1 ...7 8 9 11 12 13 ...50 «Magduška!» flüsterte er plötzlich so heftig, daß sie erschrak, sein Vater sei in sein Zimmer gekommen und sie müßten, ohne Abschied, auflegen, jedoch fuhr er nach einer kleinen Pause fort, «weißt du was? Ich sag’ dir jetzt für die Reise, was noch keine, aber echt keine von mir gehört hat, ja?»
«Ja...» sie wurde plötzlich heiser, vor Aufregung ganz trocken in der Kehle.
«Willst du?»
«Ich will...»
Dann hörte sie es aus seinem Mund.
«Ich liebe dich...»
Sie schwieg.
«Es sieht so aus, als ob ich mich in dich total verknallt habe.»
Sie spürte, wie die Tränen über ihre Wangen rannen, und lächelte die Badewanne an, die im Dunklen weiß blitzte.
«Ich bin direkt verrückt nach dir, glaub mir.»
«Ja...»
«Und du...?»
Warte, mahnte sie sich, halte aus, sag nichts, und du gewinnst alles!
«Ich auch...» sagte sie doch.
In der Leitung war kein Ton. Auch zum zweitenmal hielt sie nicht durch.
«Bist du noch da?»
«Ja», meldete er sich, «so geht es uns beiden gleich.»
«Na, fein...» sagte sie, etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
«Ja, mehr als fein. Nur weiß ich nicht, wie ich das hier durchstehen werde.»
«Du fährst ja nicht in die Wüste», munterte sie ihn auf, doch fühlte sie dabei einen Stich in der Herzgegend, «du findest da einen ganzen Harem vor. Krankenschwestern... und dann die Zigeunerinnen.»
«Magduška, ich schwöre dir...»
«Schwöre lieber nicht», sagte sie schon wieder klug, «wir sind doch beide freie Menschen», und für sich fügte sie hinzu: bisweilen! Es hat gewirkt.
«Ich möchte dich nur bitten», sagte der eroberte Eroberer demütig, «daß du mir das mit der Freiheit nicht übertreibst. So frei bist du nämlich gar nicht mehr!»
«Aha... das wußte ich nicht.»
Alles sang in ihr. Und er zappelte immer stärker im Netz.
«Dann weißt du’s jetzt.»
«Ja, jetzt weiß ich’s.»
«Und versprichst du’s mir?»
«Was?» mit Absicht verstand sie nicht.
«Daß du wartest!»
«Worauf...?»
«Auf mich! Ich möchte dein... erster sein!»
Die richtigen Worte flogen von ganz allein auf ihre Zunge.
«Warten, das mußt du, ich kann nur zurückkommen.»
«Ich werde von jetzt an nichts tun, nur noch warten! Doch du, komm zurück, so, wie du bist, ja...?»
Ihr neuer Sinn, der immer besser funktionierte, sagte ihr, dies sei der beste Augenblick aufzuhören.
«Ja», lachte sie, «aber ich bin eine Hexe, weißt du? Ich erfahre gleich alles! Wenn du nicht wartest, so wie du eben bist, brauchst du auf mich auch nicht mehr zu warten. Ahoj, Gabriel Babraj!»
Und legte auf. Dann trug sie das Telephon auf Zehenspitzen in den Gang, um die Spuren zu verwischen, und kehrte wie gewöhnlich ins Badezimmer zurück. Sie machte Licht und trank genüßlich direkt aus dem Wasserhahn.
Dabei stellte sie fest, daß sie sich plötzlich furchtbar, aber furchtbar! auf Sizilien freute.
Sie war bereits vor geraumer Zeit aufgewacht, als er irgendwo heftiger bremsen mußte, ließ es sich jedoch nicht anmerken. Sie liebte die Augenblicke, in denen sie ihn beobachten konnte, ohne daß er es merkte. Einmal verriet sie es ihm, und er wunderte sich: Ob sie nicht daran genug hat, wenn sie ihn auf der Bühne sieht? Natürlich sagte sie ihm nicht, daß sie auf ihn immer dann am meisten eifersüchtig war, wenn er in fremde Kleider und Schicksale schlüpfte, wo ihr von ihm nichts mehr gehörte.
Hätte ihr jemand vor zehn Jahren gesagt, sie würde sich von früh bis spät mit der Frage quälen, ob sie geliebt werde, würde er bei ihr sorgloses Lachen ausgelöst haben, für das sie alle um so mehr mochten, als es ihre fast unirdische Schönheit menschlich machte. Mit ihrem klaren Antlitz und dem streng geknoteten dunklen Haar schien sie den großen Frauen des tschechischen Risorgimento ähnlich. Dora glaubte damals, sie sei geboren, um geliebt zu werden. Weil sie aber auch von guter Natur war, mißbrauchte sie das nicht, quälte nicht ihre zahlreichen Verehrer, spielte nicht mit ihnen; sie wußte sie davon zu überzeugen, daß sie sie achte, selbst wenn sie nicht mit ihnen schlafen wollte. So wurden sie nicht zu Feinden, sondern zu Kameraden.
Den Vater hatte sie so früh verloren, daß es sie noch nicht verletzen konnte, und die Mutter hat ihn erfolgreich ersetzt: Bei aller Liebe wurde sie auch zu einer Autorität für sie. Ich habe mich daran gewöhnt, gab Dora einst Milan zu, in jeder Situation einen Schirm über mir, unter mir ein Netz und vor mir jemanden zu haben, der mir rät, wie und wo den Fuß hinzusetzen. Doch begann sie daran erst bei ihm zu leiden, denn anders als die meisten Halbwaisen hat sie dank der Mutter eine heitere und harmonische Jugend verbracht.
Das erste, was zwischen die beiden trat, war die Augustnacht 68, als sie als eine der ersten in Prag vom Motorenlärm russischer Flugzeuge und Panzer geweckt wurde. Sie wohnten in der Nähe des Flughafens und kriegten die Okkupation aus erster Hand mit. Doch während Dora in gerechtem Zorn entflammte, weil sie, wie ihre ganze Schule, dem scheuen Pierrot die Daumen hielt, den Millionen, obwohl er der höchste Politiker des Landes war, Saschenka nannten, atmete die Mutter beinahe auf. Der Verlauf des turbulenten gesellschaftlichen Prozesses, «Prager Frühling» genannt, erfüllte sie mit steigender Angst, dadurch könnte alles zunichte gemacht werden, wofür Generationen gekämpft hatten.
Doras Familie konnte man mit Recht eine kommunistische Dynastie nennen. Der Großvater, ein berühmter Anwalt der Armen, bezahlte dafür mit seinem Leben unter dem Fallbeil der Nazis; so fühlten sich seine beiden Kinder verpflichtet, die Worte des alten Arbeiterliedes in die Tat umzusetzen, «Wenn wir alle fallen sollten, stehen neue Kämpfer auf». Sie traten bereits in den ersten Nachkriegstagen in die Partei ein, und nach ihren eigenen Worten «folgten wir ihr, wohin immer sie uns schickte». Da sie aber des Vaters Aufrichtigkeit geerbt hatten, wählten sie den Weg des stärksten Widerstands, auf dem Knochenarbeit und Konflikte sie erwarteten.
Ihr Name Javor hat Gewicht gehabt und sie beide das notwendige Quentchen Glück, so daß ihnen manches gelang. Die Mutter wurde Leiterin der Personalabteilung eines großen Verlagshauses, das als erstes mutig damit begann, moderne Weltliteratur herauszubringen. Der Onkel, ein Arzt, Mitglied des Stadtkomitees der Partei, bemühte sich erfolgreich, den Sumpf im Gesundheitswesen auszutrocknen. Ein tragisches Ende nahm allein Doras Vater, Mutters Liebe und Kommilitone aus gemeinsamem Jurastudium. Er leistete gerade seinen Grunddienst, als die heimische Armee ein Kontingent nach Korea zur Kontrolle der Demarkationslinie des Waffenstillstands entsenden mußte. Er hatte den Parteiauftrag angenommen, zog die maßgeschneiderte Uniform eines falschen Leutnants an und trat gleich beim ersten Inspektionsgang auf eine echte Mine. Von ihm blieb nur ein schmales Bändchen Gedichte, ebenso aufrichtig wie später peinlich, als sich die besungene Zeit als eine Epoche der Lüge und des unschuldig vergossenen Bluts erwies.
Doch die Gegenwart bemühte sich, das schlimmste Unrecht gutzumachen, Dora wirkte wie ein Sonnenkind, und niemandem wäre eingefallen, sie für die Vergangenheit mitverantwortlich zu machen, die auch das Siegel ihres Familiennamens trug. Sie kam als erste darauf zu sprechen, als die Mutter die Richtigkeit der politischen Erneuerung bezweifelte. Dora, tief getroffen von den Tag für Tag enthüllten Ungeheuerlichkeiten, begangen unter dem Banner der gerechtesten aller Revolutionen, fragte sie, ob nicht auch sie sich schuldig fühle. Nein! erklärte die Mutter kategorisch, höchstens betrogen. Dora sollte sich in ihrer Wohnung und ihrem Leben umsehen, da finde sie nichts, was nicht ehrlich erworben worden sei. Ihr Großvater und Vater bezahlten ihre Überzeugung mit dem Leben, und die Idee, für die sie gefallen sind, ist so lebendig und notwendig wie früher, die Mehrheit der Menschen dieser Welt stirbt doch noch immer an Hunger! Dora sollte sich umschauen und betrachten, wer am meisten nach Demokratie ruft!
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