Marina Zwetajewa - Lob der Aphrodite

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Die schönsten Liebesgedichte einer der größten Dichterinnen der Weltliteratur.
Marina Zwetajewa (1892-1941), die bedeutendste russische Dichterin neben Anna Achmatowa, ist eine der großen Liebesdichterinnen der Weltliteratur, eine Liebende voller «Maßlosigkeit in einer auf Maß bedachten Welt». Dass sie dem uralten Gegenstand völlig neue, unerhörte Klänge – und Klagen – abgewinnt, macht sie zu einem poetischen Phänomen. Ihre Gedichte sind an Frauen wie an Männer gerichtet, das Thema Liebe und Leidenschaft ist bei ihr universal.
Wer aber in Marina Zwetajewas Liebesgedichten Idyllen sucht, muss fehlgehen. Sie sind oft eine Abrechnung mit der Liebe und mit sich selbst – schonungslos, unerschrocken.
In einem Brief nennt sie die Liebe «das grausamste Spiel zum Krallenschärfen gegen sich selbst».
Der Band umfasst über hundertfünfzig Gedichte Marina Zwetajewas – viele davon erstmals in deutscher Übersetzung. In seinem Essay wagt Ralph Dutli einen neuen Blick auf die poetische, existentielle und erotische Radikalität dieser Dichterin.

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Marina Zwetajewa

Lob der Aphrodite

Gedichte von Liebe und Leidenschaft

Aus dem Russischen übertragen und mit einem Essayvon Ralph Dutli

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche - фото 1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2021

www.wallstein-verlag.de

Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf

© SG-Image unter Verwendung einer Abbildung von Marina Zwetajewa, Paris 1925

ISBN (Print) 978-3-8353-3943-9

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4666-6

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4667-3

Inhalt

Die Freundin Die Freundin 1 Sind Sie jetzt glücklich? Kein Wort kommt von Ihnen! Auch gut – so stumm! Mir scheint, Sie küssten wohl schon viel zu viele, Sind traurig – darum. Alle Heldinnen aus Shakespeares Tragödien In Ihrer Gestalt. Rettung gab’s keine, junge tragische Lady, Keinen – der half. Sie sind es müde, all das Liebesgerede Zu alt, zu schwer. Der eiserne Reif an der Hand, der blutleeren – Sagt so viel mehr! Ich liebe Sie! Die Sünde: Wolkenfetzen Über Ihrer Stirn, Weil Sie so ätzend sind und so verletzend – Und besser als wir. Weil wir, weil unsre Leben sich nie gleichen In dieser Nacht, Für die Verführungskünste, Ihre reichen, Für die fatale Macht, Weil ich einst Ihnen, jähgestirnter Dämon, Sage: Verzeih, Weil Sie unrettbar sind – noch über Gräbern! – Reiß dich entzwei! Für dieses Zitternde – muss ich jetzt träumen? Ist alles leer? – Für diese Ironie, den Reiz, den neuen: Sie sind – kein Er. 16. Oktober 1914

1 Sind sie jetzt glücklich? Kein Wort Die Freundin 1 Sind Sie jetzt glücklich? Kein Wort kommt von Ihnen! Auch gut – so stumm! Mir scheint, Sie küssten wohl schon viel zu viele, Sind traurig – darum. Alle Heldinnen aus Shakespeares Tragödien In Ihrer Gestalt. Rettung gab’s keine, junge tragische Lady, Keinen – der half. Sie sind es müde, all das Liebesgerede Zu alt, zu schwer. Der eiserne Reif an der Hand, der blutleeren – Sagt so viel mehr! Ich liebe Sie! Die Sünde: Wolkenfetzen Über Ihrer Stirn, Weil Sie so ätzend sind und so verletzend – Und besser als wir. Weil wir, weil unsre Leben sich nie gleichen In dieser Nacht, Für die Verführungskünste, Ihre reichen, Für die fatale Macht, Weil ich einst Ihnen, jähgestirnter Dämon, Sage: Verzeih, Weil Sie unrettbar sind – noch über Gräbern! – Reiß dich entzwei! Für dieses Zitternde – muss ich jetzt träumen? Ist alles leer? – Für diese Ironie, den Reiz, den neuen: Sie sind – kein Er. 16. Oktober 1914

2 Unter dem Plüschplaid, mich liebkosend 2 Unter dem Plüschplaid, mich liebkosend, Denk ich an gestern, an den Traum. Was war das? Mein Sieg, dein Sieg? Bloß die Besiegte Frau? Ich überdenke alles, leide Noch immer alles nochmals neu. In dem, wofür’s kein Wort gibt, keines! War Liebe wohl dabei? Wer war der Jäger? Wer die Beute? So teuflisch alles und verrannt! Was – lange schnurrend – wohl der Kater Von alledem verstand? In jenem Zweikampf zweier Willen Wer war der Ball in wessen Hand? Und wessen Herz – das meine, Ihres – Ist plötzlich durchgebrannt? Und – was nur war das? – immer wieder: Was will man bloß, das dann nur trügt? Ich weiß es nicht: Bin ich die Siegerin? War ich besiegt? 23. Oktober 1914

3 Tauwetter jetzt, so dass ich heute 3 Tauwetter jetzt, so dass ich heute Am Fenster lange-lange stand. Nüchtern der Blick, ich atme freier, Besänftigt wieder, nach dem Brand. Ich weiß gar nicht warum. Die Seele Ist jetzt ganz einfach abgespannt, Nicht mal den Bleistift, den Rebellen, Möcht ich berühren mit der Hand. So stand ich denn – fast wie im Nebel – So weit von Gut und Böse, dass Ich mit dem Finger sachte trommle Ans kaum erklirrende Fensterglas. Die Seele schlechter nicht, nicht besser Als der Erstbeste, der da tappt – Als schillernd alle Perlmutt-Pfützen In die der Himmel sich verschwappt, Als der vorüberfliegende Vogel Oder der letzte Hund, verirrt. Nicht mal die Sängerin, die bettelt, Hat mich zu Tränen jetzt gerührt. Die liebe Kunst namens Vergessen Hat sich die Seele eingesaugt. Und ein Gefühl, irgendein großes, Hat heute tief in mir getaut. 24. Oktober 1914

4 Sich anzuziehen – keine Lust 4 Sich anzuziehen – keine Lust, Sie wollten nicht mal aufstehn aus den Sesseln. – Doch jeder Ihrer künftigen Tage muss Von meiner Freude froh sein bis zum letzten. Besonders waren Sie abgeneigt, Noch rauszugehn in Nacht und Kälte. – Doch jede Ihrer künftigen Stunden sei Von meiner Freude jung-erhellte. Sie haben das so ohne Falsch getan, Unschuldig und nie gutzumachen. – Ich war nur Ihre Jugend, kann Nichts als vorübergehn, verlassen. 25. Oktober 1914

5 Heut abend war’s, gegen acht 5 Heut abend war’s, gegen acht, Hinweg über die Große Lubjanka, Wie Schneebälle, Kugeln – sacht Sausten die Schlitten und wankten. Ein Lachen, das schon einmal war … Mein Blick wie erstarrt, ohne Leben: Das rötliche Fell – ihr Haar, Und Jemand sitzt aufrecht daneben! Mit einer Andern schon waren Sie, Zogen Ihre Schlittenfährten, Begehrten und lieben – wie? Viel stärker als ich – begehrten! Oh, je n’en puis plus, j’étouffe! – Sie riefen es hell und laut Und schoben schwungvoll mit dem Ruf Die Pelzdecke an ihr hinauf. Fröhlich die Welt, der Abend – schlimm! Aus dem Muff Ihre Einkäufe wälzend … So sausten Sie im Schneewind hin, Blick an Blick, und Pelzchen an Pelzchen. Ein Aufruhr, grausamster Schlag, Der Schnee – weißes Weiß, niedertaumelnd. Ich stand, zwei Sekunden lang – Nicht mehr – hinterher euch schauend. Und strich übers lange Haar Meines Pelzchens – nicht zornig. O Schneekönigin, jetzt ist es klar: Dein kleiner Kay ist erfroren! 26. Oktober 1914

6 Überm Kaffeesatz schaut nachts dann 6 Überm Kaffeesatz schaut nachts dann Weinend sie zum Orient. Unschuldsmund, Mund voller Laster – Ungeheure Blume: brennt. Bald der Mond, ein junger, schlanker, Löst die Purpurdämmerung ab. Wie viel Ringe, wie viel Spangen Schenk ich dir – soviel ich hab! Junger Mond zwischen den Zweigen Schützt, behütet keinen mehr. Wie viel Armbänder und Kettchen Schenk ich liebend gerne her! Unter einer schweren Mähne Blitzen die Pupillen weich. Eifersucht deiner Gefährten? Vollblutpferde sind so leicht! 6. Dezember 1914

7 Wie fröhlich leuchtete von Flocken 7 Wie fröhlich leuchtete von Flocken Ihr graues und mein Zobelfell, Als durch den Weihnachtsmarkt wir zogen Und Bänder suchten, lockend-hell. Wie ich an rosig-ungesüßten Waffeln mich voll aß – wie viel? Sechs! Und mich die roten Pferdchen rührten, Mich rührten doch nur Sie zunächst. Als rote Mäntel, groß wie Segel, Schwatzten sie uns bloß Lumpen auf, Und staunten über Moskaus Mädchen – Die Bauernweiber dumm und laut. Und dann, als sich das Volk verstreute, Gingen wir zögernd da hinein, Wo auf der alten Gottesmutter Ihr Blick verharrte ganz allein. Wie das Gesicht mit trüben Augen So gütig schien und ganz erschöpft, Mit runden Amorputten auf dem Ikonenschrein Elisabeths. Wie Sie dann meinen Arm anhielten Und sagten: »Oh, ich will sie, sehr!« Behutsam stellten Sie die gelbe Kerze hinein ins Lichtermeer … O weltliche, mit dem Opalring Geschmückte Hand! Mein Missgeschick! Und ich versprach, noch diese Nacht dir Zu stehlen das Ikonenstück. Dann in den Gasthof jenes Klosters – Die Glocken dröhnten vor der Nacht – So selig wie Geburtstagskinder Krachten wir wie Soldatenpack. Wie ich dann schwor, bevor ich alt bin Noch hübsch zu werden – Salz verstreut! – Und dreimal fiel – Sie wurden grantig – Der Herzkönig mir zu erneut. Wie Sie mich fassten, meinen Kopf mir Liebkosten – jede Locke glüht – Und die Emailblume der Brosche Hat meine Lippen mir gekühlt. Wie ich entlang der schmalen Finger Mit meiner schläfrigen Wange strich, Sie neckten mich, ich sei ein Junge, Ihnen gefiel’s, Sie mochten mich … Dezember 1914

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