»Aber notwendig.«
Er nickt und sieht bekümmert aus. Ich tu mein Bestes, um die Gereiztheit abzuschütteln, die er mir einflößt. Ich ahne, daß nicht er es ist, der sie verursacht.
»Saskia?«
»Ja.«
»Du verschwindest nicht?«
»Nein, Magnus, ich verschwinde nicht.«
Er legt seine Arme um mich, er bereitet mir ein Nest, in dem ich die Augen schließen und ein Weilchen aus der Welt verschwinden kann. Genausoviel Platz, wie die Liebe damals einnahm, scheint diese Müdigkeit jetzt auszufüllen. Ich wünschte so sehr, daß ich überzeugt wäre, die Wahrheit zu sprechen, und daß ich seine Berührung wirklich genießen könnte, daß es diese Rastlosigkeit nicht gäbe, die mich von hier forttreibt. Ich war es doch, die das hier verursacht hat! Das einzige, was Magnus tut, ist, mich zu erinnern. Weshalb dann diese Gereiztheit? Obwohl ich so gern lieben würde, ihn einfach wieder lieben würde, höre ich mich selbst sagen: »Wollen wir mit dem Aufräumen anfangen?«
Ein paar Tage später nehme ich das Schiff in die Stadt. Ich will meine schwedische Kollegin Andrea Sjögren treffen, um mit ihr über unser gemeinsames Buchprojekt zu sprechen. Wir wollen von Autorinnen erzählen, die zu ihrer Zeit berühmt waren, doch die später in der Literaturgeschichte – und damit für die Nachwelt – einfach vergessen oder vernachlässigt worden sind. Wir wollen zeigen, daß es solche Frauen wirklich gegeben hat und daß sie geschrieben haben. Man hat uns nur nicht darüber informiert, daß ihre Art, die Welt zu betrachten, von Bedeutung ist. Das Buch soll den Titel tragen »Im Schatten von«. Unsere Ambitionen sind gewaltig, wir haben einen großen Verlag hinter uns, und ich weiß, genau das ist es, wofür ich all die Jahre gekämpft habe: Jetzt werde auch ich in der Erinnerung der Nachwelt weiterleben als diejenige, die die schwarzen Löcher ausgefüllt hat. Auf dem Buchumschlag wird »Van Ammer/Sjögren« zu lesen sein, und ich selbst habe gefordert, daß mein Name an erster Stelle steht. Deshalb muß ich mich nicht schämen, warum auch? Ich kenne die Spielregeln, und wie ich aus meinen wenigen, aber intensiven Treffen mit Andrea weiß, kennt sie die auch. Im Laufe der Jahre haben wir uns gegenseitig mit Material, Kontakten und Briefen versehen. Einige Male war sie in Groningen und manchmal sogar bei mir in Amsterdam. Ihretwegen habe ich mehrere Züge nach Hause verpaßt. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß wir uns ein bißchen ähneln, diese Integrität und eine Aura von »Bitte laß mich in Frieden, hier ist nichts zu holen«. Dennoch ist sie auf eine merkwürdige Art präsent: Betritt sie ein Zimmer, dann ist der Raum nicht mehr derselbe. Nicht weil sie Menschen manipuliert, sondern weil sie die Leute dazu bringt, sich zufriedener zu fühlen. Sie ist eine Frau, die nichts dem Zufall überläßt. Andrea ist eine resolute und nüchterne Frau, eine perfekte Partnerin bei einer solchen Arbeit.
Sie erwartet mich an der Anlegestelle des Schiffes mitten in der Stadt, und wieder berühren mich ihre Schönheit und ihre Lebendigkeit, diese alles umfassende Integrität. Sie streckt ihre Hand aus, und ich nehme sie, derweil sie lächelt, nach meiner Tasche greift und knapp feststellt, ohne eine Antwort zu erwarten: »Die Reise lief gut?«
Wenn sie etwas von meinem Kollaps weiß, kann sie es bestens verbergen. Sie ist niemand, der fragt, wohl eher eine aktive Zuhörerin. Hingegen gibt es nichts in ihrer Art, das zu Intimität auffordert, zu Selbstbespiegelung, dazu, daß man seine Hand auf die ihre legen und ausrufen will: »Erzähl mir alles!« Ich begreife, aufs neue verwundert, daß sie in vieler Hinsicht genauso ist wie ich. Kompetent, liebenswert, interessiert, aber im Grunde genommen einsam. Ich versuche, dem Unbehagen, das von dieser Erkenntnis ausgelöst wird, zu entkommen, wünsche plötzlich, zu ihr vorzudringen, und sage: »Erzähle, wie ist es dir ergangen?«
»Gut. Ich finde, die Gespräche, die ich mit dem Verlag hatte, waren konstruktiv, und außerdem habe ich eine ordentliche Grobplanung vorgenommen. Du mußt sehen, ob du sie akzeptierst.«
»Und sonst?«
»Was meinst du damit?«
»Dich selbst.«
Sie lacht, ein schönes Lachen voller Wärme.
»Ach, wie üblich. Nichts Aufregendes. Mein Kater und ich sind mit der Gesellschaft des anderen zufrieden, wenn auch alles ein bißchen eintönig ist. Er hat seine Reviere, und ich habe meine.«
Ich lächle sie an. Ich weiß nicht einmal, warum. Was ist es, das ich eigentlich wissen, hören und fühlen will? Wir werden zusammen arbeiten, wollen nicht enge Freundinnen werden. Übrigens will ich keine Freundin haben, ich verstehe nicht, wozu das gut sein sollte. Wenn mir nach Reden ist, habe ich, hatte ich ja Magnus.
»Reicht das?« fragt Andrea. »Oder willst du noch mehr wissen?«
»Den Rest können wir auf später verschieben«, sage ich, über mich selbst erstaunt.
Wir sind beim Verlag angelangt, wo wir einen Lektor treffen wollen, um über die finanziellen Punkte zu verhandeln.
»Ich glaube, du kannst mir das überlassen«, sage ich, als ein junger Mann, der ein gewinnendes Lächeln versucht, auf uns zukommt.
An der Art, wie er uns bittet, die Jacken abzulegen und es uns in den Ledersesseln bequem zu machen, spüre ich, daß er denkt, er hätte uns – so sein vermutlicher Sprachgebrauch – in der Tasche. Er erwartet Dankbarkeit, weil er unserem Projekt so viel Verständnis entgegenbringt. Er erwartet, Amateure vor sich zu haben, die glauben, Geld sei eine Form von Bonus, weil wir ja doch der Ansicht sind, daß die Sache unglaublich viel Spaß machen wird. Das ärgert mich maßlos. Ich sage gleich zu Anfang, daß die Voraussetzungen nicht zufriedenstellend sind und wir schon beschlossen haben, die Verhandlungen mit einem anderen Verlag weiterzuführen. Der Mann vergißt, den obligatorischen Kaffee einzugießen, und nach langem, kompliziertem Hin und Her weiß ich, daß ich den Sieg davongetragen habe. Der leicht mitgenommene Lektor schüttelt uns die Hand, murmelt etwas von der Wichtigkeit eines offenen Dialogs . Andrea lächelt, ich tu es nicht, und dann sind wir wieder draußen auf der Straße. Ehe er sich umdreht, sehe ich es. Eine Sekunde lang kann ich es in seinen Augen lesen – obwohl er versucht, großmütig zu sein, ich sehe, wie er mit sich kämpft –, doch habe ich es schon viele Male zuvor gesehen: Hexe steht in seinen Augen geschrieben, er kann es nicht verbergen. Was für eine Hexe .
»Du hattest recht«, sagt Andrea.
»Womit?«
»Daß ich es dir überlassen kann.«
Ich beiße mir auf die Lippe.
»Ich habe meine Gründe dafür, so dickfellig zu sein«, entgegne ich.
»Ich habe nichts gesagt.«
»Ich weiß. Ich wollte es trotzdem sagen.«
»Wir haben alle unsere Gründe«, erwidert sie nur.
Erneut streckt sie mir ihre Hand entgegen, jetzt zum Abschied, weil sie auf dem Weg nach Hause ist und ich zurück zur Anlegestelle muß. Ich blicke auf die Hand, die ich in der meinen halte, wie um sie zu studieren, und ich weiß nicht, was mich dazu bringt, ob es die Einsamkeit ist, die wir beide kennen, oder die Einsicht, daß ich sonst den ganzen Sommer Magnus’ mahnenden Blicken ausgesetzt bin, vielleicht auch die Angst vor dem verlassenen Haus und meiner verblassenden Erinnerung. Ich weiß es nicht, doch sage ich: »Hast du nicht Lust, im Sommer zu Magnus, Malin und mir rauszukommen? Hin und wieder vielleicht?«
Andrea sieht verwundert aus.
»Um schon jetzt an dem Buch zu arbeiten«, füge ich hinzu.
»Ich dachte, du wolltest dich erholen«, sagt sie vorsichtig.
Ich zucke irritiert mit den Schultern.
»Das kann warten. Ich meine, das tue ich ja doch. Diese Arbeit hier wird erholsam, bestimmt«, sage ich und begreife, mehr als alles andere will ich, daß sie im Sommer auf der Insel ist. Ich zwinge mich ihr fast auf.
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