Die kleine Truppe erreichte etwa eine halbe Stunde vor Tagesanbruch einen kleinen Gasthof. Der Stallknecht machte große Augen, dass eine Gruppe Ritter ohne Pferde das Anwesen betrat und sich sofort in den Schankraum begab.
Karl warf ihm eine kleine Münze zu, die vermutlich mehr wert war, als er in einem ganzen Jahr verdiente. Der Stallknecht bedankte sich überschwänglich und zog sich rückwärts in den Stall zurück, sich immer wieder so tief verneigend, dass Christian sich wunderte, warum er nicht mit der Stirn auf den Boden schlug.
Der Schankraum war relativ klein, aber warm und – was noch wichtiger war – der Wirt war kein Freund von Sonnenlicht. Alle Läden waren geschlossen. Die einzigen Lichtquellen stellten Kerzen auf den Tischen, ein paar an der Wand angebrachte Kerzenhalter sowie ein prasselndes Feuer im Kamin dar. Über dem Feuer briet ein ganzes Schwein. In früheren Zeiten hätte der Geruch Christian das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Nun jedoch löste er fast schon Übelkeit aus.
Der Schankraum war gut besucht. Außer einigen Tagelöhnern, die hier ihren spärlichen Lohn ausgaben, saßen noch einige Söldner an zwei Ecktischen.
Die Templer um Christian hielten den Kopf gesenkt oder so weit wie möglich im Schatten einer Kapuze verborgen. Niemand sollte ihre gelben Augen sehen. Die Söldner musterten die Neuankömmlinge aufdringlich. Sie waren offenbar auf Streit aus, doch die grobschlächtigen Kerle widmeten sich wieder ihrer Mahlzeit, als keiner der Ritter die unausgesprochene Herausforderung annehmen wollte.
Der Wirt eilte herbei und wischte sich die Hände an seiner vor Fett triefenden Schürze ab. Christian fragte sich, ob die Hände dadurch nicht vielleicht schmutziger werden würden, als sie zuvor gewesen waren.
»Darf ich den Herren etwas Bier und ein Stück vom Spanferkel anbieten?«, erklärte er eifrig. »Ganz frisch und ganz heiß.«
Christian schüttelte den Kopf. »Nur Wasser.«
Der Schankwirt stutzte. »Wasser? Für Euch alle?«
»Du hast ihn gehört«, meinte Matthew und funkelte den Wirt böse an. Dabei blitzten seine gelben Augen unter der Kapuze hervor. Auf einen strengen Blick Karls senkte der Ritter das Haupt erneut. Es war aber schon zu spät.
Der Wirt erbleichte auf der Stelle. »Nur Wasser«, stotterte er. »Sehr wohl, die Herren.« So schnell seine kurzen Beine ihn trugen, eilte er davon.
Einige der Templer befingerten nervös ihre Waffen. Christian warf Karl einen schnellen Seitenblick zu. »Eine seltsame Reaktion.«
Karl runzelte die Stirn. »Von dem? Dem Wirt?«
Christian nickte. »Die meisten sind verwundert, verwirrt oder neugierig, wenn sie zum ersten Mal unsere Augen bemerken. Aber er hatte Todesangst.«
Karl merkte auf. Die Erkenntnis zeichnete sich auf dessen Gesicht ab. »Er wusste, was Matthews Augen bedeuten.«
Christian presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie erschienen wie ein einzelner blutleerer Strich. »Der Wirt hat schon einmal Vampire gesehen. Er wusste sofort, was die Augenfarbe bedeutet.« Christian sah sich unter diesem Gesichtspunkt noch einmal im Schankraum um. Die Sonne war bereits aufgestiegen. Man konnte schmale Streifen Licht durch die Fensterläden aufblitzen sehen. Dennoch machte niemand auch nur Anstalten, sie zu öffnen, um etwas Licht hereinzulassen.
Christian stieß einen derben Fluch aus. »Meine Freunde, ich befürchte, wir sind direkt in die Höhle des Löwen marschiert.«
Karl griff unter dem Tisch nach dem Heft seines Schwertes, aber Christian beugte sich hinüber und packte ihn am Arm. »Noch nicht. Kein Streit, wenn es nicht notwendig ist.«
»Aber es sind Vampire hier«, zischte Karl. »So muss es sein. Die Fensterläden sind ihretwegen verschlossen.«
»Warten wir erst einmal ab. Ich will keinen Kampf, wenn wir es vermeiden können.«
»Wer immer die sind, sie werden nicht unbedingt auf unserer Seite sein.«
»Sehr gut möglich, aber wir finden vielleicht mehr heraus, wenn wir auf Besonnenheit setzen statt auf rohe Gewalt.«
Eine junge Frau Anfang zwanzig kam aus der Küche mit einem Tablett voller Krüge. Sie trug sie an den Tisch, stellte sie ab und machte sich davon, um weitere zu holen. Diesen Vorgang wiederholte sie, bis jeder von Christians Begleitern ein Gefäß mit Wasser vor sich stehen hatte.
Christian bedankte sich mit einem Nicken. Die junge Frau lächelte scheu. Er vermutete, sie war die Tochter des Wirts. Der Feigling traute sich nicht mehr aus der Küche und hatte sein Kind vorgeschickt. Was für ein armseliges Abziehbild von einem Mann! Seine Angst konnte man ihm nicht vorwerfen, wohl aber seine Neigung, sich selbst aus der Gefahrenzone zu bringen und seine Tochter dieser Bedrohung auszusetzen.
Christian nahm einen vorsichtigen Schluck Wasser. Vampire benötigten derlei Flüssigkeit nicht. Zuweilen war es aber nützlich vorzugeben, dass man menschliche Nahrung und Getränke zu sich nahm. Auch wenn es ihm – und auch vielen seiner Mitstreiter – den Magen schier umdrehte.
Die Tochter des Schankwirts machte sich davon, um auch die Söldner zu bedienen, allerdings mit deutlichem Widerwillen. Kurz darauf zeigte sich auch, weshalb. Die Söldner fingen an, das Mädchen zunächst mit derben Sprüchen zu bedenken. Einige gingen sogar so weit, die Kleine zu betatschen. Einer von ihnen packte sie schließlich und zog sie auf seinen Schoß.
Karl wäre an diesem Punkt beinahe aufgestanden und auch nicht wenige der Templer schienen geneigt, das Gebot der Vorsicht außer Acht zu lassen.
Christian hob den Kopf und schnupperte. Bei den Söldnern handelte es sich eindeutig um Menschen. Sie stellten keine ernst zu nehmende Bedrohung dar. Dennoch schrillten in seinem Kopf die Alarmglocken. Die Läden geschlossen zu halten, ergab nur dann Sinn, wenn auch ein Vampir zugegen war.
Ein fremder Geruch mischte sich unter den der Söldner. Eigentlich waren es sogar zwei. Einer war betörend blumig und erinnerte Christian an eine Wiese nach einem Regenschauer, der andere war unangenehm und eindeutig männlich. Und beide stammten von Vampiren.
Die Treppe quietschte, als jemand herabkam. Christian drehte sich um. Ein Mann in einer Rüstung schritt in sein Sichtfeld, gefolgt von einer umwerfend aufregenden Frau. Sie trug ein langes, wallendes Kleid, das ihre Konturen perfekt umschmeichelte. Christians Aufmerksamkeit galt aber ausschließlich dem Ritter, der sie begleitete.
Er war von großer sowie breiter Statur. Seine Augen blickten stechend und funkelten in strahlendem Gelb. Ihre Blicke kreuzten sich und Christian wurde unwillkürlich klar, dass er es hier mit einem Killer zu tun hatte.
Der Ritter blieb stocksteif auf der Treppe stehen. Die Frau verharrte ebenfalls. Christian erhob sich, seine Templer folgten dem Beispiel ihres Anführers nur eine Sekunde später. Stahl scharrte über Leder, als Schwerter gezogen wurden.
Die Söldner fuhren in die Höhe. Die Tochter des Schankwirts konnte sich endlich befreien und rannte weinend in die Küche zurück. Christian hoffte, ihre Familie und sie würden dort bleiben. Das versprach gleich sehr hässlich zu werden.
Der Ritter hob Einhalt gebietend die Hände. Seine Handflächen wiesen nach außen, um dessen friedliche Absichten zu symbolisieren. Christian ließ sich davon zu keinem Moment täuschen. Der Ritter war bereit, seinen Leuten den Angriffsbefehl zu erteilen.
»Willkommen in Nottingham!«, begann der Ritter. »Darf ich fragen, welchem Zweck Eure Anwesenheit dient?«
»Er ist unsere Sache und geht Euch nicht das Geringste an«, gab Christian unwirsch zurück.
Der Ritter lachte leise. »Na, wer wird denn so unfreundlich sein? Unsereins sollte doch einen gewissen Respekt voreinander wahren.«
»Respekt habe ich nur vor jenen, die ihn auch verdienen«, schoss Christian zurück.
Das Lächeln gefror auf den Lippen des Ritters. In dessen Augen blitzte Zorn auf. »Das war sehr unhöflich. Zumal Ihr hier Gäste auf dem Land meines Herrn sind. Das bedeutet, Ihr seid mir sehr wohl Rechenschaft schuldig.«
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