertina aus ihrem Traum. Mit einem Seufzer glitt sie auf die Wiese nieder und ging gegen den Hof zu; nicht ein einziges Mal schaute sie sich um. Und so schritt sie dahin, von der heimlichen Herrlichkeit der Abendröte umflossen.
Am Waldrande hingegen lag noch immer ein Mann. Der brach Zweige von den Büschen und zernagte sie mit seinen grossen, gelben Zähnen, der spuckte Späne aus und murmelte Verwünschungen. Zuweilen stach er mit seinem grossen Messer gefährlich in den schwarzen, feuchten Erdboden.
Allerlei Unordnung war ausgebrochen durch des Kontoristen Autun Eingreifen in die Verhältnisse auf Kongshaugen. Autun selber ahnte es nicht.
Er hatte nur vernommen, dass Herr Erling plötzlich ein Auge auf die Pächterstochter von Mykja richtete, dass sogar ein Zimmer bereit stand. Dieses alles hatte Autun natürlich von Marlene vernommen, denn Marlene zeigte nur geringe Begeisterung für den Einzug Bertinas. Jeder muss mit den Waffen kämpfen, die ihm gegeben sind. Marlene kämpfte mit List und geheimer Diplomatie.
Obschon er nie ein grosser Menschenkenner gewesen, der alte Autun, so merkte er doch, dass Herrn Erlings Blut mächtig aufwallte. Es bedurfte dann nur Marlenens kleinen Kunstgriffs, und Autun entschloss sich abermals einzugreifen. Um die Gefahr beizeiten abzuwehren, wagte er es und nahm auch diese Angelegenheit in seine Hand. „Ist das wirklich so, dass Marlene gehen soll?“
„Marlene?“ fragte Herr Erling überrumpelt. „Wer behauptet das?“
„Soviel ich vernommen habe, soll Bertina von Mykja hier eintreten ...“
Doch bleibt es stets eine gefährliche Sache, wenn das Blut der Menschen in Brand gerät. Es ist dann nicht so einfach und geradehin, die Fäden in seiner Hand zu halten. Dieses führte zu einer kleinen Konferenz auf dem Privatkontor. An sich war die Lage der Dinge ja einfach genug; Herr Erling brauchte nur daran erinnert zu werden, dass der Luxus mit zwei Mägden gegen die Abmachung verstiess. Man musste ihm klarmachen, dass er ein wenig an Händen und Füssen gefesselt war. Wohl sass er noch immer hinter seinem grossen Tisch, und der Kontorist stand davor. Der Kontorist wandte sein Antlitz zu Boden, und seine Stimme war behutsam; aber er sagte: „Das Schicksal von Kongshaugen steht auf dem Spiel. Entschuldigen Sie.“
„Was in aller Welt?“
Autun weicht aus. „Bertina ist zu gut für ein kleines Abenteuer.“
„Ich denke gar nicht daran“, entfährt es Herrn Erling.
„Haben Sie denn ernste Absichten?“ fragt Autun verblüfft.
Wie wird doch Herrn Erlings Gesicht jetzt dunkel, und wie traurig wird sein Blick. „Ich weiss nicht, was ich dir darauf antworten soll“, gesteht er.
Nun begreift selbst Autun, dass diese Angelegenheit sich nicht mit zwei Worten ordnen lässt.
Wenn es darauf ankommt, will Herr Erling Marlene opfern, er will Jarl opfern — dies und das und jegliches. Wie schwer ist es doch, Herzen zu lenken und Menschen zu regieren.
Ein tiefer Graben tut sich auf zwischen diesen zwei Männern, die das Leben so eng zusammengebracht. Das Blut bleibt auch in diesem Falle Sieger; der alte Autun unterliegt. „Ich meinte es gut“, murmelt er verlegen. „Alles für Kongshaugen — das sollen Sie nie vergessen.“
„Nein, nein ...“
Aber der Graben ist da und kann nicht übersprungen werden. Jeder steht auf seiner Seite. Damit wird es Ernst.
Herr Erling besteigt abermals den Schimmelhengst Jarl und reitet über den Berg nach Sudalen zum Hofbauern Leif ...
Dieser junge und stürmische Freier war indessen noch zweimal in Mykja gewesen, da seine erste Auseinandersetzung mit Bertina nicht zum Ziel führte. Genau wie zu früheren Zeiten schlich er unter das Küchenfenster und pfiff. Er pfiff umsonst. Als er eine Handvoll Kieselsteine hinaufwarf, regte sich etwas. Das war Bertina selber, und sie fragte: „Was treibst du schon wieder für Unfug, Mensch?“
„Komm sogleich zu mir hinter die Scheune“, befahl Leif. Schwer geladen mit Empörung und siedend von Entschlüssen war er; das bekundete sein fester, bestimmter Ton. Er fühlte sich im Recht. „Pein und Tod — heute wird ein ernstes Wort geredet, du ...“
„Oh, du Leif, du Leif! Du musst dich eben darein finden.“
Leif fängt wieder an zu hüpfen: „Sören und Samuel und Satan — komm hinter die Scheune, hab’ ich gesagt — willst du nicht?“
„Was soll ich hinter der Scheune?“ erkundigte sich Bertina kalt. „Nein, dazu habe ich keine Lust.“ Damit dreht sie sich um und geht wieder ins Haus zurück.
„Ich sehe, dass du noch ebenso verrückt bist wie das letztemal“, ruft Leif ihr erbittert nach.
Umsonst alle Mühe, alle Bitten, alle Drohung.
Bertina schloss die Tür hinter sich. Auf dem Tun von Mykja stand also Leif, starrte die verschlossene Tür an und dachte sich einiges dabei. An diesem Abend wollte er sich nicht abweisen lassen; sondern es sollte endlich etwas Entscheidendes geschehen.
Leif bewies grosse Ausdauer und bewachte die Tür, trieb sich auf dem Tun herum, bis alle Lichter erloschen, pfiff zuweilen, warf zuweilen Sand und Kiesel — bis nicht die geringste Hoffnung übrigblieb. Zuweilen redete er laut. Erst nach Mitternacht ging er fort.
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