1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Mäuschenstill duckte er sich jetzt im unteren Geäst eines Baumriesen dicht über dem Wildpfad, seine scharfen Augen bohrten sich in das Dickicht, aus dem jeden Augenblick sein Opfer und damit das erwünschte Nachtessen hervorbrechen konnte.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Kaum hatte er es sich auf seinem Baumsitz ein wenig bequem gemacht und die gelenkigen Beine dicht an den Körper herangezogen, da duckte sich unten auch schon der Löwe zum Sprunge, denn Bara, der Hirsch, war zur Tränke unterwegs, um endlich den Durst zu stillen.
Doch nicht Bara allein. Andere folgten ihm, von denen Bara nichts ahnte.
Tarzan aber entging von seinem erhöhten Hinterhalte aus keine Bewegung. Er wusste genau, was es mit dem auf sich hatte, der sich immer etwa hundert Meter hinter dem arglosen Tiere durch das Dschungelgestrüpp vorarbeitete: Irgendein Raubtier war es, das ebenso beutehungrig wie Tarzan dem flinken Bara nachstellte. Aber wer?
Numa vielleicht? Oder Sheeta, der Leopard?
Es könnte noch so werden, dachte Tarzan, dass ihm seine Mahlzeit entschlüpfte, wenn Bara jetzt nicht etwas schneller zur Tränke zog.
Und es kam auch so. Der Hirsch mochte irgendwie seinen Verfolger gewittert haben, denn plötzlich hielt er zitternd inne und brach dann in blitzschneller Wendung gerade auf den Fluss und auf Tarzan zu durch das Dickicht. Er wollte durch die seichte Furt das andere Ufer gewinnen; drüben würde er dann dem Verfolger entschwinden.
Kaum hundert Meter war Numa hinter ihm.
Tarzan konnte den Löwen jetzt deutlich sehen, Bara jagte gerade direkt unter dem Baumsitz vorüber.
Sollte er es wagen? Und noch hatte der hungrige Tarzan sich diese stumme Frage nicht recht beantwortet, da schwang er sich auch schon von seinem Sitz herab, direkt auf den gehetzten Hirsch. Im nächsten Augenblick würde Numa sich auf sie beide stürzen, schoss es dem Affenmenschen durch den Kopf, und wollte er heute und überhaupt je wieder etwas zu beißen bekommen, so hieß es rasch handeln.
Kaum hatte der Hirsch ihn auf seinem glatten, weichen Fell verspürt, brach er auch schon auf die Knie nieder. Tarzan aber packte ihn am Geweih und riss ihm mit einem einzigen blitzschnellen Ruck den Kopf herum, bis das Genick krachte.
Wütend brüllte der Löwe hinter ihm … Den Hirsch gepackt und dann hinauf auf den nächsten starken Ast, das war für Tarzan das Werk weniger Augenblicke.
Gerade als Numa im Sprunge heranschnellte, konnte er sich und seine Beute aus dem Bereiche der furchtbaren Tatzen retten.
Dumpf dröhnend fiel das betrogene Katzentier zu Boden. Der Affen-Tarzan aber brachte seinen »Braten« weiter nach oben ins Geäst. Da war er sicher. Und dann schaute er mit spöttischem Lächeln auf das Raubtier, das mit seinen funkelnden gelben Augen von unten heraufstarrte. Wie ein Junge konnte er sich nicht genug damit tun, die leckere Beute seinem Gegner zu zeigen. Dann ging er schmunzelnd an seine Mahlzeit, während der Löwe unten knurrend auf und ab trottete. Es schmeckte Tarzan wieder einmal ausgezeichnet.
Gesättigt verwahrte er die Reste seiner Beute auf einer hohen Astgabel seines Baumes und eilte dann, vom rachedurstigen Numa noch lange verfolgt, durch die Baumkronen zurück zu seinem Baumlager. Dort schlief er, bis die Sonne wieder hoch am Himmel stand.
Die nächsten Tage beschäftigte sich Tarzan damit, seine Waffenausrüstung zu vervollständigen und den Dschungel zu erkunden. Sehnen des Hirsches, der ihm seine erste Abendmahlzeit hier geliefert hatte, wurden auf den Bogen gespannt. Besser dazu wären Sheetas getrocknete Gedärme gewesen, aber er war doch vorerst zufrieden. Es hieß eben warten, bis ihm einmal durch glücklichen Zufall eine der großen Katzen zum Opfer fiel.
Er flocht sich auch einen langen Grasstrick – genau wie den, mit dem er vor vielen Jahren den bösen Tublat erwürgt hatte. Was hatte er als kleiner Affenjunge mit dieser wundervollen Waffe nicht alles anstellen können!
Scheide und Griff für sein Jagdmesser wurden fertig, dann auch ein Köcher für die Pfeile und aus Baras Fell Gürtel und Lendenschurz. Dann machte er sich auf die Wanderung, um endlich etwas mehr über das Land in Erfahrung zu bringen, nach dem er nun einmal verschlagen war. Er merkte wohl, dass er nicht an der ihm altbekannten Westküste Afrikas sein konnte, denn die Sonne erhob sich allmorgendlich aus dem Meere und glitt erst dann hoch über den Dschungel dahin. Das Meer im Osten!
Andrerseits war er sich darüber klar, dass er auch nicht an der Ostküste Afrikas sein könne. Es war sicher, dass die »Kincaid« nicht durch das Mittelländische Meer, den Suezkanal und das Rote Meer ihren Weg genommen hatte. Auch die Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung war in dieser kurzen Zeit unmöglich. Dann war es auch undenkbar, dass man den Atlantischen Ozean durchquert und ihn auf irgendeiner unbewohnten Insel Südamerikas ausgesetzt haben sollte. Numa, der Löwe, war ja hier. Das konnte also auf keinen Fall zutreffen. Wo mochte er denn nun eigentlich sein?
Tarzan zog einsam durch den Dschungel dahin, immer in gewissem Abstand vom Strande. Wenn er nur etwas Gesellschaft gehabt hätte! Er bedauerte es allmählich, dass er sich nicht neulich den Affen angeschlossen hatte. Nichts hatte er wieder von ihnen seit jenem ersten Tage gesehen, an dem er im Grunde noch den ganzen Ballast der Kulturwelt mit sich schleppte.
Jetzt war er schon bald wieder ganz der alte Tarzan. Wenn er auch fühlte, dass er nur wenig gemeinsame Interessen mit diesen großen Menschenaffen haben könnte: Sie schienen ihm doch wenigstens besser als nichts zu sein.
Ohne zu hasten, bahnte er sich seinen Weg bald unten am Boden, bald zwischen den herabhängenden Zweigen. Da fand er Früchte, dort schob er einen Baumstamm beiseite oder stieß auf eine kleine Beute.
Eine Meile oder mehr mochte er an diesem Tage so zurückgelegt haben, als ihm der Wind Sheetas Nahen ankündigte.
Gerade Sheeta, der Leopard! Noch nie war er ihm so willkommen gewesen: Die Därme der großen Katze sollten ihm für seinen Bogen gerade recht sein und das Fell für einen Köcher und einen neuen Lendenschurz. Während er bisher beinahe gedankenlos dahergeschlendert war, verkörperte er jetzt geradezu lautlose Spannung und größte Vorsicht.
Rasch und doch leise arbeitete er sich auf der Fährte der wilden Katze durch die Büsche, und trotz all seiner edlen Abkunft schien seine ganze wildwütige Art der des wilden Raubtiers, an das er sich jetzt heranpirschte, völlig verwandt zu sein.
Tarzan überlegte noch, wie er das Tier überlisten könne, als ihm ein Windhauch von rechts neue Witterung brachte: Dem durchdringenden Geruch nach mussten mehrere große Affen in der Nähe sein.
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