Isabel ging mit der kühlen Ruhe, die ihr Erziehung und Gewohnheit einst gegeben, auf Dareen zu, ohne die hundert Blicke zu beachten. „Etwas sehr raffiniert!“ flüsterte Lydia Keriël vernehmlich und hob das goldgestielte Einglas ans Auge. Wie kam denn diese Klebeperson eigentlich dazu — na ja, die neue Mode stand eben jedem Groschenmädel — mochte früher einmal Gelbstern gewesen sein ...
In Dareens Gesicht zuckte keine Wimper. Drecolls Kleider ... Man musste dem Freiherrn Damenschneider gelegentlich ein Kompliment machen für die fabelhafte, blitzschnelle Lieferung; drei Kleider hatte er im Auto herausgeschickt, und jedes einzelne war ein Gedicht. Und Isabel hatte sich für das schlichteste entschieden.
Die Szene war schon probiert, und auf einen Wink gingen die Darsteller an ihre Plätze am Spieltisch — glücklicherweise war es keine Doppelaufnahme. Isabel blieb zurück. Als alles bereit war, kam Dareen zu ihr, nahm ruhig ihre Hand und hielt sie leicht umfasst.
„Fräulein Gynthenburg,“ flüsterte er, „Sie sind Tamaroffs Schwester. Verstehen Sie: Sie sind Tamaroffs Schwester.“ Sie sah in die grauen, herrischen Augen hinein, lächelte gefangen — und war Tamaroffs Schwester. „Ihr Bruder liebt in sinnloser Leidenschaft die Tochter einer Hochstaplerin. Das Kind muss den Heimlichgeliebten auf Wunsch der Mutter zu immer tollerem Spiel verleiten.“
Dareen zeigte ihr jede Bewegung, liess Isabel kurz wiederholen und trat zurück — es musste auf gut Glück gehen, das Fräulein wurde augenblicklich von sämtlichen Teilnehmern kritisch angestarrt und durfte nicht beirrt werden, schien sich allerdings um diese allgemeine Aufmerksamkeit wenig zu kümmern. „Lampen auf!“ rief Dareen. Das violette Licht sprang grell und blendend über die festliche Szene. Ein Beleuchter lief noch eilig herbei und hantierte an einer zuckenden Lampe. Dareen hob gelassen die Hand. „Achtung —“
Als er das vollkommene Schweigen der eben noch von Lärm durchzitterten Riesenhalle mit einer gewissen Seligkeit empfand, alle Willenskräfte wie eine Bogensehne in seiner Hand bereit, fügte er leiser und ruhig, beruhigend sein „Aufnahme!“ hinzu. Buckels Motor begann zu summen; der Regisseur sprach laut die Meterzahlen ins Spiel — mehr nicht, das Einblasen verschmähte Dareen, oder es musste sich einer schon sehr dumm anstellen.
Im Kreis des violetten Lichts sass Tamaroff neben der ‚jungen’ Lydia. Ein Geldhäufchen lag vor ihm, das wurde zum Bankhalter hinübergezogen. Verspielt. Der Russe lächelte unsicher, schüttelte den Kopf und begann sich zu erheben: „Ich habe jetzt genug verloren.“ Lydia wandte den Kopf zu ihm, ihre Blicke wurden zu einem Netz, das sie um ihn warf und dessen Maschen sie enger, immer enger zog. Da setzte Tamaroff sich wieder zögernd und griff nach der Geldtasche, ohne den gebannten Blick von Lydia Keriël zu lassen.
Sie spielten nicht, sie lebten.
Dareen rief den fünften Meter. Isabel trat von einer Portiere des Hintergrundes an Tamaroff heran. Nichts war natürlicher als dies — denn er war doch ihr Bruder, und er verlor unsinnige Summen. So berührte sie seine Schulter mit den Fingerspitzen: „Spiele nicht mehr!“ Und Tamaroff drehte ihr, seiner Schwester, bei dieser ihn wie ein elektrischer Strahl durchzuckenden Berührung das träumende Gesicht halb zu; seine Lider blinzelten unbewusst, er schob das Geld in den Frack zurück — spürte dann Lydiens Hand in einer drängenden Bewegung auf seinem Arm. Strich mit feinen Fingern über die Frauenhand — und wieder verlor sich der Blick des Russen in den flimmernden Augen der Keriël, dann riss er die Banknoten hervor und warf sie auf den Tisch.
Isabels Gesicht ward undurchdringlich, nur die Hand krampfte den Schleier fester vor der wild pochenden Brust. Das Rad schnurrte lange und stand. Der Bankhalter griff sein Instrument und scharrte das Geld rings herbei, auch Tamaroffs Scheine. Kaum merklich sank der Russe zusammen, und lächelnd, triumphierend hob die Keriël in einer raschen Geste die Hand. Nur Isabel bewegte sich nicht — — das war wider die Abrede, zum Teufel, warum stand sie so steif?!
„Halt!“ rief Dareen. „Bitte, alles stehenbleiben.“ Entgegen seiner sonstigen Technik hatte er die Szene nicht durch die Nahaufnahmen unterbrechen lassen — das wäre für die Kleberin zu schwierig gewesen. Um die Stimmung nicht zu gefährden, verbarg er seinen enttäuschten Zorn.
Das Fräulein sah ja recht hübsch aus, spielte aber ganz starr und fiel neben den graziösen Bewegungen der Keriël vollkommen ab. Er versuchte es mit einer Aufmunterung:
„Ganz gut so, Fräulein Gynthenburg — nur bitte etwas lebhafter, und die Lippen nicht so fest zusammenpressen.“
„Vollkommener Versager“, raunte er dem Buckligen zu, der seinen Apparat heranrollen liess. Aber Michel blinzelte erstaunt; seine Augen glänzten seltsam, als er dem Regisseur ebenso leise erwiderte: „Warten Sie die Bilder ab.“ Der Regisseur zuckte die Achseln; man war eben in Verlegenheit, und wenn man nicht tausend und etliche Mark in den Wind werfen wollte, so musste man nehmen, was man hatte. Das Fräulein spielte ausserdem eine ganz bedeutungslose Nebenrolle, aber es wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn man sich irgendeine Komparsin herangeholt hätte, mochte sie aussehen, wie sie wollte.
Mit ihrem wachen Sinn spürte Isabel Dareens Unzufriedenheit. Nun — sie hatte sich nicht zu dieser Rolle gedrängt, so wollte sie ihr Bestes tun und hernach wieder mit einem Aufatmen den Klebepinsel in die Hand nehmen. Sie fühlte sich ernüchtert aus der Entrückung des Spiels. Jetzt roch sie, dass Tamaroff schwitzte, die ganze Luft stank nach Schminke und Puder, ihr selbst verstopfte der Coldcream widerlich die Haut. Eine Lampe platzte mit gellendem Knall, die Komparsen fuhren erschrocken auseinander — und die Stimmung war wieder einmal zum Teufel.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Bucklige mit dem Licht zufrieden war. Er sollte eine Nahaufnahme von Isabel drehen und rückte eigenhändig ungebührlich lange an den Lampen herum. Während der Aufnahme sah Isabel einen Augenblick in die Kamera. Dareen winkte sofort ab und liess wiederholen — das kam davon, wenn man einen neuen Stern entdeckt zu haben glaubte! Doch als Isabel sich entschuldigen wollte, wehrte der Operateur freundlich ab, und Tamaroff sah zu ihr auf: „Ach niechts, kleine Schwäster — kommt öfter vor.“ Sein Blick brannte, und die Keriël rief ihm ein lautes Spottwort zu, so dass das ganze Atelier wieherte. Es ist gut, dass ich kein Talent habe, dachte Isabel.
Sie stand noch dreimal unterm Jupiterlicht. Nach der zweiten Szene, die zwischen ihr, dem Komiker Paulsen und der „alten“ Lydia Keriël spielte schrieb Dareen eine Doppelszene um. Er wagte nicht mehr, diese schwierige Aufnahme mit der Klebedame auszuführen. Nur Michel forderte heftig, dass die Doppelszene in der alten Form gespielt werde — aber Dareen hatte schon gemerkt, dass das Buckelinchen sich in die Gynthenburg entschieden verguckt hatte.
Lydia Keriël musste sich abermals von Kopf bis zu Füssen verwandeln — gottlob, das letztemal. Als sie mit glanzlos müden Augen aus der Garderobe zurückkam — ein völlig anderes und doch geheimnisvoll ähnliches Wesen —, sah sie den Dichter des Manuskripts und die Dramaturgin Frau Öhnfurt bescheiden in einer Ecke stehen und dem Spiel zuschauen. W. I. B. Florian wagte sich erst am linderen Abend zu der Höllenaufnahme, die er ausgetüftelt. „Sie Sadist!“ zischte die Keriël den Unglücklichen an, welcher es vorzog, sogleich zu verschwinden. Poeten bekommen beim Film leicht einen etwas gequetschten Charakter infolge der unvergleichlichen Wertschätzung, die in dieser Branche auf ihrem Beruf lastet.
Auch an Dareens Nerven zerrte der endlose Tag. „Sie haben mir hier gerade noch gefehlt, ich dulde keine Zuschauer, und Dramaturgen am wenigsten!“ rief er der vollbusigen Dame zu, deren helles Blondhaupt daraufhin hoheitsvoll zum Ausgang rauschte. Was erlaubte sich denn dieser Herr?! Ohne sie, die allwissende Dramaturgin, wäre er doch einfach hilflos!
Читать дальше