Mein Leichtsinn! Meine Sünde, mir lieb Mein Leichtsinn! Meine Sünde, mir lieb, Mein Gefährte, mein Feind du, mein zarter! Der das Lachen in meine Augen mir trieb, Spritzt die Mazurka mir in die Adern. Lehrtest, sie nicht zu behalten, die Ringe – Mit wem auch das Leben mich band! Auf gut Glück mit dem Schluss zu beginnen Und zu schließen, bevor es begann. Wie ein Halm sein und sein wie der Stahl In dem Leben, wo wir so wenig vermögen … Mit Schokolade zu heilen alle traurige Qual, Dem Passanten nur lachend begegnen! 3. März 1915
Mir gefällt, dass Sie krank sind – nicht nach mir Mir gefällt, dass Sie krank sind – nicht nach mir, Mir gefällt, dass ich krank bin – nicht nach Ihnen, Dass der Erdball uns nie wegschwimmt, dass wir Nie den Boden unter den Füßen verlieren. Mir gefällt, dass ich lustig sein kann, Ausgelassen – ohne die Wörter zu hüten, Und nicht erröte, erregt und bang, Weil unsere Ärmel sich leicht berührten. Mir gefällt, dass Sie offen vor mir Ganz ruhig die andere umschließen Und nicht drohen, dass in der Hölle dafür Ich braten werde, dass ich Sie nicht küsse. Dass Sie, Zärtlicher, den zarten Laut Meines Namens nicht Tag und Nacht stammeln … Dass nie in der Stille der Kirche – getraut – Für uns Halleluja-Rufe erschallen! Ich danke Ihnen mit Herz und Hand Dafür, dass Sie – ohne es selber zu wissen! – Mich so lieben: nachts für meine Ruhe – gebannt, Die seltenen Treffen unter Dämmerlichtern, Unsere Nicht-Spaziergänge unterm Mondlicht hier, Für unsere Köpfe, nicht von der Sonne beschienen, Dafür, dass Sie krank sind – leider! – nicht nach mir, Dafür, dass ich krank bin – leider! – nicht nach Ihnen! 3. Mai 1915
Die zehn Gebote ließ ich unbeachtet Die zehn Gebote ließ ich unbeachtet, ging nicht zur Kommunion. Sicher – solang sie über mir keine Litaneien singen, Werde ich sündigen – wie ich sündige: mit Leidenschaft, komm schon! Mit den von Gott gegebnen, allen fünf Sinnen! Freunde! Komplizen! Ihr, deren Anstiftungen heiß sind! Ihr Mittäter alle! O ihr zärtlichen Lehrer! Jünglinge, Mädchen, Bäume, Sternbilder, Wolken, weiße – Beim Jüngsten Gericht gemeinsam Antwortende, o Erde! 26. September 1915
Wie brennende, geschliffene Schmeichelei Wie brennende, geschliffene Schmeichelei Unter Roms Himmel, nächtlicher Veranda, Tödlicher Kelch in Rosen und Girlanden – So magisch sind die Wörter: diese zwei. Die Toten auferstehen wie auf Kommando, Gott schweigt – windleichte Botschaft sei Die Rache eines Heiden, einerlei: Ich hab sie nie gelesen – Ars amandi! Das Himmelsblau, das Blau geliebter Augen Machen mich blind. Sollst nicht beleidigt sein, Du Dichter: Ich hab keine Zeit für dein Latein! Ob die Geliebten lesen? Sag, Ovid! Ob auf dem Bett deine dich gelesen haben? Nein? Dann tadle nicht die Erbin deiner Frauen. 29. September 1915
Im fatalen Folianten Im fatalen Folianten Nichts was einen Reiz enthält Für eine Frau. Ars amandi Ist für sie – die ganze Welt. Herz – von allen Liebestränken Der Trank, der am besten trifft. Frau – seit ihrer Wiege längst schon Sünde, irgendwessen Gift. Ach, wie fern ist uns der Himmel! Lippen – nah im Dunkel und vertraut … Richte nicht, du Gott! Denn niemals Warst du auf Erden eine Frau! 29. September 1915
Zigeunerleidenschaft: sich trennen Zigeunerleidenschaft: sich trennen! Kaum begegnet – wieder fortgedrängt. Ich senk meine Stirn in die Hände Und schau in die Nacht und denk: Keiner, mag er in unsern Briefen graben, Könnte es verstehen bis zuletzt, Wie sehr wir treulos sind, will sagen: Wie sehr wir treu sind – nur uns selbst. Oktober 1915
Ich weiß eine Wahrheit! Alle andern Wahrheiten – Schluss Ich weiß eine Wahrheit! Alle andern Wahrheiten – Schluss! Der Mensch soll auf Erden nicht mit dem Menschen sich schlagen! Schaut: der Abend, schaut: die Nacht, die kommen muss. Wo denkt ihr hin – ihr Heerführer, Dichter, Liebhaber? Schon legt sich der Wind, die Erde liegt schon betaut, Am Himmel erstarren wird der Schneesturm der Sterne, Und wir? haben auf Erden einander den Schlaf nur geraubt Und werden bald alle schlafen unter der Erde. 3. Oktober 1915
In der Hölle leben, ihr hitzigen Schwestern In der Hölle leben, ihr hitzigen Schwestern, Wir müssen trinken den Höllen-Teer, Wir, die mit jedem Äderchen bis zum letzten Einst sangen: Lobe den Herrn! Wir, die nachts über Wiege und Spinnrad Uns nie beugten voller Schreck, Fortgetragen im Kahn, der noch schlingert, Unterm langen Mantel versteckt. In feine chinesische Seide Gesteckt gleich am Morgen schon, Paradiesische Lieder singend Am Räuberfeuer wie zum Hohn. Wir nachlässigen Näherinnen – Los näh schon, nur die Naht, die zählt! – Wir Tänzerinnen und Flötenspielerinnen, Herrinnen der ganzen Welt! Mal kaum bekleidet, abgerissen, Mal der Zopf unter Sternen verirrt. In Gefängnissen, auf Jahrmarktwiesen Wie in den Himmeln rumspaziert. Wandernd in den Sternennächten, Im Apfelgarten, paradiesbegabt … Wir müssen, liebenswerte Mädchen, Zarte Schwestern – in die Hölle hinab! November 1915
Voller Mond und die Bärenpelze Voller Mond und die Bärenpelze, Leichter Tanz, der die Schellchen bricht … Leichtsinnigste Stunde! Die hellste Und tiefste für mich. Gegenwind bläst, macht mich sanfter, Der Schnee wärmt den Blick mir auf, Auf dem Hügel das Kloster – hell dampfend Vom Schnee: sein heiliger Hauch. Sie küssen mir, Freund, diese Flocken Von der Brust, aus dem Zobelfell. Ich schau auf den Baum – in die Felder, Auf den Kreis des Mondes – hell. Hinterm breitesten Kutscherrücken Zwei Köpfe – sich zu treffen: wie schwer! Ich beginne vom Herrgott zu träumen, Von Ihnen – träum ich nicht mehr. 27. November 1915
Sie fliegen weg – nur hastig hingeschrieben Sie fliegen weg – nur hastig hingeschrieben, Noch heiß von beiden: Lust und Bitterkeit. Gekreuzigt zwischen Liebe und Liebe – Mein Jetzt, mein Tag, mein Jahr und meine Zeit. Ich hör, dass auf der Welt Gewitter toben, Und Amazonen-Speere glänzen neu jetzt auf … Ich – halt die Feder nicht zurück! Zwei Rosen Betranken sich, saugten mein Herzblut aus. Moskau, 20. Dezember 1915
Gedichte an Ossip Mandelstam Gedichte an Ossip Mandelstam 1 Keiner hat es je überwunden! Wie schön sind wir zwei uns – fremd. Ich küsse dich – über Hunderte Wersten von dir getrennt. Ungleich sind, ich weiß, unsere Gaben, Meine Stimme zum ersten Mal – still. Ist dir, du mein junger Derschawin, Mein Vers nicht zu ruppig, zu schrill? Für den schrecklichen Flug gesegnet: Junger Adler, zum Himmel gekehrt! Die Sonne ertrugst du, ohne Regung – Mein Blick ist dir plötzlich zu schwer? So zärtlich und unwiderrufen Hat dir noch keiner nachgeblickt … Nimm diesen Kuss – über Hunderte Trennender Jahre geschickt. 12. Februar 1916 Gawrila Derschawin (1743 bis 1816): bedeutendster russischer Lyriker des 18. Jahrhunderts, Klassizist, Erneuerer der Ode.
1 Keiner hat es je überwunden Gedichte an Ossip Mandelstam 1 Keiner hat es je überwunden! Wie schön sind wir zwei uns – fremd. Ich küsse dich – über Hunderte Wersten von dir getrennt. Ungleich sind, ich weiß, unsere Gaben, Meine Stimme zum ersten Mal – still. Ist dir, du mein junger Derschawin, Mein Vers nicht zu ruppig, zu schrill? Für den schrecklichen Flug gesegnet: Junger Adler, zum Himmel gekehrt! Die Sonne ertrugst du, ohne Regung – Mein Blick ist dir plötzlich zu schwer? So zärtlich und unwiderrufen Hat dir noch keiner nachgeblickt … Nimm diesen Kuss – über Hunderte Trennender Jahre geschickt. 12. Februar 1916 Gawrila Derschawin (1743 bis 1816): bedeutendster russischer Lyriker des 18. Jahrhunderts, Klassizist, Erneuerer der Ode.
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