Karl Friedrich Kurz - Herr Erlings Magd

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Mit der Liebe zu Bertina, Tochter des Pächters Asbjörn, die den zurückhaltenden Herrn Erling in nicht mehr ganz jungem Alter geradezu überwältigt, beginnt die unglaubliche Kongshaugen-Saga. Sie erzählt von drei Familien, die über Generationen hinweg in Erfolg und Niederlagen, in Liebe und Hass, im Leben und im Tod miteinander verbunden bleiben. Alles beginnt an dem Tag, als Bertina Schloss Kongshaugen betritt, auf dem Herr Erling das Erbe seines hochangesehenen Vaters weiterführt. Die schönen Kleider, den Schmuck: Nichts nimmt das stolze Mädchen an, das nur ihre Liebe schenken will. Als Schloss und Vermögen verloren sind, verschwindet Herr Erling. Mit Bertinas Sohn Einar, der seinen Vater als alten Mann noch kennenlernen wird, beginnt die Geschichte der drei Töchter Marlenes, die damals als Dienstmädchen auf Kongshaugen mit argwöhnischen Augen Herrn Erling und Bertina beobachtete. Der leidenschaftliche Halfdan, der kluge Kaufmann Thor, Arne Wijk, der junge Richter, der mysteriöse Nils Heidam und auch Einar verstricken sich in Liebe, Eifersucht und Konkurrenz zu den Töchtern. Am Ende werden alle ihr Glück finden, so wie der alte Asbjörn: Dem hatte Herr Erling einst als Ersatz für die Tochter zwei junge Mädchen auf den Hof geschickt – vier nackte Beine in einem heißen Sommer – eine weitere Geschichte …Ein verschwenderisch erzählter Mehrgenerationen-Roman!-

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Karl Friedrich Kurz

Herr Erlings Magd

Roman

Saga

Herr Erlings Magd

© 1947 Karl Friedrich Kurz

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711518441

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

Der alte Autun rettet Kongshaugen

Vater und Sohn

Das Städtchen liegt nicht dort unten im heissen Herzen der Welt, wo das Leben unbändig und unbegreiflich dahinbraust, nein, es liegt am öden Gestade einer einsamen Felsenküste. Aber es ist dennoch das, was man hierzulande einen aufblühenden Ort zu nennen pflegt; also eine Ansiedlung, von der der Staat seine guten Steuern erhebt. Die Bevölkerung lebt von allerlei Handel und Verkehr, von verschiedener Art Umsatz. Einige ziehen ihre Beamtengehälter, Arzt und Apotheker leben hier, wie anderorts, von den Kranken; es gibt Handwerker und Lediggänger — kurz, das Städtchen regt sich und gedeiht auf seine Weise.

Auf den ersten Blick mag es fast seltsam erscheinen, dass diese Ortschaft gerade hier zwischen den Klippen und Felsen und nicht sonstwo liegt; als ob sich nicht Raum im Überfluss fände nach allen Richtungen hin. Sie muss nach unerforschlichen Gesetzen entstanden sein und nicht aus Notwendigkeit. Aber hinfort liegt sie nun da, seit Menschengedenken. Krieg und Friede, Himmelssegen und Erdennot fuhren darüber hin; sie überlebte beides. Nie zog sie die Gier fremder Eroberer auf sich und forderte auch nicht in anderer Weise das böse Schicksal heraus.

Noch erinnern sich alte Leute sehr wohl der Zeit, da das ganze Land verschuldet und verkümmert war, da das Staatsgeld, trotz aufgedruckter Kronen und Löwen, kaum noch einen gangbaren Wert hatte. Die Alten erinnern sich auch noch der Zeiten, da die schwerfälligen Raasegeljachten der Küste entlang kreuzten, bis zum Sinken gelastet mit rechtschaffenen Heringstonnen und Mehlsäcken. Damals legten die Bauern und Fischer ihr Vermögen in Silberlöffeln an, so dass sie jederzeit ihren Reichtum in der Truhe vorweisen konnten.

Die Jugend kümmert sich heute nicht sonderlich um Truhen und Silberlöffel und auch nicht um die Erzählungen der Alten. Die Jugend schaut ein wenig mitleidig über die Schulter zurück auf das, was einst gewesen.

Und doch gab es selbst in dieser kleinen Stadt beachtenswerte Ereignisse. Es gab sowohl Hochkonjunktur als Krisentage, genau wie in andern Weltstädten.

Der Kaufmann Nikolaj Hankö zum Beispiel wandelte unter einem freundlichen Gestirn. Ausserdem war er gewiss schon von sich aus ein strebsamer und tüchtiger Mensch, der sein Geschäft, durch kluge Ausnutzung der vorhandenen Umstände, in wenigen Jahren derart in die Höhe brachte, dass er unten am Hafen die gewaltigen Lagerhäuser bauen konnte und bald der grösste Fischaufkäufer und Fischtrockner der Gegend wurde. Nikolaj wurde ein Händler von Format, ein Fischhändler, der seine Ware auf eigenen Schiffen verfrachtete, vom Lagerhaus direkt ins Ausland führte und dementsprechend ungeheure Prozente zog. Da musste er natürlich reich und immer reicher werden.

Als er so viel Vermögen angesammelt hatte, dass es sich nicht mehr in seinen Truhen bergen liess, kaufte er alles Land hinter der Kirche — wahrlich ein weites Land mit zwei Haupthöfen und fünf Aussenwerken und einem richtigen See dazu. Um den See und alle Äcker und Wiesen und Weiden zogen sich dunkle Föhrenwälder, bis zu den Klippen im Norden, die steil ins Meer abfallen.

Nikolaj Hankö fühlte sich da so gross und sicher in seinem Reichtum, dass er aus lauter Übermut auf dem Hügel am See ein Haus mit Erkern und vielen Giebeln baute, ein grosses Haus mit vielen Fenstern; es glich einem Schloss. Er nannte es Kongshaugen, und er schaltete und waltete darauf in Wahrheit als ein grosser Herr, als ein kleiner König.

Durch den Wald am Hügel zog er verschlungene Wege, die eigentlich keinen andern Nutzen taten, als dass sie hin und her liefen; er nannte es Park. Ausserdem hielt er Pferde und eine zahlreiche Dienerschaft. Alle Pferde waren schwarze Hengste, und die Dienerschaft sprach sehr leise und behutsam, wenn der Herr in der Nähe war.

„Nikken mit dem Barte“ nannten die Leute im Städtchen diesen gewaltigen Herrn und schauten zu ihm auf wie zu einem höheren Wesen, weil ihnen sein rascher Aufstieg als ein Wunder erschien. Aber sie waren nicht wenig stolz auf ihn und missgönnten ihm weder Reichtum noch Grösse. Obschon er zuweilen mit Strenge regierte, fügten sie sich ohne Murren seinem Willen und beugten ihre Nacken vor dem Bevorzugten. Das fiel ihnen um so leichter, da Nikolaj Hankö nicht von Anfang an auf ihrem Boden aufwuchs und daher nie völlig ihresgleichen gewesen.

Unscheinbar und als Fremder tauchte er eines Tages im Städtchen auf, schritt die Gassen auf und nieder und sah sich um, erwarb ein Grundstück, gründete seinen Fischhandel und wurde dann bald das, als was er sterben durfte. Und als er tot war, ehrten die Leute ihn noch mehr. Sie nannten ihn unter sich nur noch „Grossbart“ und spannen hundert kleine Geschichten um sein wunderbar erfolgreiches Leben.

Nach Herrn Nikolaj kam Herr Erling, der Sohn. Dem Sohn erzeigte sich die Konstellation der Gestirne minder gnädig. Zwar erhielt dieser Sohn und Erbe und Stammhalter eine überaus flotte Erziehung; an seiner Ausbildung wurde wahrlich nicht gespart. Alle möglichen Schulen, sowohl im Inlande wie im Ausland, musste er besuchen; schon mit vierzehn Jahren trug er einen dicken, goldenen Siegelring am Zeigefinger der rechten Hand, und bei den geringsten Anlässen trug er schon damals einen schwarzen Frack mit langen Schwänzen. Nach seiner Rückkehr aus England zog der junge Herr Erling sogar an jedem gewöhnlichen Abend seine Alltagskleider aus und setzte sich, zum Erstaunen der ganzen Dienerschaft, in seinem schwarzen Frack an den Tisch.

Aber an das grosse Haus auf Kongshaugen, das schon vordem mehr als dreissig Fenster und zwei Türen hatte, liess er einen Flügel mit weiteren zwanzig Fenstern und zwei weiteren Türen anbauen. Die Leute anerkannten guten Herzens auch den neuen Herrn und bewunderten ihn, und sie sagten unter sich: „Kongshaugen — das ist jetzt schon mehr als kolossal ... Passt nur auf, der junge Herr Erling stellt unsern guten alten Grossbart noch in den kalten Schatten ...“

Wenn Herr Erling sich auf etwas ausgezeichnet verstand, so war es das, sich dem Volk als ein echter Häuptling zu zeigen. Nicht umsonst hatte er seine teure ausländische Bildung erworben; er brachte einen Hauch der grossen Welt in diese kleine Küstenstadt. Kaum hatte er die Herrschaft über Kongshaugen angetreten, liess er sich aus England einen Haushofmeister kommen, eine würdige und prachtvolle Persönlichkeit, die den Befehl über die gesamte Dienerschaft übernahm und vom Morgen bis zum Abend weisse Handschuhe trug. Es hiess, der Oberdiener höre auf den Namen John und er behalte seine weissen Handschuhe an, wenn er des Morgens dem Herrn Kinn und Oberlippe glattrasiere. Das mag sich nun wirklich so oder auch anders verhalten, jedenfalls ging es zu jener Zeit auf Kongshaugen hoch her.

Herr Erling hob sich in jeder Beziehung über die Vergangenheit empor; darum hielt er anstatt der schwarzen Hengste des Vaters nur noch schneeweisse Schimmel. Im übrigens erwies er sich als ein gütiger und überaus rundhändiger Herr; etwas hochmütig vielleicht, ein wenig überlegen — aber lieber Himmel, wie sollte ein Mann, den das Geschick schon vom ersten Tage an auf einen so hohen Platz stellte, seinen Kopf nicht stolz auf den Schultern tragen dürfen?

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