„Aber das kann ich doch machen“, sagte Christian und lächelte über den Eifer, den sie an den Tag legte.
„Nein, du wärmst dich jetzt erst mal auf. Ist das ein Winter! Ich kann mich nicht erinnern, dass wir so was schon mal erlebt haben, und jetzt sollen wir auch noch Kohlen und alles andere sparen. Das hier ist das einzige warme Zimmer im ganzen Haus.“ Sie verschwand mit seinem Mantel, kehrte aber einen Augenblick später zurück und sagte: „Jes, zieh doch endlich deine Sachen aus, du stinkst ja fürchterlich.“
Sie lachten, und Christian sagte schnell: „Jetzt fühl' ich mich so richtig zu Hause.“
Wenig später saßen sie um den Esstisch herum und tranken Muckefuck, Christian in eine Wolldecke gehüllt mit einem Paar warmer Pantoffeln an den Füßen. Alma stellte eine Dose ihrer leckeren Plätzchen auf den Tisch, die es normalerweise immer erst am Weihnachtsabend gab.
„Ah, unübertrefflich“, sagte Christian, nachdem er ein Plätzchen in den Mund gesteckt hatte, und Alma strahlte. „Auf die Plätzchen freue ich mich zu Weihnachten immer am meisten.“
„Ach, lass mal gut sein“, sagte Alma lächelnd. „Du weißt schon, wie du mir schmeicheln kannst. Aber am meisten freust du dich doch auf Omas Weihnachtsgans, gib's ruhig zu.“
„Und zu dem Kaffee brauchst du gar nichts zu sagen“, sagte Jes, der sich seiner Arbeitskleidung entledigt hatte und jetzt beinahe eine Grimasse schnitt. „Ist mit Roggen gebrüht und schmeckt einfach scheußlich … pfui, Teufel … ja, Entschuldigung bitte ...“ Er streckte den Arm nach Alma aus.
„Hat man Töne! Er mag nicht mal meinen Kaffee“, sagte sie lachend. „Aber er schmeckt mir ja selbst nicht.“ So kam Christian wenigstens drum herum, ein Urteil über den Kaffee abgeben zu müssen, der tatsächlich widerlich war.
„Aber Roggen habt ihr also reichlich?“, fragte er und bemühte sich dabei, optimistisch zu klingen.
„Nicht sehr viel … Mal sehen, was das nächste Jahr bringt. Sie machen es uns nicht gerade leicht“, murmelte Jes. „Den größten Teil des Getreides, das wir produzieren, muss ich an den Staat abgeben, und es ist schwierig, Futter für die Hühner zu beschaffen. Jedenfalls können wir nicht so viele haben, wie wir gerne hätten. Das Ganze ist ein Teufelskreis.“
„Ich habe ein paar Lebensmittelkarten für euch mitgebracht“, sagte Christian und bemerkte, wie ein Lächeln über Almas Gesicht huschte.
„Und? Wie läuft's in Haderslev?“, fragte Jes.
„Ganz ausgezeichnet“, antwortete er kurz angebunden.
„Vielleicht ist es gut, dass du nicht mehr in Kopenhagen bist. Es sind unruhige Zeiten, seit das Außenministerium in Berlin diesen Pakt unterzeichnet hat“, sagte Jes und hob dabei die Augenbrauen. Offenbar verfolgten sie das politische Geschehen intensiver, als Christian es angenommen hatte.
Christian seufzte. „Ja, du hast recht. Seit Scavenius den Antikominternpakt unterschrieben hat, jagt eine Demonstration die andere. Die Leute sind wütend darüber, dass die Kooperationspolitik noch einmal verschärft wurde.“
„Und was hältst du davon? Hat Dänemark sich für eine Seite entschieden?“, fragte Jes.
Seine Pflegeeltern sahen ihn eindringlich an, und ihm wurde klar, dass sie das Thema nicht zum ersten Mal diskutierten. Sie waren beunruhigt, er könnte von den Folgen des Pakts betroffen sein. Er war jung und er war beim Militär. Er entschied sich, ihnen ihre Sorgen zu nehmen, zumindest was das anging, auch wenn er nicht meinte, was er sagte.
„Du meinst, es könnte bedeuten, dass Dänemark Truppen an die Ostfront schickt?“
Jes nickte mit ernster Miene und sah Alma an.
„Das glaube ich nun nicht“, sagte Christian und wünschte, er könnte sich seiner Sache sicher sein.
„Es ist ja schon allerhand, dass sich junge Dänen freiwillig zu diesem Freikorps melden“, meinte Alma. „Stell dir vor, Jessens Sohn hat sich letzten Sommer gemeldet, und jetzt läuft die gute Frau Jessen die ganze Zeit herum und macht sich Sorgen, dass ihm etwas passiert ist. Sie traut sich kaum noch, die Post aufzumachen, aus lauter Angst, eine Benachrichtigung zu bekommen, er sei gefallen.“
„Er hätte es auch nicht besser verdient“, murmelte Jes, wobei ein kaum merkliches Lächeln in seinen Mundwinkeln lauerte. Er warf Christian einen raschen Blick zu. Diese Dinge waren trotz allem wohl zu viel für Alma.
Christian kannte Jessens Sohn aus gemeinsamen Schulzeiten. Er sagte lieber nichts dazu. Alle wussten, dass Jessens gute, aufrichtige Dänen waren und ihr Junge sich von Frits Clausen und seinem Gerede von König und Vaterland und dem Zusammenhalt unter den nordeuropäischen Ländern hatte einfangen lassen. Das machte ihnen ganz sicher sehr zu schaffen, und ihr Sohn würde hoffentlich anders denken, wenn er irgendwann einmal von der Ostfront zurückkam. Um den Aufenthalt dort war er jedenfalls nicht zu beneiden.
„Der Bursche ist Frits Clausen schon immer hinterhergelaufen, verstehe das, wer will“, sagte Jes.
„Aber du weißt schon, dass er es nur für Gott, König und Vaterland tut … und für Frits Clausen“, sagte Christian und zwinkerte Jes zu. Beide brachen in Gelächter aus.
Alma schüttelte den Kopf. „Ihr seid doch nicht ganz gescheit.“ Etwas später beugte sie sich zu Christian und sagte mit einem Lächeln: „Ich soll dich auch schön grüßen.“
Er wollte gerade die Tasse zum Mund heben, hielt aber mitten in der Bewegung inne und erstarrte, und als sie „Von Gerda“ hinzufügte, beschleunigte sein Herzschlag.
„Sie meinte, vielleicht hätte sie Zeit, Heiligabend bei Oma vorbeizuschauen, jetzt, wo du schon mal da bist.“
Christian riss sich zusammen und antwortete so leichthin wie möglich: „Na, das wäre doch schön.“
Der Tradition gehorchend, trafen sie sich am Mittag des Heiligabend bei Oma Botilla. Die Frauen fuhrwerkten in der Küche herum und die Männer saßen im Wohnzimmer und spielten Karten. Im Laufe des Nachmittags wehten wunderbare Düfte durch die Räume und leisteten einem erwartungsfrohen Magenknurren Vorschub, das sich auf den Gesichtern der meisten spiegelte. Aber in diesem Jahr war es etwas anders als gewöhnlich. Christian dachte an Gerda und lauschte die ganze Zeit über mit einem halben Ohr, ob nicht jemand an der Tür war. Sie schafft es wohl doch nicht , sagte er sich ein paar Mal, aber es half nichts.
Onkel Jes sagte nicht nur einmal: „Himmel Herrgott, Junge, wo bist du denn mit deinen Gedanken? Ich dachte, wir wollten diesen Stich machen!“
Hingegen hatten sowohl Onkel Jacob als auch Vetter Georg ihren Spaß, schließlich lagen sie weit in Führung.
Später am Nachmittag wurde an die Tür klopft, und dann waren Stimmen im Flur zu hören. Er bemühte sich, das unruhige Klopfen seines Herzens zu ignorieren, weiterzuspielen und überrascht dreinzublicken, als Oma lächelnd in der Tür stand. „Kedde, mein Guter, Gerda ist hier und fragt nach dir.“
Onkel Jes und Onkel Jacob lächelten vielsagend, wahrscheinlich hatten sie die ganze Zeit geahnt, wie es um ihn stand. Nur Georg verdrehte die Augen zur Zimmerdecke.
„Willst du etwa mitten im Spiel aufhören?“
Hastig stand er auf, fühlte sich aber trotzdem so steif wie einer der Zinnsoldaten, die noch in seinem alten Zimmer standen.
Lieber Himmel! Er konnte es kaum ertragen, sie zu sehen.
„Guten Tag, Kedde, ich dachte, ich schaue mal vorbei. Wir haben uns lange nicht gesehen.“ Sie stand da, mit roten Wangen und Schneeflocken auf dem Mantel, und streckte ihm die Hand entgegen.
Ihre Hand war kalt, als er sie ergriff und festhielt, bis Oma sagte: „Sie will nicht hereinkommen. Sie will nicht einmal ihren Mantel ausziehen.“
„Ich muss gleich wieder los“, sagte sie lächelnd. „Ich wollte nur schnell Guten Tag sagen.“
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