„Ah, Valeska. Hattest du ein angenehmes Bad?“
„Geht so“, meine ich säuerlich. „Ich vergaß, die Badezimmertür abzuschließen und bekam überraschend Besuch.“
Ich berichte von dem aufdringlichen Kerl, der mich belästigt hat, als ich nackt im Bad war.
„Kannst du deine Mitarbeiter bitte vom Haupthaus fernhalten, wenn sie sich jungen Frauen gegenüber nicht benehmen können! Der soll sich ordentlich bei mir entschuldigen dieses Schwein!“
„Valeska, beruhige dich!“, Jost schaut mich besorgt, aber auch irritiert an.
„Schatz, die Mitarbeiter haben ihr eigenes Bad im Angestelltenhaus. Wenn hier tatsächlich einer von ihnen halb nackt vor unserer Badezimmertür herumlungert und dich oder, Gott bewahre, Juanita belästigt, dann bekommt er eine saftige Abmahnung!“ Jost sieht nun nicht mehr so entspannt aus. Juanita, die ihren Namen gehört hat und von ihrem Videospiel aufschaut, bemerkt lässig: „Papa, für mich klingt das nicht nach einem unserer Angestellten, sondern nach ...“
Ein fröhliches „¡Buenas tardes, familia!“ unterbricht ihre Ausführungen.
Ich drehe mich nach der angenehmen männlichen Stimme um und erstarre.
„Jost, das ist er!!“, bringe ich schließlich hervor.
„¡Oh, la chica del baño!“, ruft er erfreut aus und schiebt noch etwas Erklärendes für seine Familie nach.
„Ramón, te presento Valeska, nuestra media hermana de Alemania“, erklärt Juanita ihrem Halbbruder grinsend. „Es tu hermanastra!“
Meine rudimentären Sprachkenntnisse reichen aus, um zu verstehen, wie Juanita ihrem großen Bruder genüsslich die Verwandtschaftsverhältnisse darlegt.
Immerhin hat mein Stiefbruder den Anstand, bei dieser Erklärung leicht zu erröten und etwas auf Spanisch zu stammeln.
„Haha!“, lacht Juanita und erklärt mir: „Er dachte, du wärest meine deutsche Austauschpartnerin! Die kommt aber erst in den Frühjahrsferien im Oktober!“
„¡Estúpido!“, sagt sie zu ihrem großen Bruder.
Jost und Isabella flüstern halblaut auf Spanisch miteinander.
Schließlich hebt Jost die Stimme und sagt ein paar harsche Worte zu Ramón.
Dieser errötet noch etwas mehr und murmelt auf Spanisch etwas von „Schlüssel“ und „abschließen.“
Dann stellt er sich aber vor mich hin und sagt auf Deutsch:
„Fräulein, es tut mir sehr leid!“
Ich grinse ihn an und sage auf Englisch: „Its okay, but please call me Valeska.“ Ich ergreife seine Hand, die er mir hinstreckt, dabei sagt er:
„We will start again, okay?“
„¡De acuerdo!“, bekräftige ich.
„¡Oh, hablas espagñol!“
„No, not at all! Just some words. Please lets continue in English!“
Seine Hand, die immer noch meine hält, ist angenehm warm.
„¡Perdon, Valeska!“
„Alright! I was silly too! Can we have dinner now?“
Jorge und Juanita grinsen und auch der Rest der Familie muss lächeln, dann brechen alle wie auf Kommando in schallendes Gelächter aus.
„Ramón, wie er leibt und lebt!“, japst Jost schließlich. „Aber deine Einlage mit dem spannernden Angestellten, die war auch großartig.“
Ich wische mir die Tränen aus den Augen, während sich meine neue Familie langsam auch wieder sammelt und sich gen Abendbrottisch begibt.
Jorge und Juanita feixen, dann aber unterhalten sie sich angeregt mit Ramón auf Spanisch, der nun endlich auch von seiner Mutter und Jost angemessen begrüßt werden kann.
Wir genießen ein außergewöhnliches paraguayisches Mahl – mit vielen Spezialitäten zubereitet von Carmen, der langjährigen Haushälterin und Köchin der Familie.
Ramón erweist sich als hervorragender Unterhalter. Er erzählt Anekdoten aus seinem letzten Semester – über Partys, die er besucht hat und über das Sezieren von Leichenteilen sowie seine Praktika in den verschiedenen Krankenhäusern der Stadt und erste Kontakte mit Patienten.
Mir erzählt er auch von seinem Pferd und dass er es gleich im Stall besuchen wird, wie er das Reiten und die Natur vermisst, obwohl Asunción ja eine der grünsten Städte der Erde sei.
Ich höre wie immer gerne erst mal allen zu und sage wenig.
Juanita hat sich ein Programm für mich überlegt und ich bin gerührt, mit wie viel Eifer die kleine Schwester sich in die Planung gestürzt hat. Beim Nachtisch möchte sie alles mit mir durchgehen.
„Mira, Valeska“, sagt sie energisch, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Morgen ruhst du dich noch etwas aus. Du erholst dich vom Flug, gewöhnst dich an die Zeitverschiebung, die neuen Eindrücke. Nach einem super Frühstück werde ich dir dann das ganze Haus und die Ställe zeigen.
Dann schauen wir uns die Umgebung bei einem kleinen Spaziergang an. Gar nicht weit von hier fließt ein kleiner Fluss, wir könnten dorthin gehen! Ansonsten entspannst du dich.“
Übermorgen zeige ich dir dann Ciudad del Este, unsere nächstgrößere Stadt an der Grenze zu Brasilien! Wir fahren mit dem Bus hin! Da können wir shoppen gehen!“
„Oh fein, ich geh gerne shoppen. Gibt es in Ciudad del Este auch was zu besichtigen? Ich bin schließlich als Touristin hier!“, ziehe ich Juanita auf.
„Klar, kein Thema, da ist die Kirche, der Fluss, die Brücke nach Brasilien ...“
„Perfekt. Ich freu mich schon, aber“, ich kann einen riesigen Gähner nicht unterdrücken, „ich bin hundemüde! Bei uns in Deutschland ist es jetzt schon zwei Uhr morgens!“
Juanita spult im Eiltempo ab: „Dann will ich mit dir ausreiten und picknicken, zum Stausee Itaipú fahren, ein Wochenende in Asunción verbringen, in dem wir Party machen werden ... zum Río Paraguay, zu dem Guaraní-Indianern ...
„Stopp! Gnade!“ rufe ich lachend.
„Danke, Juanita! Ich freue mich ehrlich schon auf die tollen Ausflüge, aber nun möchte ich schlafen gehen. Vielleicht gehe ich zum Ausspannen einen Moment an die frische Luft.“
„Ich begleite dich“, sagt Ramón auf Englisch, „ich möchte nach Black Lightning sehen. Möchtest du dir die Ställe ansehen?“
Juanita schaut etwas säuerlich, lässt mich aber ziehen.
Zuvor wünsche ich ihr, Isabella und Jost sowie dem kleinen Jorge eine gute Nacht.
Dann trete ich mit Ramón in die subtropische Nacht hinaus. Es ist herrlich, wie angenehm warm es noch ist.
Als Ramón den Stall betritt, pfeift er leise. Sofort beginnt es in einer der Boxen zu rumoren und ein wunderhübscher, schwarzer Hengst streckt uns seinen Kopf entgegen.
Ramón liebkost und streichelt ihn und redet leise-zärtlich auf ihn ein.
„Ach, ich bin so froh, ihn wiederzusehen!“, sagt er.
„Das vermisse ich in Asunción. So toll das Leben dort auch ist, mir fehlt die Natur, das ruhige Leben und mein Hengst“, erklärt er ernsthaft.
Ich trete zurück und will gerade etwas erwidern, als ich mit dem linken Fuß in etwas hängenbleibe. Wild rudernd falle ich in einen Heuhaufen und bleibe erst mal verdattert liegen.
Ich höre Ramóns glucksendes Lachen, als er mir seine Hände entgegensteckt und mich hochzieht.
„¿Qué pasa?“, fragt er.
„Oh, ich bin so müde!“, erkläre ich entschuldigend. „Mir ist richtig schwindelig.“
Besorgt schaut er mich an:
„Du musst sofort ins Bett“, sagt er bestimmt.
Er fasst mich am Arm und zieht mich in Richtung Haus.
„Du hast zu wenig geschlafen und solltest dich gut ausschlafen. Ausreichend Schlaf ist für die Gesundheit und ein langes Leben sehr wichtig!
Neue Studien haben gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen Schlafmangel auf unser Wohlbefinden und unsere Lebensdauer hat!“
„Ja, das weiß ich spätestens seit Schlafes Bruder!“, entgegne ich halb spöttisch, halb ernst.
„Robert Schneider hat da wirklich ein außergewöhnliches Stück Literatur geschaffen. Ich habe es auf Spanisch gelesen, Juanita sogar im Original“, antwortet er gelassen.
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