1919 hatte in Ungarn der rechtsgerichtete Admiral Miklos Horthy mit der Armee die Macht übernommen. Es folgte der „weiße Terror“, der sich vor allem gegen die Juden im Land richtete, unter denen sich überproportional viele Aktivisten und Befürworter der rätekommunistischen Bewegung Bela Kuns befanden. Im Sommer 1919 nutzten prominente Spieler des als „jüdisch“ firmierenden Budapester Klubs MTK eine Deutschland-Tournee ihres Teams, um den drohenden autoritären Verhältnissen in ihrer Heimat zu entkommen. Der als Fußballgott gefeierte Alfred „Spezi“ Schaffer und Peter Szabo blieben in Deutschland, Schaffer spielte später aber auch u. a. für Austria Wien. Ferenc Platko, Barças erster Ungar, verließ ebenfalls das Land und schloss sich zunächst dem Wiener Association Football-Club an, bevor er vorübergehend nach Budapest zurückkehrte. Als MTK Budapest 1922 eine Spanien-Tournee unternahm, blieb der Keeper, von den Barça-Verantwortlichen als Nachfolger von Ricardo Zamora ausgeschaut, in Barcelona hängen.
Der spanische Bürgerkrieg löste eine weitere Welle von Fußball-Flüchtlingen aus. Im März 1937 erobern Francos Truppen das Baskenland, im Juni fällt auch dessen industriell bedeutende Metropole Bilbao in ihre Hände. Um den Wirren des Bürgerkrieges zu entgehen und für die republikanische und baskische Sache zu werben, startet im April 1937 ein Team mit dem Namen „Republik Euskadi“ eine Auslandstournee, darunter immerhin sechs Akteure aus dem spanischen WM-Kader von 1934. Man absolviert Freundschaftsspiele zunächst in Frankreich (Racing Club de Paris, Olympique Marseille, Sète) und der Tschechoslowakei, bevor man Ende Juni in der Sowjetunion eintrifft. Von den neun Begegnungen in Moskau, Kiew, Tiflis und Minsk werden sieben gewonnen. Lokomotive Moskau unterliegt den Basken mit 1:4, Lokalrivale Dynamo mit 4:7. Auch Dynamo Kiew muss sich den Basken beugen (1:3), ebenso eine Auswahl der Stadt Minsk (1:6). In der Geschichte des sowjetischen Fußballs nehmen diese Spiele eine bedeutende Stellung ein, denn die Vorführungen der Basken revolutionieren den bis dahin von der Außenwelt weitgehend abgeschnittenen Fußball im kommunistischen Vielvölkerstaat. So machen die Gäste ihre Gastgeber mit dem W-M-System bekannt.
Nach dem Aufenthalt in der Sowjetunion reist das Team nach Lateinamerika, wo die Basken wiederholt in Mexiko City und Havanna auflaufen. Die Rückkehr nach Bilbao ist nach dem Fall der Stadt nicht mehr möglich. Auch in Lateinamerika kann die Euskadi-Auswahl reüssieren. Fast sämtliche Auftritte enden mit einem Sieg der Basken, so auch vier Begegnungen gegen die Nationalelf Mexikos. Die Spiele wurden möglich, nachdem der mexikanische Fußballverband das baskische Team in seinen Reihen aufnahm. In der Saison 1938/39 spielt das Team Euskadi in der mexikanischen Hauptstadtliga mit, wo es hinter Asturias de Mexico den zweiten Platz belegt. Von den 30 baskischen Akteuren bleiben schließlich 28 in Lateinamerika, wo sie den Klubfußball Mexikos und Argentiniens bereichern.
Auch der FC Barcelona geht auf Tour, um eine Auszeit vom Bürgerkrieg zu nehmen. Im April 1937 erreicht den Klub eine Einladung des mexikanischen Geschäftsmannes und ehemaligen Basketballers Manuel Sas Sariano. Barça soll in Mexiko einige Spiele gegen lokale Teams bestreiten. Die Visite wird mit 15.000 Dollar Cash und der Übernahme von Reisekosten und Verpflegung honoriert. In Mexiko erfährt das Team einen warmherzigen Empfang. Seit 1934 wird das mittelamerikanische Land von dem progressiven Politiker und General Lázaro Cárdenas del Rió regiert. Zahllose Flüchtlinge aus Europa finden hier ein Asyl. Allein 1938 nimmt das Land, trotz immenser innen- und wirtschaftspolitischer Probleme, über 40.000 Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkriegs auf. Im Mai 1939, nach dem Ende des Bürgerkriegs, erklärt sich die mexikanische Regierung sogar zur Aufnahme von 150.000 republikanischen Flüchtlingen aus dem französischen Exil bereit.
Von Mexiko aus reisen die Barça-Kicker weiter in die USA, wo sie sich in New York u. a. mit einem Team lateinamerikanischer Immigranten – Hispano of Brooklyn – messen. Von 16 Spielern kehren nur vier mit dem irischen Coach Patrick O’Connel und Klubsekretär Rosendo Calvet in die Heimat zurück. Die Mehrheit lässt sich in Mexiko nieder, drei Spieler gehen nach Frankreich ins Exil.
Die Einnahmen aus der Tournee betragen stattliche 12.500 Dollar. Rosendo Calvet trifft eine weise Entscheidung, als er die Summe auf ein Konto einer Pariser Bank einzahlt. Denn in Barcelona droht die Beschlagnahmung im Namen der Revolution. So aber verfügt der Klub über das notwendige Kapital für den Neustart nach dem Bürgerkrieg.
Vom Futbol Club zum Club de Fútbol
Am 16. November 1938 verlieren die Republikaner eine entscheidende Schlacht am Ebro. Einige Wochen später beginnt die Invasion Kataloniens. Am 16. Januar 1939 ziehen Francos Truppen in Barcelona ein. Falangistische Schlägertrupps marodieren durch die Straßen und bedrohen Passanten: „Bell nicht, katalanischer Hund, sprich christlich!“ Und die christliche Sprache ist kastilisch. Unter dem Franco-Regime wird das Katalanische seine gründlichste Unterdrückung erfahren. Nach dem Fall Kataloniens überqueren ca. 450.000 Republikaner die Grenze nach Frankreich. Unter denjenigen, die Zuflucht im Nachbarland suchen, befinden sich auch die Großeltern des späteren französischen Fußballstars Eric Cantona.
Am 28. März 1939 fällt auch Madrid in Francos Hände. Drei Tage später erklärt Franco das Ende des Bürgerkriegs. Zu den ersten Gratulanten gehört Papst Pius XII.: „Der katholische Glaube hat soeben den Anhängern des materialistischen Atheismus unseres Jahrhunderts den erhabensten Beweis dafür geliefert, dass die ewigen Werte der Religion und des Geistes über allem stehen.“
Der Terror geht anschließend weiter. Im ersten Jahrzehnt der Franco-Herrschaft werden im Rahmen eines „legalen Bürgerkriegs“ ca. 270.000 Republikaner in Konzentrationslagern festgehalten. Mindestens 50.000 Menschen werden vom Regime hingerichtet. Franco zeichnet den Tod durch die Garotte gewöhnlich bei einer Tasse Kaffee ab, im Beisein seines persönlichen Priesters José Maria Bulart. Wer der Todesstrafe entgeht, dem steht eine lange Haftzeit unter schrecklichen Bedingungen in einer der 500 „Besserungsanstalten“ bevor.
Unter der Diktatur wird der spanische Sport zentralisiert. Seine Verbände und Vereine verlieren jegliche Autonomie und unterliegen fortan der Kontrolle durch die Delegación Nacional de Deportes de Falange Española Tradicionalista y de la JONS, an deren Spitze der Bürgerkriegsheld und Fußballfan General José Moscardó steht. In einem Akt von Exorzismus lässt Moscardó die „Befreiung“ Kataloniens im Barça-Stadion Les Corts feiern, wo 24.000 Falangisten parieren und Ernest Giménez Caballero, ein rechter Intellektueller und Mitverfasser des Anti-Autonomie-Dekrets der Regierung, als Festredner auftritt.
Am 15. Januar 1941 muss sich der Futbol Club Barcelona in Club de Fútbol Barcelona umbenennen. Der katalanische Name fällt dem Verbot der katalanischen Sprache zum Opfer. Auch das Klubemblem muss verändert werden: Zwei der vier Streifen in der katalanischen Fahne werden gestrichen, sodass dieser Teil des Wappens nur noch als Wiedergabe der spanischen Farben erscheint. Offizielle Ankündigungen des Klubs müssen fortan in Spanisch erscheinen, die katalanische Fahne ist im Stadion verboten. Die Mitgliederlisten werden von der Polizei registriert. Nach dem Gewinn von Trophäen pflegte Barça zur „Schwarzen Madonna“ im ca. 50 km nordwestlich von Barcelona gelegenen Kloster Montserrat zu pilgern. Dies ist in Zukunft nur mit Auflagen gestattet: Nur noch nach spanischen Meisterschaften darf gepilgert werden, nicht mehr nach katalanischen; die Strecke muss in Bussen, Zügen oder Privatautos zurückgelegt werden und darf nicht den Charakter einer Demonstration annehmen. Weshalb zwischen den einzelnen Fahrzeugen eine Distanz von nicht weniger als zwei Kilometern einzuhalten ist.
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