57 Welche Auswirkungen hat die FTD für die ALS-Behandlung?
Die ALS-Behandlung setzt ein Einverständnis und aktives Mitwirken des Patienten voraus. Die aktive Teilnahme betrifft die regelmäßige und korrekte Medikamenteneinnahme, das Mitwirken an Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie und die regelhafte Anwendung von Hilfsmitteln, Kommunikationssystemen und Atemhilfen. Durch die Verhaltensstörung bei der FTD (
Frage 51 51 Was ist Frontotemporale Demenz (FTD)? Die FTD ist eine Form der Demenz, die in Verbindung mit der ALS auftreten kann. Die Verbindung von ALS mit FTD betrifft 5–10 % aller Menschen mit ALS. Der Begriff der »Demenz« wird (außerhalb medizinischer Fachkreise) zumeist mit einem »Gedächtnisverlust« gleichgesetzt. Richtig ist, dass der Demenzbegriff breiter zu verstehen ist und die generelle Abnahme von Hirnleistungen (nicht nur des Gedächtnisses) bedeutet. Die FTD ist eine Form der Demenz, bei der die Gedächtnisfunktion gut erhalten sein kann, aber in jedem Fall eine Wesens- und Verhaltensänderung vorliegt. So kommt es zu einer Enthemmung (Disinhibition), die zu Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Durch die Enthemmung können eine Distanz- und Maßlosigkeit und eine Störung des Sozialverhaltens entstehen. Der Antrieb kann gesteigert sein – bis zur Getriebenheit und Unruhe. Anderseits ist auch ein Antriebs- und Interessenverlust möglich. Auch die Planung und Durchführung von Handlungen (»exekutive« Leistungen) können reduziert sein. In der Folge kann eine Ratlosigkeit und Einschränkung des praktischen Handelns entstehen (»dysexekutives Syndrom«).
) kann es in den verschiedenen Therapie- und Behandlungsbereichen zu Einschränkungen kommen. So kann das Führen eines Elektrorollstuhls eingeschränkt sein, wenn starke Enthemmungsphänomene im Fahrverhalten die Sicherheit des Patienten (Selbstgefährdung) und anderer Personen (Fremdgefährdung) bedroht. Auch die Anwendung einer Atemmaske oder eines Hustenassistenten (die beide eine gezielte Mitarbeit des Patienten voraussetzen) können bei Vorliegen einer FTD schwierig oder unmöglich sein. Bei einer ausgeprägten Verhaltensstörung ist auch die Anwendung einer Ernährungssonde (perkutane endoskopische Gastrostomie, PEG,
Frage 206) eingeschränkt, da durch unkontrollierte Handlungen an der Sonde eine Patientengefährdung entstehen kann. Das Zusammentreten von ALS mit FTD macht eine besondere Entscheidungsfindung zu Behandlungsmaßnahmen der ALS erforderlich.
VI Fragen zu Erkrankungen, die Ähnlichkeiten mit der ALS aufweisen
58 Kann die ALS mit anderen Erkrankungen »verwechselt« werden?
Grundsätzlich ist die Diagnosestellung einer ALS mit einfachen Mitteln möglich. Dazu zählt der Untersuchungsbefund und sowie eine Zusatzdiagnostik (meist mit EMG, Neurografie, MRT, Liquordiagnostik und Labordiagnostik). In bestimmten Konstellationen kann die Abgrenzung der ALS gegenüber anderen neurologischen Erkrankungen schwierig sein, die ebenfalls mit Lähmungen (Paresen,
Frage 87
), Muskelschwund (Myatrophie,
Frage 88
) oder Muskelsteifigkeit (Spastik,
Frage 97
) verbunden sind. Die Schwierigkeiten in der Abgrenzung gegenüber anderen Diagnosen (Differentialdiagnose) kann komplex sein, wenn nicht alle typischen Merkmale einer ALS vorliegen (kombinierter Nachweis von Paresen, Atrophie, Reflexsteigerung und Spastik) und nur einzelne Symptome vorhanden sind (z. B. ausschließlich Myatrophie und Parese). Diagnostische Herausforderungen entstehen ebenfalls, wenn der Krankheitsverlauf (akuter Beginn, hohe Progression oder besonders langsame Progressionsrate) ungewöhnlich sind oder Symptome vorhanden sind, die nicht charakteristisch für eine ALS sind (z. B. Schmerzen oder Sensibilitätsstörungen). In diesen Konstellationen kann die Unterscheidung zu anderen, neurologischen Erkrankungen schwierig sein und besondere diagnostische Maßnahmen erfordern. Erkrankungen, die übereinstimmende Symptome zur ALS aufweisen können, sind die Spinale Muskelatrophie (SMA,
Frage 60 60 Was ist eine Spinale Muskelatrophie (SMA) und wie unterscheidet sie sich von der ALS? Die SMA ist eine Motoneuron-Erkrankung, bei der es zu einer langsamen fortschreitenden Degeneration der motorischen Nervenzellen im Rückenmark (zweites motorisches Neuron) kommt. In der Folge entstehen fortschreitende schlaffe Lähmungen (Paresen) und ein Muskelschwund (Myatrophie). Im Unterschied zur ALS sind bei der SMA die motorischen Symptome auf einzelne Extremitäten begrenzt (segmentale SMA) und die Ausbreitung von Lähmungen und Muskelschwund von der erstbetroffenen Region auf benachbarte Muskelgruppen deutlich eingeschränkt. Auch verläuft die SMA wesentlich langsamer. Die SMA im Erwachsenenalter kann mit fortschreitenden motorischen Defiziten der Extremitäten (im Laufen, Stehen und Hantieren) verbunden sein, während die Schluck- und Atemfunktion nicht (oder sehr spät im Krankheitsverlauf) betroffen ist. Diese Unterscheidung gilt für die SMA im Erwachsenenalter. Bei einem Auftreten der SMA bereits im Kindesalter können motorische Defizite entstehen, die mit einer ALS vergleichbar sind.
), die Spastische Spinalparalyse (SSP,
Frage 65 65 Was ist eine Spastische Spinalparalyse (SSP) und wie unterscheidet sie sich von der ALS? Die SSP ist eine seltene Motoneuron-Erkrankung, die durch eine langsam fortschreitende Spastik der Beine gekennzeichnet ist. Ursächlich ist eine Degeneration motorischer Nervenzellen, die sich vom Gehirn bis zum Rückenmark erstrecken (erstes motorisches Neuron). Durch die Degeneration des ersten motorischen Neurons besteht eine Gemeinsamkeit zur ALS: Auch bei der ALS kann es zu einer Schädigung des ersten motorischen Neurons und zum Auftreten einer Spastik kommen. Im Gegensatz zur ALS ist die Spastik bei der SSP weitgehend auf die unteren Extremitäten beschränkt. Motorische Symptome an den Armen treten nicht oder in geringem Maße auf. Weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen SSP und ALS betreffen das symmetrische Auftreten der Spastik und eine sehr geringe Progressionsrate bei der SSP. Die ALS – auch die spezielle Verlaufsform der Primären Lateralsklerose (PLS, Frage 41 ) – ist durch einen asymmetrischen Beginn der Spastik und durch ein schnelles Fortschreiten der motorischen Symptome gekennzeichnet. Bei der SSP liegt – ebenfalls im Unterschied zur ALS – bei etwa 50 % aller Betroffenen eine positive Familiengeschichte für diese Erkrankung vor. In dieser Konstellation wird die SSP auch als hereditäre spastische Paraparese (HSP) bezeichnet. Bei Patienten mit HSP lassen sich zumeist Mutationen in spezifischen Genen im Rahmen einer humangenetischen Diagnostik nachweisen.
), motorische Neuropathien (Immunneuropathien einschließlich der multifokalen motorischen Neuropathie,
Frage 63), die zervikale Myelopathie (
Frage 66) und bestimmte Formen der Multiplen Sklerose (MS,
Frage 68).
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