1 ...8 9 10 12 13 14 ...50 Sie gehorchte und sah eine ganze Reihe Typen, die der Mutter recht gaben, doch die Sympathie für Dubček, mit seinem entwaffnenden, scheuen Lächeln und seinem natürlichen Anstand, wuchs in ihr, und der Einmarsch der fremden Armeen, Deutsche darunter, schrie zum Himmel. Die Mutter erlebte, wie ihre Argumente versagten, und hat damals zum erstenmal ein Machtwort gesprochen.
«Du gehst mir zu keinen Demonstrationen mehr! Du bist eine dumme Fünfzehnjährige, die jeder an der Nase herumführen kann, und darum bleibst du daheim. Wenn du mal achtzehn bist und es verdauen kannst, kannst du deinen Namen ändern lassen!»
Für Dora war auch Friedfertigkeit bezeichnend, ein Kaninchen ist im Vergleich mit dir ein Tiger! pflegte Milan zu sagen, anfangs eine Liebeserklärung, erst später ein Vorwurf, mit dem er auch ihr scheues Kind erziehen wollte. Bis jetzt aber mußte Dora um nichts kämpfen, alles hat ihr Lächeln in Ordnung gebracht oder die Mutter geregelt. Darum hat sie auch damals stumm nachgegeben und dachte das Ihre dabei. Die Begeisterung des berühmten Jahres ist übrigens schneller verraucht, als sie aufgeflammt war, und Dora konnte nur staunen, wie die lautesten Erneuerer in ihrer Klasse plötzlich Hals über Kopf den neuen Machthabern hinten hineinkrochen. Da hat die Mutter unbestreitbar recht behalten. Sie selbst ging wieder einmal den schwierigsten aller Wege.
Da sie an dem Prozeß, der nunmehr Konterrevolution hieß, nicht teilgenommen hatte, gehörte sie automatisch zum «gesunden Kern» der Partei, der von der Schraube der Repressionen nicht erfaßt wurde. Mit Hilfe des Namens, der wieder Klang hatte, versuchte die Mutter diesmal, die Ausschreitungen der Gegenseite zu verhindern. Noch ehe Dora das richtig einschätzen konnte, lernte sie Milan Čech kennen.
Eine Klassenkameradin vom Sprachinstitut, die er vernaschen wollte, bekam von ihm zwei Karten für den «Hamlet», und sie lud die von allen geliebte Dora ein, um ihre tolle Errungenschaft vorzuführen. Dora hatte das Stück schon vorher gelesen und gesehen, aus anderen Vorstellungen kannte sie auch den Darsteller, den Senkrechtstarter der Nachaugustära. Sein wie zerstreut wirkender Hamlet, außerstande, die uferlose Brutalität menschlichen Machtstrebens zu begreifen, sprach sie an wie bisher kein Mensch in ihrem Leben; sie hatte das Gefühl, er betrete direkt ihre Seele.
Obwohl sie von geselligem Wesen war, mied sie Premierenfeiern, sie wollte sich den Eindruck nicht damit verderben, daß sie Personen eines guten Stücks entzaubert sieht. Diesmal ging sie gerade deswegen hin. Sie wollte sich bestätigen lassen, daß zwischen dem Helden und seinem Darsteller Welten liegen und ihre Verzauberung ausschließlich dem Dänenprinzen galt.
Die Feier war schon längst feuchtfröhlich geworden, nur er kam und kam nicht. Doras Freundin Lada hat seinen Kollegen geglaubt, eine neue hätte sie ausgebootet, die ihn in seiner Garderobe abgefangen hat. So lag sie beschwipst kurz darauf in den Armen des Horatio. Dora verließ gerade den Club, als er eintrat, bleich wie der Tod. Ohne Hintergedanken fragte sie ihn, ob sie ihm irgendwie helfen könne.
«Bitte, bitte, ja», antwortete er, sobald er sie wahrnahm, «könnten Sie mit mir irgendwo eine Weile schweigen?»
Sie verstand das als Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen, doch er war schon mit ihr am Weggehen und wischte mit einer Handbewegung den Beifall weg, der jetzt zu seinen Ehren aufbrauste. Draußen hakte er sich bei ihr ein und führte sie zu seinem gelben kleinen Fiat um die Ecke.
«In allen Kneipen ringsherum sitzen jetzt diese fürchterlichen Leute, die alles auf der Welt in einen Brei zerkauen. Fahren wir ein bißchen durch die Luft, ja?»
Er brachte sie auf den Vyšehrad, sie machten einen Rundgang durch die verlassenen Schanzen der alten Festung, und er erzählte ihr von den Seinigen, die dort hinter der Friedhofsmauer lagen. So erfuhr sie, daß den Namen Čech eine andere berühmte Dynastie führte, von der sie noch nie etwas gehört hatte, obwohl sie seit Generationen die Bau- und Bürgermeister der Prager Bezirke Vinohrady und Vršovice stellten. Dann kletterten sie ein bißchen waghalsig den Felsen hinab zu dem Horymír-Sprung, wo er sein Sakko ausbreitete und ihr vorschlug, sich neben ihm zu lagern und ihren Kopf auf seinen Arm zu legen. So, während über ihnen die Sternenuhr langsam weiterlief, schilderte er ihr, wie er nach vergeblichen Versuchen, Architektur zu studieren, was ihm als «Millionärssöhnchen» nicht gelang, vor Verzweiflung bei einer Schmiere landete und bis zum Ende seiner Tage in Klattovy versauert wäre, hätte es da nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit einem von den Deutschen hingerichteten Parteihelden gegeben, über den gerade ein Film gedreht werden sollte.
«Sobald ihr mir einen Kommunisten liefert, der dem Fučík nur halb so ähnlich sieht, kriegt er die Rolle!» erwiderte der Regisseur und Staatspreisträger listig auf die heftigen Einwände der ewigen Kaderreferenten, «bis dahin hat sie der Čech».
Er durfte spielen, und es ist ein ganz anständiger Film entstanden, der jedoch vor allem deshalb ein Erfolg wurde, als sich herumgesprochen hatte, daß darin ein junger, sie soll entschuldigen, daß es so eitel klingt, aber so war es eben! Gerard Philippe spielte; auch Dora hat es damals so gehört, sich den Film aber gerade deswegen nicht angeschaut. Nach einem Jahr übernahm ihn das Nationaltheater, was ihm, gab er vor ihr zu, so in den Kopf stieg, daß er eines Nachts da oben die Friedhofsmauer überkletterte und seinen Ahnen aus seiner ersten Rolle rezitierte, woran sie ihn heute glücklicherweise hindere.
Vieles hat er von sich preisgegeben in dieser Nacht seines Triumphs, und ihr gefiel, daß er von sich selbst kritisch zu erzählen wußte, und auch, daß er die Situation nicht zu anderen Vertraulichkeiten ausnutzte, die das Einzigartige der Nacht nur zerstört hätten. Er schlief für eine Weile neben ihr ein, und sie verliebte sich offenbar währenddessen: Sie wurde unglücklich bei der Vorstellung, ihn bald wieder zu verlieren.
Als er sie mit seinem gebrauchten Fünfhunderter vor das Haus fuhr, nahm er ihre Hand in die seine und sagte.
«Dora, ich habe bis heute keine Frau getroffen, die gleichzeitig so schön, so gescheit und so gutherzig wäre. Und darum möchte ich Sie, noch bevor die schlechten Kritiken erscheinen, schnell fragen: Möchten Sie mich nicht heiraten?»
Sie faßte das als Scherz auf und erwiderte im gleichen Ton, sie würde, falls die Kritiken tatsächlich schlecht sein sollten... Sie schlief mit dem Gefühl ein, daß dieses theatralische Kompliment die einzige Taktlosigkeit war, die ihm unterlaufen ist, leider... Am übernächsten Morgen kam ein Brief, in dem er seine Frage wiederholte, wie er schrieb, in gebührender Form. Sie gab ihn verwirrt der Mutter zu lesen und war unangenehm überrascht, wie eben diese Worte deren Unwillen erregten. Sie versuchte vergeblich, ihr zu erklären, die Rückkehr zu alten Manieren sei eine Reaktion der Jungen auf die Ära der verlogenen Volksbiederkeit.
«Ein Herrschaftssöhnchen!» so urteilte die Mutter, «aufgeblasen, verwöhnt und egoistisch. Halt ihn dir vom Leib, sonst zahlst du schrecklich drauf.»
Vom Leib aber hielt sie seltsamerweise er, obwohl sie ihm bald nichts verweigert hätte. Bereits beim zweiten Rendezvous erklärte er ihr, warum er sie erst in der Hochzeitsnacht lieben möchte.
«All die Mädchen und Weiber, die mich für sich ausgesucht haben», erklärte er, als hätte er über sie auf der Bühne ein Todesurteil zu fällen, «waren nur bessere Flittchen. Du bist eine Königin! Dich habe ich für mich ausgesucht, und darum mußt du wissen, daß es da für mich einen Unterschied gibt.»
Dieser Satz hat sie in den siebten Himmel gehoben, als höchste Auszeichnung, die er ihr verleihen konnte. Erst später, in Situationen, in denen die gleichen Worte die Nichtigkeit seiner Untreue beweisen sollten, wurde daraus eine immer peinlichere Phrase.
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