Sie weinte vor Zorn. Was hatte diese widerliche, geschminkte Person eigentlich zu spielen? Die war doch in den bisherigen Szenen nicht vorgekommen. Im Darstellerverzeichnis stand der protzige und hoffentlich waschechte Adelsname neben der Rolle einer englischen Lady ... Nun musste sie unter Tränen lächeln: Mein lieber Dareen, da haben Sie aber sehr daneben gegriffen! Eine englische Lady benimmt sich reichlich anders — das glaube ich bestimmt zu wissen ... Übrigens war man Dareen einigen Dank schuldig. Ja, Dareen war ritterlich — aber die anderen — —
Das war die Filmwelt, wie sie sich vor ihren Augen zeigle: ein lächerliches Gemisch von Leidenschaft und Schminke, von Inbrunst und Hysterie, von wilder Arbeitslust und anmassender Faulheit. Da war nichts zu entwirren, und der Scheltende irrte so sehr wie der Lobende. Dies Parfüm roch wunderlich bittersüss, man lechzte danach und ekelte sich davor, in einem Atemzuge.
Während der Mittagspause schwärmten die geschminkten Komparsen vor Isabels Fenstern. Die Kleberin legte ihre Arbeit zur Seite, spannte die grosse Rolle ins Kinoskop und sah sich durch das Vergrösserungsglas an, was sie bisher geschnitten hatte. Währenddessen verzehrte sie ihr bescheidenes Margarinebrot.
Plötzlich trat Dareen ein, auf seinem Gesicht zuckte die Erregung. Er ging wortlos zum Fenster, schloss es ab, wandte sich dann zu Isabel um und musterte sie prüfend vom Kopf bis zu Füssen. Ihr Herz begann zu klopfen: was wollte er denn? — und eine feine Röte stieg ihr ins Gesicht.
„Herr Dareen —?“
Aber da er immer noch nichts erwiderte, drückte sie wieder auf den Knopf ihres Apparates und beugte sich interessiert über die Bilder. Wenn Dareen etwas wünschte, dann konnte er ja wohl seinen Mund auftun.
Endlich fuhr sich der Regisseur mit der Hand über die grauen Schläfen. „Sie wurden von einer Schauspielerin belästigt. Die Dame sollte eine englische Aristokratin spielen — das kam mir vorhin schon ziemlich unmöglich vor, denn, Fräulein Gynthenburg: vorm Objektiv gibt’s keine Lüge. — Sie lächeln? Wer sind Sie eigentlich?“
„Was wünschen Sie, Herr Dareen?“
„Nun — diese Similidiva steht jetzt ungeschminkt im Atelier und weigert sich, ihre Kokottenhaare umfrisieren zu lassen. Sagt, der Bubenkopf sei jetzt modern. ‚Ich mache nichts Modernes’, habe ich ihr geantwortet, ausserdem sei das kein Bubenkopf, sondern eine Wuschelfrisur. ‚Mia May trägt sie auch!’ sagt sie. Kurz und gut: ich habe bis drei gezählt und ihr die Rolle sofort abgenommen. Danach liess ich bei verschiedenen Filmspielerinnen telephonisch anrufen, konnte aber in der Eile keinen Ersatz auftreiben. Unter den Komparsen ist nichts Passendes zu finden, wir sind ja nicht in Amerika. Jetzt meint Tamaroff, Sie könnten so etwas darstellen — und ich muss sagen, die Sache scheint mir nicht unmöglich.“
Kam die grosse Stunde? Als Spielerin nicht, weniger denn je! „Leider durchaus unmöglich, Herr Dareen.“
„Wieso, bitte?“ Aus den hellen Augen des Regisseurs kam ein bohrender Strahl, aber Isabel hielt ihn aus. „Ich bin als Kleberin angestellt“, sagte sie mit lächelnder Ruhe. Dareen schob in einer ärgerlichen Bewegung die geordneten Filmstreifen beiseite und lehnte sich an den Klebetisch. Jetzt muss ich meine Szenen nachher alle wieder zusammensuchen, ging es Isabel unmutig durch den Kopf.
„Also liebes Fräulein: Sie eignen sich für diese Rolle — und ich muss mich binnen zehn Minuten für einen Ersatz entscheiden, sonst fliegt mir der ganze Aufnahmetag in den Schornstein. Sie erhalten das Honorar, das dem sogenannten Fräulein van Zuiden zugestanden hätte —“
Eine flüchtige Bewegung des Mädchens unterbrach ihn. „Darum handelt es sich nicht.“
Der Regisseur sah ihr forschend unter die Stirn: „Um so besser, meine Gnädigste. Übrigens: Sie scheinen nicht als Klebedame geboren zu sein.“ Ihr Herz schlug einen heftigen Stoss: „Sind Sie als Erster Regisseur auf die Welt gekommen, Herr Dareen?“
Dareens Hand spielte achtlos mit den zerstreuten Filmstreifen und warf sie vollends durcheinander. Gewiss nicht — da waren Kämpfe gewesen, Leidenschaften ... und Konzessionen. „Fräulein Gynthenburg — ich beginne mehr und mehr, vor Tamaroffs Blick Respekt zu bekommen. Sie haben also drei Spieltage — die Rolle hat nur Innenaufnahmen.“
Wollte er so über sie verfügen? In einer letzten Abwehr, die unter seinem Blick unsicher wurde, stiess sie unmutig und doch gefesselt hervor: „Und wenn ich nicht will —?“
Er nahm ihre Hand und suchte mit abwesenden Augen in den schlanken, gepflegten Fingern, als ob sie ihm etwas verraten sollten. „Wissen Sie das noch nicht: bei uns muss man wollen, und will man müssen.“ Das hatte sie vorhin auch gedacht, es verwirrte sie — aber sie wollte sich diese Worte merken. „Später können Sie dann wieder in Ihren Kleberaum zurück, solange Sie Lust haben.“
Kein Dank, keine Liebenswürdigkeit. Seine karge Art missfiel ihr und machte sie zugleich seltsam stolz. „Ah — Herr Dareen“, lachte sie, es klang bitter und wild. „Warum soll eine Klebedame nicht auch mal die Lebedame spielen!“
Frau Kiesering fiel am Nachmittag in Ohnmacht. Die Hitze wurde unerträglich, das ganze Atelier schien ein riesenhafter Brutkasten zu sein. Selbst die alten Filmhasen, wie Koll, Tamaroff und der Komiker Paulsen, liefen mit geschwollenen, unter der Schminke blassen Gesichtern herum und räsonnierten, bis der Regisseur die drei Herren beiseite nahm und sich das energisch verbat. Die Komparsen murrten offen.
Dareen verständigte sich telephonisch mit der Direktion und konnte jedem der Teilnehmer, der eine Tagesgage hatte, mit Ausnahme der Solisten, eine Zulage in Höhe des halben Honorars ankündigen. Darauf besserte sich die Stimmung im Atelier wieder etwas. Dann wurde einem jungen Beleuchter schlecht, der abermals herbeigerufene Atelierarzt stellte aber fest, dass der Mann bloss zuviel Eiskaffee getrunken hatte. Dareen liess Frau Kiesering rücksichtslos um Wiedererscheinen bitten, sie hatte in der nächsten Szene zu spielen.
Seine Arbeitskraft schien unerschöpflich. Alle andern schlichen mürrisch, mit gedunsenen Köpfen umher. Lydia Keriël war so abgespannt und gleichgültig geworden, dass Dareen kaum für die halben Minuten des Spiels ein wenig Lebendigkeit aus ihr herauszwingen konnte. Er allein war schwingend frisch, obwohl er sich seit sechs Uhr früh im Atelier befand und in der Mittagspause die neue Darstellerin in die Geheimnisse ihrer Rolle eingeweiht hatte. Wer war denn das eigentlich? Die Klebedame? Nanu!
Der Chefoperateur stand in einer mühsam verborgenen Erregung bei seinem Apparat. Man lachte über die Klebedame, riss matte Witze über Dareens krause Entdeckerpfade. Der Bucklige pinselte stumm an seinem Objektiv. Isabel — kleine Isabel, dachte er und lauschte einer leisen, wiegenden, wildwehen Melodie, die in ihm klang. Tamaroffs Slawenaugen glühten starr unter der schweissnassen Stirn: gleich wurde eine Szene gedreht, bei der diese Klebekatze zu tun hatte ...
Frau Kiesering schleppte sich wieder herein, noch elender als zuvor. Dareen war zufrieden, so sehr die Frau ihr: dauerte: sie hatte die Gouvernante der ‚jungen’ Lydia zu spielen — in dieser Eigenschaft konnte sie gar nicht gequetscht genug aussehen. Lydia Keriël war derselben Meinung, sie sagte es flüsternd und gleichgültig ihrem Regisseur.
Dann kam Koll mit einer Dame, die niemand kannte. Sie trug ein glattes, schwarzes Atlaskleid, vollkommen schmucklos stieg der junge Hals aus dem runden Ausschnitt. Keine Spange, keine Kette zierte die blossen Arme. Die linke Hand hielt spielend über der Brust einen dunklen Schleier zusammen, das reiche Haar floss in einer langen, leichten Welle zum Nacken. Man stiess sich fragend an — und plötzlich lagen aller Augen auf ihr.
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