Walter Julius Bloem
Tanz ums Licht
Roman
Saga
Meiner Mutter
Isabel von Gynthenberg zog die elektrische Schnur aus dem Steckkontakt und goss das leise summende Wasser ins silberne Kaffeemaschinchen. Es war unglaublich, wie Dareen wieder mit seinen Nerven umging!
Der Regisseur stäubte unmutig die Asche seiner Zigarette über den blanken Linoleumboden. „Was machen Sie denn nur immer mit den Grossaufnahmen von Frau Keriël, Michel? Alle Bilder sind tadellos, Sie bringen das Licht wunderbar weich — bloss die Nahaufnahmen von der Keriël sind einfach scheusslich.“
Der Operateur klimperte verdriesslich auf dem reichlich verstimmten Klavier — „Zigeuner, spielt mir den Csardas auf!“ Es war längst tiefe Nacht! Michel gähnte, wobei es ihm trotzdem gelang, den zwischen den Lippen baumelnden Glimmstengel im Mund zu behalten, und hob geringschätzig die Schultern: „Was kann ich dafür, Meister, wenn die grosse Lydia in die Jahre kommt?“
Voller Ironie betrachtete Dareen seinen buckligen Arbeitsgefährten. Der liess sich im Spiel nicht stören, mit dem- er sich in den Pausen zwischen den Vorführungen den Schlaf vertrieb. Jetzt aber schnüffelte Michel den Kaffeeduft, klappte ermuntert den Klavierdeckel zu und schob sich neben dem Regisseur in einen Sessel.
Josef Dareen musste wider Willen lächeln. Der Kampf zwischen der anspruchsvollen Diva und seinem Chefoperateur nahm zuweilen lebhaftere Formen an. „Reden Sie doch keinen Unsinn, Michel. Sie haben von Frau Keriël einfach schlechte Bilder gemacht, das sieht ein Blinder!“
Der Bucklige blinzelte müde und listig ins gelbe Licht, das von der Decke des kleinen, behaglichen Vorführungsraumes niederströmte: „Machen Sie Schluss, Herr Dareen — Sie sind nicht in Stimmung. Übrigens ist es jetzt zwei Uhr, und ich möchte endlich in die Klappe!“
„Was Sie möchten, ist mir ganz gleich. Sie können bis Montag durchschlafen. Also, bitte: warum hapert es immer mit Lydia Keriëls Bildern?“
„Das wissen Sie ganz genau, Freund und Meister: weil mich die Dame verrückt macht mit ihren ewigen Quängeleien. Man soll ihr nicht so von unten in die Nasenlöcher drehen und nicht so von oben herunter in den Ausschnitt — —“
„Frau Keriël ist manchmal etwas unduldsam“, sagte Dareen. „Sie ist eben eine Künstlerin ...“
Aber der Operateur trumpfte auf: „Bin ich etwa kein Künstler? — Oho! Meinen Sie — —“
„Das weiss ich! Meinetwegen können Sie der liebe Gott sein. Sie sehen aber doch wohl ein, dass Ihre Abneigung nicht zu derartigen Bildern — —“
Isabel hielt es für geraten, den Wortwechsel der beiden ungleichen Freunde zu unterbrechen. Sie stellte ihnen die Tassen mit dem schwarzen, starken Kaffee hin. Dareen liess den Blick gedankenlos über ihre ruhigen, von keinem Ring gestörten Finger gleiten.
„Ah — danke sehr, Fräulein Gynthenburg. Na, Michel, wir wollen nicht streiten. Ich muss Sie aber dringend bitten, bei den Atelieraufnahmen erheblich liebenswürdiger zu sein. Auch wenn unsere Diva mal etwas ungnädig ist.“ Er schob dem Buckel die Tasse hin, und sie tranken. Ah — wie gut! Man war doch müde, so eine Reise ging elend in die Knochen, auch wenn Kilian Koll, der Hilfsregisseur, alles am Schnürchen erledigte.
„Wollen Sie so gut sein, Fräulein Gynthenburg, und auch dem kleinen Köppke einen Kaffee bringen — er schläft uns sonst noch ein. Soll dann mit der letzten Rolle anfangen.“
Isabel ging in das Kämmerchen des Vorführers. Der junge Mann schlief auf seinem Schemel, die blonden Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Das Mädchen musste ihn wachrütteln, er schaute unwillig um sich, brummte etwas Unverständliches vor sich hin, das kaum eine Schmeichelei für Herrn Dareen sein mochte — trank aber dann zufrieden seinen heissen Trank.
Das Licht erlosch. Isabel drehte ihre abgeblendete Lampe an und legte den Stenogrammblock zurecht. Auf der Leinwand erschienen, noch ungeschnitten und mit den szenischen Nummern bedeckt, die letzten Aussenaufnahmen des jüngsten Lydia-Keriël-Films „Roulette“. Dareen sass zurückgelehnt, seine Hand spielte gelassen mit dem Klingelknopf, seine Augen gingen gleichgültig und müde über die strahlenden Bilder der ligurischen Ebene. Wirklich — Michael Grczegorczewicz verstand sein Handwerk! Unter seinen Händen funkelte die Sonnenflut der Riviera, ein sprühendes Lichtmeer. Er liess sich seine Kunst mit Gold aufwiegen — das war sein gutes Recht, Josef Dareen machte es auch nicht anders.
„Fräulein Gynthenburg! Bild 377 a Anfang sechs Meter weg.“
Das Mädchen schrieb. Der Regisseur liess mit einem innerlichen Entzücken, das nicht bis zu seinem Gesicht vordrang, die Bilder an sich vorüberziehen. Ein Druck auf den Klingelknopf — der Film stand.
„Haben Sie eben gesehen? Frau Keriël hebt zornig die Hand — sehen Sie: so. Von da ab einen Meter, dann wegschneiden — na, lassen Sie vorsichtshalber anderthalb Meter dran, wegnehmen kann man immer noch. Weiter.“ Ein Klingeldruck — die Bilder bewegten sich wieder über die weisse Wand.
Isabels Blick streifte Dareen, der mit bohrender Ruhe dem Gang der Bilder folgte. „Famos!“ sagte er mit einer kleinen Kopfbewegung gegen den Buckligen hin. „Das ist ganz wundervoll. Übrigens — Teufel noch mal: schon wieder! Na, halt! — Fräulein Gynthenburg, notieren Sie besonders: Handzettel an Frau Kiesering: ‚Falls Sie bei den kommenden Atelieraufnahmen noch ein einziges Mal in den Apparat sehen, so muss ich zu meinem Bedauern auf Ihre fernere Mitwirkung verzichten.’ Montag früh mit Unterschrift an mich zurück. — Übrigens: notieren Sie, bitte, noch: ‚Herr Paulsen soll gelegentlich einen zerlumpten Alten bekommen.’ Scheint seine Type zu sein, der Mann sieht im Gehrock ja geradezu blöd aus. — Weiter, Köppke.“
Nichts rührte sich. „Weiter!“ rief Dareen und klingelte. Isabel erhob sich und schaute, auf den Zehenspitzen stehend, in die Vorführerzelle. Der arme Kerl war schon wieder eingeschlafen. Dareen sprang auf und klopfte wütend an das Fensterchen:
„Nehmen Sie sich ein bisschen zusammen! Ich möchte heute noch fertig werden mit den Aussenaufnahmen. Na, Fräulein — hoben Sie noch etwas Kaffee? Dann geben Sie dem Mann noch eine Tasse. Mir auch.“
„Mir auch!“ rief der Operateur und grinste. „Sie müssen nämlich wissen, Herr Dareen: Fräulein Gynthenburgs Kaffee ist berühmt im ganzen Haus.“
Wie hübsch sie dies improvisierte Frühstück zu reichen verstand! Es schmeckte noch einmal so gut bei dieser freundlichen und zierlichen Spendung — denn von Bedienung war schwer zu reden, seltsamerweise. „Frühstück ist gut, maestro — aber vollkommen richtig! Wenn hier ein Fenster wäre, dann könnte Aurore Ihnen mit dem bewussten Finger sicherlich schon einen zarten Wink geben — na, aber bei Ihnen muss man schon eine Latte vom Zaun reissen. Möchte wissen, Dareen, wann Sie müde werden!“ Der Bucklige prüfte den Kaffee mit der Zunge, als ob es ein edler Wein sei. „Oh, Fräulein Gynthenburg!“ rief er ermuntert. „Ich stifte Ihnen ein Paket Zichorie, einen rechten Schlummertrank. Bei diesem Kaffee muss Herr Dareen ja denken, der Tag finge gerade eben erst an ...“
Das Fräulein lächelte. Isabel von Gynthenburg — Klebedame ... Warum nicht? Sie hob den feinen Kopf ein wenig stolzer. Warum nicht! Dareen bot ihr freundlich und erheitert eine Zigarette an, reichte ihr das Zündholz — freute sich über die leisen, ungezierten Bewegungen ihrer Hände. Das Mädchen hatte eine unaufdringliche Sicherheit, die er selten fand — am wenigsten bei denen, die es nötig hatten: bei den Filmspielerinnen.
Während der Film weiterrollte, sprach Dareen halblaut seine Wünsche vor sich hin, und Isabel stenographierte. Nach ein paar Bildern schlug der Regisseur wütend mit dem Manuskript auf den vor ihm stehenden Tisch, dass es knallte.
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