Hierauf erschien also Bertina. Der Pächter Asbjörn selber brachte sie mit dem Wagen aus dem Mykjatal herunter, dazu ihre grosse, buntgemalte Kiste.
Dieser Pächter schaute nicht mehr umständlich vor sich nieder und suchte die Stelle am Boden aus, auf die er seinen grossen Fuss setzen durfte. Ganz im Gegenteil; Asbjörn schritt selbstbewusst über den Hof von Kongshaugen und schnaufte lauter als nötig, als er Bertinas Kiste vom Wagen hob. „Steh nicht nur so herum, du Mädchen“, sagte er barsch zu Marlene. „Fass an!“
Damit kam er allerdings bei Marlene nicht ganz an die Richtige. „Was brüllst du so?“ erkundigte sie sich, indem sie ihren Blick ungefähr auf des Pächters Knie richtete. „Du hast hier nichts zu kommandieren, alter Knebel“, sagte sie hochfahrend. „Und wenn deine Kiste nicht Beine hat, musst du sie schon selber tragen.“
„Das sollst du bereuen“, verhiess der Pächter, hob Bertinas Effekten ohne fremden Beistand auf die Schulter und trug sie ins Haus. Er trug sie nicht ohne Würde und wandte sich dem Haupteingang mit den zwei geschnitzten Eichentüren und den schweren Messingbeschlägen zu. Aber Marlene huschte flink wie ein Wiesel an ihm vorbei und verschloss die Tür vor seiner Nase. „Was ficht dich nur an, du Mann mit deiner Kiste?“ rief sie. „Siehst du denn nicht, dass dieses der Herrschaftseingang ist?“
Da half dem Pächter aller Hochmut nichts; er musste den Küchenweg nehmen. Nun wohl, Asbjörn war der Mann, der auch diesen Weg mit Würde zu gehen vermochte.
Der Empfang auf Kongshaugen war nicht so unmässig glänzend; Herr Erling stand nicht selber am Fenster und winkte mit der Hand. Wie hätte jemand solches erwarten dürfen? Dem Pächter Asbjörn schien es auch ohnedies ein rechter Glückstreffer, denn er war ein vernünftiger Mann und zufrieden mit dem, was ihm das Schicksal freiwillig bescherte. Die Magd Marlene, die ihm voranschritt und ihn herausfordernd betrachtete, würdigte er keines Wortes mehr. „Hier ist ihr Zimmer“, sagte Marlene und stiess eine Tür auf. Der Pächter stellte die Kiste nieder, ging wieder durch die Küche hinaus und bestieg seinen Wagen.
Aber er schnalzte zuversichtlich mit der Zunge. Asbjörn hatte jetzt selber zwei Mägde auf Mykja und konnte nach Herzenslust kommandieren und dominieren ... Heissa, hussa — trabe ein wenig, gutes Pferdchen! Du kannst dich darauf verfluchen, vom Gaard Mykja wird hinfort kein Pachtschilling mehr eingetrieben ...
Möglicherweise war selbst dieses noch nicht ganz moralisch, doch die Dinge entwickelten sich dabei hervorragend.
„Du sollst gleich zu ihm hinübergehen“, sagte in der Küche Marlene zu Bertina.
Gut. Was geschehen muss, das geschieht stets und überall und lässt sich durch Menschenlist und Menschenwillen nimmer aufhalten. Die Tür des Privatkontors öffnete sich, und herein schritt Bertina; ihr Gesicht war noch undurchdringlicher als das erstemal ... In sieben schillernde Schleier gehüllt, schwebte Bertina heran. Sie richtete ihre dunkelglühenden Augen auf Herrn Erling und wartete neben der Tür. Und als Herr Erling sich nicht bezähmen konnte, sondern hinter seinem grossen Tisch hervorsprang, spielte ein verstohlenes, sanftes Lächeln um ihren Mund.
Wie ein kleines Mädchen führte er sie an der Hand zu einem der mächtigen Ledersessel hin. Darin versank die Tochter von Mykja, versank in einer weichen Wolke. Wie ein Märchen wurde alles auf einmal: Reichtum, traumhafte Pracht und ein Ahnen von überirdischen Freuden. Barhäuptig kam Bertina nach Kongshaugen.
Ihr Kleid war einfach, doch vom Schnitt der Tagesmode; also sehr kurz und liess ein gutes Stück von den schlanken Beinen sehn. Sie war doch wohl nicht so völlig unwissend, die schöne Tochter Asbjörns — weshalb hätte sie sonst diese feinen Seidenstrümpfe über ihre Beine gezogen? Hauchdünne, schwarze Seidenstrümpfe, durch die ihre Haut hell und zart schimmern durfte. Ach, das mag auch nur der Zug der Zeit gewesen sein — alle Weiblichkeit wollte die Beine zeigen. Hätte Bertina allein einen langen Rock und Wollsocken anziehn und sich schämen sollen?
„Ich bin sicher“, sagte am Abend Marlene zu ihren Freundinnen im Städtchen, „sie schnitt noch Handbreit von ihrem Rock ab, ehe sie die Höhle von Mykja verliess. Ja, ich muss sagen — fast wagte ich nicht hinzuschauen ...“
Doch da sass also Bertina in diesem Ungeheuer von Klubsessel, legte ihre Arme auf die breiten Polster und lehnte sich zurück. Herr Erling wagte hinzuschauen. Lieber Gott, dachte er überquellenden Herzens.
Da er hiermit abermals ein Kavalier und ein grosser Herr war, griff er in die Tasche und holte ein Päcklein hervor. „Sei so gut, Bertina — öffne es.“
Ein Ringlein. Ein goldenes Ringlein mit drei hellen Steinen, mit drei Sonnensplittern, die blaue Blitze warfen. Sie spiegelten sich in Bertinas Augen; eine feine Röte zog ihr langsam vom Halse empor.
„Trag ihn in Gesundheit“, sagte Herr Erling.
Hierauf kam eine Überraschung.
Das Brillantengefunkel in Bertinas Augen wurde noch lebhafter, ja ihre Augen schimmerten verräterisch, und ihr rundes Kinn zuckte ein wenig. Aber sie lächelte und sagte: „Tausend Dank ... Nein, den Ring darf ich nicht annehmen.“
Was in aller Welt?
„Es ist das wenigste, was ich dir zum Willkommensgruss schenken könnte“, sagte Herr Erling.
Aber nein.
„Nein“, erklärte Bertina, „dieses darf nicht sein.“
„In des Himmels Namen!“ rief Herr Erling bestürzt.
Das war ihm neu. Doch er musste sich darein finden, denn er begriff bald, dass es nein blieb, wenn Bertina nein sagte.
„Sie sollen sich meinetwegen keine unnötigen Ausgaben machen“, sagte Bertina noch. „Sonst darf ich nicht auf Kongshaugen bleiben ... Sie hätten das nicht tun sollen ... und nun lege ich ihn wieder hier auf den Tisch.“
Auf der Messingplatte des Rauchtisches lag ein Ring und funkelte. „Hat man je so etwas erlebt“, staunte Herr Erling. „Willst du ihn nicht wenigstens einmal anprobieren?“
Zum erstenmal senkte Bertina ihren Blick und sagte leise: „Wenn ich doch noch zu Ihnen kam, so kam ich nicht um Gold und Gut.“
Grosser Gott, dachte Herr Erling abermals bei sich selber.
Sicherlich übertrieb Bertina ein wenig. Aber es war doch grossartig, wie sie hierauf gehorsam den Goldring an ihren Finger steckte, in rührender Befangenheit Herrn Erling ihre Hand überliess, so dass er den Ring daran betrachten konnte, und wie sie den Ring dann wieder auf den Tisch legte. Doch es war auch unheimlich zu gleicher Zeit.
Herr Erling griff nach ihrer Hand, zog sie an sich und fragte mit einem Beben in der Stimme: „Warum, Berlina, bist du denn zu mir gekommen?“
„Ich hörte, dass es Ihnen nicht gut ging“, gestand Bertina offen.
Bertinas Einzug auf Kongshaugen gestaltete sich doch ganz anders, als Marlene und alle Welt erwarteten. Wohl am schlimmsten traf es Herrn Erling selber. Der Pächterstochter gegenüber fühlte er sich vollständig hilflos ... Dieses Mädchen verlässt sein Vaterhaus, nimmt das Geschwätz der Stadt auf sich und kommt nach Kongshaugen, nicht um zu nehmen, sondern um zu geben. Das begriff Herr Erling nicht, nein, das begriff er durchaus nicht. „Wie?“ fragte Herr Erling sich selber, „wie soll denn dieses Mädchen behandelt werden?“
Alle seine Erfahrungen und Kenntnisse der in- und ausländischen Frauenwelt halfen ihm wenig. Sie alle, die früher in seinem Leben auftauchten, sie kamen und nahmen irgendwie und gingen wieder. Und er vergass sie bald. Dieses hier war etwas Neues und Unbegreifliches schon vom ersten Augenblicke an. Mit einem Gemisch von Neugierde und Ängstlichkeit ruhte Herrn Erlings Auge auf seiner neuen Magd.
Wohl kam dann schliesslich doch noch das, was kommen musste. Aber es kam nicht am ersten Tage und auch nicht am zweiten, und es kam überhaupt so unbegreiflich und fast feierlich. Wenn Herr Erling seine Magd auch schliesslich eroberte, so war er deswegen noch lange nicht der Sieger. Der Sieger? Gott helfe Herrn Erling, er musste wahrlich noch viel lernen zu dem, was er schon konnte.
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