Bodil Mårtensson - Die Frau im Schatten

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Der Erstling *Die zärtliche Zeugin* überzeugte schon restlos, dieser Folgeband sollte die Autorin als neuen, bemerkenswerten Stern am schwedischen Krimi-Himmel etablieren!Joakim Hill, Kommissar bei der Polizei in Helsingborg, freut sich auf einen gemütlichen Feierabend, als er doch noch zu einem Mord gerufen wird.In ihrem Auto sitzt, noch angeschnallt, eine Tote – wunderschön und hochschwanger.AUTORENPORTRÄTBodil Mårtensson, geboren 1952, wuchs in Karlskrona auf und lebt seit einigen Jahren in Helsingborg. Dort spielt auch ihre Krimiserie um Kommissar Joakim Hill, die in Schweden sofort begeistert aufgenommen wurde.-

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Bodil Mårtensson

Für Bertil und Nicolas

Ein großes Dankeschön an die Freunde bei der Polizei von Helsingborg und Lund für ihre Tipps und Korrekturen, was die polizeilichen Details betrifft.

Mein Dank gilt ebenso denen, die mich mit medizinischen, technischen und anderen Fakten beraten haben.

Die Handlung und die im Buch vorkommenden Personen hingegen sind frei erfunden.

Eventuelle Übereinstimmungen mit realen Personen und Handlungen sind reiner Zufall.

Montag 16:15:05

Während der letzten Kontrollrunde durch die alten Säle beschlich sie ein außerordentlich unangenehmes Gefühl.

Schon jetzt herrschte da oben nicht viel mehr als ein zweifelhaftes Dämmerlicht, und bald würde es endgültig bis in alle Ecken und Winkel hinein stockfinster sein.

Außerdem wusste man im Moment nie genau, was passieren könnte. In der letzten Zeit waren eine ganze Menge, offen gesagt, rätselhafte Dinge geschehen. Manches konnte man damit erklären, dass sich alter Putz plötzlich von den Wänden löste und herunterfiel – denn sie befanden sich ja wohl kaum in einem Neubau! Aber die anderen Begebenheiten...

Plötzlich, als sie gerade auf der Schwelle zum zweiten Stockwerk stand, drängte sich ihr ein merkwürdiges Geräusch auf.

Ein unangenehm fremder, fast schabender Laut.

Sie hielt augenblicklich inne und versuchte verzweifelt, im Dunkel etwas zu erkennen, konnte aber lediglich ihren eigenen Herzschlag hören, der im Takt mit der aufsteigenden Panik immer wilder wurde.

Das Schaben hörte auf, aber es gelang ihr nicht, den außer Kontrolle geratenen Puls zu beruhigen. Es hämmerte in ihren Ohren und pochte an den Schläfen.

Deshalb nahm sie kaum den neuen Laut wahr.

Erst als sie im letzten Schimmer des abnehmenden Tageslichts etwas aufblitzen sah, hörte sie es.

Ein wütend zischendes Sausen wie von kaltem Stahl.

Und es flog geradewegs auf sie zu...

Der Festungsturm hier oben auf dem Burgwall hatte seit Urzeiten über die Küsten des Öresund gewacht. Kärnan, oder Schloss Helsingborg, wie das Gebäude auch in alten Zeiten genannt wurde, hatte Jahrhunderte und Generationen Revue passieren sehen – seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts, oder vielleicht sogar schon um einiges früher, wie die jüngste Forschung vermuten ließ.

Die Burg hatte Krieg, Elend und Belagerung gleichermaßen wie Fortschritt und Triumph erlebt, um im 18. Jahrhundert schließlich modernen Verteidigungsansprüchen zu weichen und ihrem Verfall überlassen zu werden.

Bis am Ende des vorigen Jahrhunderts eine dringend notwendig gewordene Restaurierung ihr neues Ansehen verlieh und sie zum Symbol vergangener Blütezeiten erhob.

Heute waren es nicht mehr die Soldaten des Königs, sondern neugierige Touristen, die in breitem Strom das Torgewölbe passierten. Ein Strom, der im Sommer allerdings wesentlich stärker war als jetzt im Winterhalbjahr.

Aber selbst in diesen windgepeinigten Tagen wollten eifrige Besucher die steilen Treppen erklimmen. Rotwangig von Winterluft und Bewegung entrichteten sie erwartungsvoll ihren Obulus an der Kasse und wanderten weiter durch den Treppenturm nach oben.

Bis vor fast zwei Wochen das Unheil seinen Lauf nahm...

»Wir müssen die Polizei rufen!«, sagte Linda.

Museumsdirektor Bo Jernback zögerte. Was zum Teufel sollte er der Polizei sagen ?

Doch Linda Persson, die Museumsangestellte, ließ nicht locker. Sie insistierte, denn es waren ja in erster Linie – wie immer, meinte sie – sie selbst und Anna, die während der vergangenen Wochen mit all den Unannehmlichkeiten hier gesessen hatten.

Und jetzt war es wirklich genug!

»Ruf die Polizei!«, drängte sie nun etwas hartnäckiger. »Du musst jetzt sofort anrufen, Bosse, bevor noch jemand von uns zu Tode kommt!«

Aus einem alten DUX Transistorradio, das eingeklemmt auf einem der abgenutzten Regalbretter des Büroschranks stand, begann die Stimme des Nachrichtensprechers im selben Augenblick über aktuelle Erdbeben auf der anderen Seite des Erdballs zu informieren. Dann fuhr er fort, über den Erstickungstod Tausender von Menschen in den Ruinen ihrer, von schurkenhaften Baumeistern hochgezogenen Häuser zu berichten.

Das DUX war normalerweise an, um zur allgemeinen Erheiterung an der Kasse beizutragen, und gewöhnlich erfüllte es seine Aufgabe auch ziemlich gut. Linda hatte es in den Sechzigern von ihren Eltern bekommen, und es war ein Wunder, dass es immer noch funktionierte. Obwohl das Frequenzrädchen stark klemmte, war es ihr tatsächlich gelungen, auf der Wellenlänge 106 Radio Stella einzustellen. Deshalb fragte sie sich jetzt, wer diesen verflixten Nachrichtensender eingestellt hatte. Bessere Laune bekam man davon jedenfalls nicht gerade.

»Mach den Mist aus!«, fauchte der Direktor ungehalten, während ihm der Schweiß in seinen gestärkten Hemdkragen lief.

Nicht etwa, weil es hier im Eingangsbereich des Mittelaltermuseums Kärnan in Helsingborg übermäßig warm gewesen wäre – auch wenn hier unten ein weitaus besseres Klima herrschte als in den oberen Räumen des Gebäudes –, sondern weil das Ganze hier ausgesprochen unangenehm war.

Auch wenn Linda sich beeilte, das Radio abzustellen, hatte sie wahrhaftig nicht die Absicht, im entscheidenden Punkt nachzugeben.

»Ich habe Angst, Bosse!«, gestand sie mit einem verdächtigen Zittern in der Stimme.

Gleich würde sie anfangen zu weinen – das wusste er. Dies war wirklich ein grässlicher Nachmittag, und er hatte nicht die geringste Ahnung, was er dagegen unternehmen sollte.

Anna Stråhed, die andere Angestellte des Museums, stand ein wenig entfernt am Eingangstor und umfasste nervös ihre mageren Oberarme. Dann zog sie die selbst gestrickte Jacke so eng sie konnte um den Körper und starrte geradewegs ins Leere.

Die ganze Geschichte ängstigte sie furchtbar, und sie wollte nichts mehr damit zu tun haben. In all ihren langen Jahren im Fremdenverkehrsamt der Stadt war ihr so etwas noch nicht passiert.

Zum ersten Mal fand sie das Angebot der vorzeitigen Pensionierung richtig verlockend. Und das hatte in keiner Weise damit zu tun, dass sie sich hintergangen fühlte, obgleich sie sich schon manchmal ein wenig mehr Anerkennung gewünscht und erhofft hatte. Besonders damals vor sechs Jahren, als sie eine große Konferenz und einige Kurse über Tourismus organisiert hatte.

Sie hatte sogar schon ein Auge auf eine attraktive PR-Stelle in der Stadtverwaltung geworfen, für die es wirklich wert gewesen war, zu kämpfen. Aber die Stelle war natürlich an einen Mann gegangen – einen Politiker, der sich so unbeliebt gemacht hatte, dass man sich gezwungen sah, ihn weiterzubefördern.

Nein, sie war nicht verbittert – sie hatte sich mit der Welt, wie sie nun einmal war, versöhnt. Außerdem gefiel ihr ein Monatsgehalt besser als der vorzeitige Ruhestand, denn sie kam wirklich gern unter Leute.

Bis zum heutigen Tag.

Sie starrte mit leerem Blick auf das Torgewölbe, das nun seit einer guten Stunde geschlossen war. Als könnte sie mit ihrem Blick geradewegs durch die rustikale alte Eingangstür dringen und den Sund da draußen verführerisch in der Winterkälte glitzern sehen. Die großen weißen Fähren beobachten, die auf dem schwarzen Winterwasser einander geschickt passierten. Und die Stadt unterhalb der Festungsanlage in der ersten erwartungsvollen Weihnachtsstimmung pulsieren sehen.

Die aus der Jahrhundertwende stammenden, ziegelgedeckten Gebäude der Innenstadt schienen im eisigen Wind enger zusammenzurücken und sich über den Köpfen der Menschen Weihnachtsgeheimnisse zuzuraunen.

Selbst das Glockenspiel des Rathauses bekam in der unerwarteten Kälte mit ein wenig Fantasie einen anheimelnden, festlichen Klang und...

... sie standen hier oben – eingesperrt!

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