65 Was ist eine Spastische Spinalparalyse (SSP) und wie unterscheidet sie sich von der ALS?
Die SSP ist eine seltene Motoneuron-Erkrankung, die durch eine langsam fortschreitende Spastik der Beine gekennzeichnet ist. Ursächlich ist eine Degeneration motorischer Nervenzellen, die sich vom Gehirn bis zum Rückenmark erstrecken (erstes motorisches Neuron). Durch die Degeneration des ersten motorischen Neurons besteht eine Gemeinsamkeit zur ALS: Auch bei der ALS kann es zu einer Schädigung des ersten motorischen Neurons und zum Auftreten einer Spastik kommen. Im Gegensatz zur ALS ist die Spastik bei der SSP weitgehend auf die unteren Extremitäten beschränkt. Motorische Symptome an den Armen treten nicht oder in geringem Maße auf. Weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen SSP und ALS betreffen das symmetrische Auftreten der Spastik und eine sehr geringe Progressionsrate bei der SSP. Die ALS – auch die spezielle Verlaufsform der Primären Lateralsklerose (PLS,
Frage 41) – ist durch einen asymmetrischen Beginn der Spastik und durch ein schnelles Fortschreiten der motorischen Symptome gekennzeichnet. Bei der SSP liegt – ebenfalls im Unterschied zur ALS – bei etwa 50 % aller Betroffenen eine positive Familiengeschichte für diese Erkrankung vor. In dieser Konstellation wird die SSP auch als hereditäre spastische Paraparese (HSP) bezeichnet. Bei Patienten mit HSP lassen sich zumeist Mutationen in spezifischen Genen im Rahmen einer humangenetischen Diagnostik nachweisen.
66 Was ist eine zervikale Myelopathie und wie unterscheidet sie sich von der ALS?
Die zervikale Myelopathie ist eine Schädigung des Rückenmarks (Myelon) auf Höhe der Halswirbelsäule (zervikales Myelon). Häufige Ursachen für eine zervikale Myelopathie sind knöcherne Veränderungen der Halswirbelsäule, Einschränkungen des Wirbelkanals und eine Kompression des Rückenmarks durch degenerative Veränderungen der Wirbelsäule oder durch einen massiven Bandscheibenvorfall. Infolge der Rückenmarksschädigung können Lähmungen und Muskelschwund der Arme sowie eine Spastik der Beine entstehen – Symptome, die in ähnlicher Weise auch bei der ALS vorliegen. Durch diese Gemeinsamkeit gehört die zervikale Myelopathie zu den Differentialdiagnosen der ALS, sodass zur Diagnosestellung einer ALS zumeist eine Magnetresonanztomografie (MRT) sinnvoll ist. Bestimmte klinische Konstellationen machen eine zervikale Myelopathie (auch ohne MRT-Diagnostik) unwahrscheinlich. So ist das Auftreten eines Bulbärsyndroms (Sprech- und Schluckstörung) nicht durch eine zervikale Myelopathie verursacht. Auch eine breite Verteilung von schlaffen Lähmungen (periphere Paresen) und Muskelschwund am Rumpf und in den unteren Extremitäten machen die Differentialdiagnose einer zervikalen Myelopathie unwahrscheinlich.
67 Was ist eine Einschlusskörperchenmyopathie und wie unterscheidet sie sich von der ALS?
Der Einschlusskörperchenmyopathie (englisch: Inclusion Body Myositis, IBM) ist eine seltene Muskelerkrankung, die – ähnlich wie die ALS – zu einer Muskelschwäche (Paresen) sowie einem Muskelschwund (Myatrophie) führt. Die IBM ist ebenfalls eine langsam fortschreitende Erkrankung des mittleren Lebensalters, die zu progredienten motorischen Einschränkungen verbunden ist. Im Einzelfall ist die Abgrenzung zwischen einer IBM und einer progressiven Muskelatrophie (PMA,
Frage 38) schwierig. Der körperliche Befund zwischen IBM und PMA kann Ähnlichkeiten aufweisen. Auch in der EMG-Untersuchung (
Frage 24 24 Was bedeutet Elektromyografie (EMG)? Elektromyografie ist ein neurologisches Untersuchungsverfahren, mit dem elektrische Signale der Muskelzelle aufgezeichnet werden. Die elektrischen Eigenschaften (Elektrophysiologie) von gesunden und erkrankten Muskelzellen können Unterschiede aufweisen, die durch eine Ableitung von elektrischen Strömen und Spannungen der Muskelzelle nachweisbar sind. Zur Aufzeichnung der elektrischen Signale des Muskelgewebes ist die Einführung einer feinen Nadel (Nadel-EMG) oder von oberflächlichen Elektroden (Oberflächen-EMG) erforderlich. Die Nadel-EMG-Untersuchung wird in der Diagnosestellung der ALS häufig eingesetzt. Eine Oberflächen-EMG wird derzeit überwiegend in wissenschaftlichen Zusammenhängen verwendet. Bei der Nadel-EMG-Untersuchung führt ein elektrophysiologisch erfahrener Arzt eine spezielle EMG-Nadel (Elektrode) in die Muskulatur ein. Die EMG-Nadel steht über ein feines Kabel mit einem Verstärker und einer Auswerteeinheit (EMG-Gerät) in Verbindung. Das EMG-Gerät liefert dem Neurologen einen visuellen Eindruck vom Muster der elektrischen Potenziale im Gewebsverband der Muskelzellen. Zusätzlich werden die elektrischen Signale als akustisches Signal dargestellt, die dem Neurologen weitere wichtige Hinweise über die elektrischen Eigenschaften und ALS-typische Veränderungen liefern. Eine typische EMG-Untersuchung besteht darin, dass der Neurologe während der EMG-Untersuchung die feine EMG-Nadel an verschiedenen Lokalisationen innerhalb eines und mehrerer Muskeln einführt und dabei den Monitor betrachtet (bildhafte Darstellung der elektrischen Potenziale) und zugleich auf das akustische Signal achtet, dass über die Lautsprecher des EMG-Gerätes hörbar sind. Während der EMG-Untersuchung bittet der Neurologen den Patienten die Muskeln zu entspannen oder in bestimmter Art und Weise anzuspannen. Insbesondere die Anspannung von Muskulatur mit der liegenden Nadel kann als unangenehm oder schmerzhaft erlebt werden. Allerdings ist das Empfinden der untersuchten Patienten gegenüber dieser Empfindung sehr unterschiedlich: Ein Großteil der untersuchten Patienten toleriert die Untersuchung ohne Beschwerden, während andere Patienten die Untersuchung, trotz der Feinheit der Elektrode als belastend erleben oder nur bedingt tolerieren. Insgesamt ist die EMG-Untersuchung ein häufiges diagnostisches Verfahren, das zur Zusatz- und Ausschlussdiagnostik bei der ALS eingesetzt wird.
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Frage 25) kann die IBM (obwohl es sich um eine Muskelerkrankung handelt) eine Nervenerkrankung »vortäuschen«. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die Lokalisation und Ausprägung der Lähmungserscheinungen: Während bei der PMA (
Frage 38) überwiegend die Streckermuskulatur der Hände betroffen sind und die Beugerfunktion lange erhalten bleibt, ist die Symptomatik bei der IBM gegensätzlich: Es dominiert eine Schwäche der Beugermuskulatur der Hände, während die Funktion der Strecker relativ gut erhalten ist. Falls eine Differenzierung zwischen IBM und PMA durch den neurologischen Untersuchungsbefund oder die EMG-Untersuchung nicht möglich ist, kommt eine Muskelbiopsie infrage, in der eine Unterscheidung zwischen beiden Erkrankungen meist möglich ist.
68 Wie unterscheidet sich eine Multiple Sklerose (MS) von der ALS?
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine recht häufige Erkrankung des jungen Erwachsenenalters, die durch eine Vielzahl und Variabilität neurologischer Symptome gekennzeichnet. Die Mehrheit der Symptome (Sehstörung, Gefühlsstörung, Blasenfunktionsstörung, Augenbewegungsstörung) kommen bei der ALS nicht vor. Die genannten Symptome treten zumeist in Form von »Schüben« auf. In dieser Konstellation bestehen geringe Übereinstimmungen zwischen der MS und ALS. Bei einer speziellen Verlaufsform der MS, der chronisch-progredienten MS, kann es zu einem langsamen Fortschreiten einer spastischen Lähmung der Beine (spastische Paraparese) kommen. Diese Symptome sind grundsätzlich auch bei der ALS möglich. Die Unterscheidung zwischen beiden Erkrankungen ist durch eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Rückenmarks und Gehirns möglich, die MS-spezifische Veränderungen zur Darstellung bringt. Im Gegensatz zur ALS lässt sich die MS mit Unterstützung eines typischen MRT-Befundes diagnostizieren.
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