Wie er nun so den See entlang galoppierte und Jarl schnaubte und weisse Schaumflocken nach beiden Seiten blies und das Lederzeug knirschte und der Wind leise um seine Ohren sang, wähnte Herr Erling sich ungeheuer mächtig. Er wähnte sich unwiderstehlich, und er meinte wohl, es sei ein hervorragender Einfall, dieserart auf den Gaard von Mykja zu reiten.
Wenn er aber glaubte, der Pächter Asbjörn werde mit der Fellmütze in der Hand auf dem Tun stehn und die Tochter Bertina werde errötend und beschämt herbeieilen, so täuschte er sich gewaltig. Verlassen und tot lag der Hof da und glich mit seinen grauen Gebäuden einer düstern Burgruine. Kein Zuruf, kein Gruss, keine Ehrerbietung. „Ei der Teufel“, sagte Herr Erling, fluchte und versündigte sich. Er richtete sich noch steiler im Sattel auf und ritt, ohne mit der Wimper zu zucken am Wohnhaus vorbei. Nicht einen einzigen Blick warf er zum Fenster hinauf, ob sich vielleicht dort ein dunkler Mädchenkopf zeigte. Jetzt, dachte er wohl in seinem Sinn, soll hart auf hart treffen.
Herr Erling ritt quer durch den Föhrenwald nach Sandnes. Der Pächter Eilif war übrigens auch ein Mann, der junge Weiblichkeit im Hause hatte. Dieser Mann besass sogar vier Töchter. Alle vier hatten rührend blondes Haar und dazu blaue Augen; frisch und rotwangig und gut gewachsen waren sie, eine wie die andere. Ausserdem bezahlte Eilif seinen Pachtschilling sogleich, als er Autuns Brief erhalten hatte. Deshalb durfte er nun unerschrocken, aber ehrerbietig auf dem Tun stehen. Eilif nahm die Fellmütze ab, als Herr Erling angeritten kam.
„Ich komme nur so zufällig in deiner Gegend vorbei“, sagte Herr Erling.
Der Pächter Eilif aber wollte die Gelegenheit ausnutzen und ein wenig Neuigkeiten vernehmen. „Wie ich höre, wurde dort unten befohlen, dass sich mehrere Netzmannschaften zur Ausfahrt rüsten sollen. Aber das wird nur loses Gerede sein, da ich bis zur Stunde keine Aufforderung erhielt ...“
„Sollte Autun dich wirklich vergessen haben?“ fragt Herr Erling. „Ja, es geht ihm in diesen Tagen gar manches durch den Kopf. Er will übrigens nur zwei Boote ausschicken.“
Worauf Eilif sich betroffen und zurückgesetzt fühlt, da auch er, so gut wie irgendeiner, zur alten Garde gehört. „Der selige Herr Nikolaj hat mich nie übergangen“, sagt er.
„Ein kleines Versehn, du Eilif. Ich werde ihn daran erinnern.“ Herr Erling zieht ein winziges Büchlein aus der Tasche und einen goldenen Bleistift, schreibt ein paar Worte und nickt.
Es wurde ein Ereignis für Sandnes. Der Hengst Jarl scharrte und schnaubte dazu, und die vier blonden Mädchen zeigten sich überall, auf der Treppe, am Fenster, unter der Haustür. Sie hatten in der Scheune und im Vorratshaus zu tun. Wenn sie an Herrn Erling vorübergingen, knicksten sie und beugten ihre Knie, und wie hübsch sie dabei erröteten.
Vielleicht hatten sie ein paar Sommersprossen im Gesicht; waren aber sonst überaus zart und lieblich. Herr Erling fragte sich selber, ob diese vier wohl lange zögern würden, wenn man sie nach Kongshaugen gerufen hätte. Weiss der Kuckuck, dachte er, wie eine gewisse Dame auf den närrischen Gedanken verfallen konnte, sich unnötig zu zieren und rar zu machen. Wer sollte klug werden aus dieser Pächterstochter Bertina — aber sie hatte nun einmal ihr dunkles Haar. Und sie hatte ausserdem, Gott verzeihe ihr, so vielerlei andere Seltsamkeiten an sich ...
„Hei, du Mädchen mit den blonden Zöpfen!“ rief er keck. „Möchtest du wohl meinem Pferd einen Schluck Wasser geben?“
„Warum denn nicht“, rief Eilifs Tochter und zeigte sich sogleich bereit. Sie wusch zuerst den Eimer am Brunnen und füllte ihn bis zum Rand. Ja, sie wollte es so gut wie nur möglich machen; sie hielt den Eimer zwischen ihren Knien, als Jarl den Kopf senkte. Und während er trank, streichelte sie seinen glatten Hals. „Er ist das schönste Pferd, das ich je gesehen habe“, sagte sie und richtete einen schnellen Blick auf den Reiter. Dann fing sie an bis an den Hals dunkel zu erglühen.
Zerstreut schaute Herr Erling auf ihren runden feinen Nacken und auf das zierliche Haargekräusel darüber. Dann schüttelte er leise, fast traurig den Kopf und wandte sich zum Pächter zurück: „Fast hätte ich es vergessen, du Eilif ... Ich brauche noch ein paar Arbeiter. Die Stallungen sollen umgebaut werden. Verstehst du dich auf Zementguss und so?“
„Meiner Seel, daran fehlt es nicht!“ ruft Eilif erfreut.
„Melde dich morgen bei Magnus.“ Mit der Spitze seiner Reitgerte kitzelte er die Tochter leicht im Nacken, dankte und ritt davon. Die Reitgerte hatte einen goldenen Griff. Wahrlich, das war eine wichtige Begebenheit für Sandnes.
Und die junge Dame Bertina bildete sich doch gar zuviel ein auf ihre dunklen Reize. „Haha“, lachte Herr Erling. Hat man je zuvor etwas Ähnliches von Hochnäsigkeit erlebt in dieser Gegend? Demnach, meinte Herr Erling, fände sich gar kein realer Grund mehr, stumm und stolz und unbemerkt an Mykja vorüberzureiten. So, wie die Dinge nun einmal lagen, konnte er sehr wohl auf den Tun traben, bis unter die Steintreppe, bis an die Hauswand heran. Ein scharfer Schlag mit der Reitpeitsche gegen die grauverwitterten Planken: „Hallo! Asbjörn — schläfst du?“
„Ja, beim Hunde, ich schlief ... Ist das nicht Herr Erling selber?“ rief der Pächter und konnte, wie gewöhnlich, das rechte Wort nicht finden.
Diesmal schielte Herr Erling doch nach den Fenstern empor, über den schwerfälligen Pächter hinweg. Alles vergeblich — kein Gesicht hinter der Gardine. Auf Mykja wollte keine Tochter erscheinen und sich irgendwo etwas zu schaffen machen. Niemand knickste, beugte das Knie und errötete. Hier verlohnte es sich kaum, auf dem feurigen Jarl zu sitzen und mit dem Sattelzeug zu knarren. Trotzdem zog Herr Erling das winzige Büchlein und den Goldstift aus der Westentasche. „Ich reite herum und suche Leute“, sagte er. „Wir haben mit Bauarbeiten begonnen. Komme morgen früh nach Kongshaugen herunter ... Wo hast du deine Tochter?“ fragte er in überflüssiger Strenge. „Ruft man sie nicht Bertina?“
„Doch — und vielen Dank“, antwortete der Pächter Asbjörn verwirrt. „Also morgen früh? Ich werde zur Stelle sein ... und Bertina heisst sie, das ist sicher ...“ Und dann leuchtet sein Gesicht plötzlich auf; ein Gedanke kommt ihm, er steigt schnell die Steintreppe hinauf und ruft in den dunklen Gang: „Bertina — hörst du, Mädchen? Sogleich komm heraus ...“
Stille.
Asbjörn schaut Herrn Erling verständnislos an und murmelt: „Oh, dieses Frauenzimmer ...“ Auf einmal empört er sich, haut mit der Faust auf die Tür: „Bertina ...“
Im dunklen Hausgang taucht Bertina auf, in kurzem Rock, die Ärmel hoch aufgekrempelt, sie trägt einen Milcheimer in der Hand. In Holzschuhen steht sie da, ohne Strümpfe und ist dennoch von einer seltenen Lieblichkeit.
Der Pächter Asbjörn, froh, dem Gesichtskreis des Herrn entzogen zu werden, verschwindet eilig im Haus. Und dort oben steht also bescheiden und still Bertina. Wiederum wird es so unbegreiflich, so über alle Massen verwunderlich. Vor diesem schlichten Bauerndirndlein verliert Herr Erling seine Sicherheit, seine Überlegenheit und ist nicht länger der Prinz. „Wie, Bertina?“ fragt er mit hilflosem Lächeln. „Du willst in den Kuhstall? Kannst du denn melken ...?“
„Ob ich melken kann?“
„Du, mit deinen seidenfeinen Händen“, murmelt Herr Erling überwältigt.
Nun lacht Bertina. Ein leises, ein seltsam heimliches Lachen, tief im Halse. „Aber Herr Erling — was glauben Sie denn ...?“
Er schaut sie immerzu an, wiegt den Kopf und zweifelt. „Ich will dir etwas sagen, Bertina: So, wie du nun dort oben stehst, gleichst du der Prinzessin aus dem Märchen, die sich zu ihrem eigenen Vergnügen als Stallmagd verkleidete. Nein, ich glaube durchaus nicht, dass du melken kannst, ehe ich es mit eigenen Augen sehe. Aber ich glaube, dass du dich vor den Kühen fürchtest. Ja, wahrlich, das glaube ich — zeig mir doch noch einmal deine Hände ...“
Читать дальше