Der Leopard hatte sich in den unteren Ästen eines Baumriesen hinter den Stamm geduckt. Er gewahrte unten in einiger Entfernung Akut mit seinen Genossen, wie sie es sich in einer Waldlichtung gut sein ließen. Einige schliefen, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, andere sprangen herum, rissen die Rinde von den Bäumen und holten sich leckere Maden und Käfer zum Schmause.
Akut war Sheeta am nächsten.
Die große Katze lag geduckt auf einem dicken Ast, dessen dichtes Laubwerk sie den Blicken des Affen verbergen musste. Geduldig wartete sie, dass der Menschenaffe auf Sprungweite herankäme.
Vorsichtig kroch Tarzan hinüber. Jetzt war er dicht über dem Leoparden und zückte mit der Linken seine scharfe Steinklinge. Viel lieber hätte er zu seinem Fangstrick gegriffen, doch zu dicht war die Blätterwand zwischen ihm und der mächtigen Katze. Der Wurf würde wahrscheinlich sein Ziel verfehlt haben.
Akut hatte sich inzwischen direkt auf den Baum zu bewegt, in dessen Zweigen der Tod auf ihn lauerte. Der Leopard schob sich leise noch ein Stück auf dem Aste vorwärts, bis er fast genau über ihm war. Ein wütendes Rollen – und er setzte an, um sich auf den großen Affen herabzuschnellen. Allein noch den Bruchteil einer Sekunde zuvor hatte sich ein anderes Raubtier über ihn gestürzt: Unheimlich und wild übertönte dessen Kampfschrei sein Brüllen.
Als Akut, zu Tode erschrocken, aufblickte, sah er den Leoparden und auf dessen Rücken jenen weißen Affen, der ihn neulich am großen Wasser zum Kampfe herausforderte.
Die Zähne des Affenmenschen hatten sich fest in Sheetas Nacken verbissen, sein rechter Arm spannte sich eisern um die vor Wut bebende Kehle, und in der Linken schwang er einen schlanken Steindolch, holte aus und bohrte ihn mit mächtigem Stoße dicht hinter dem linken Blatt in den Leib des Leoparden. Ein lauter Krach, und die beiden sausten auf die Erde nieder. Akut konnte gerade noch rasch zur Seite springen; er wäre sonst von der Last der kämpfenden Dschungelungeheuer erdrückt worden.
Schrecklich erklang Sheetas Knurren und Brüllen, doch zähe und ohne einen Laut von sich zu geben, klammerte sich der weiße Affe an sein Opfer.
Immer und immer wieder hatte der Steindolch rücksichtslos das blanke Fell durchbohrt, tief hatte er sich hineingesenkt – da, ein letztes verzweifeltes Sichaufbäumen, ein letztes Brüllen – – – das Raubtier überschlug sich und rollte zur Seite. Mochten seine Muskeln in stummem Kampfe noch zucken – – bald lag es still – – verendet.
Der Affenmensch aber setzte den Fuß auf seine Beute, riss sein Haupt hoch zurück – und wieder einmal hallte sein wildgewaltiger Siegerschrei über den Dschungel.
Akut und seine Stammesgenossen blickten starr vor Entsetzen und Bewunderung auf Sheeta, den Getöteten, und auf jene geschmeidige starke Mannesgestalt, die ihn bezwungen.
Tarzan brach zuerst das Schweigen.
Er hatte Akut das Leben gerettet, doch nicht umsonst. Er kannte jedoch die Grenzen des Affenverstandes nur zu gut und wusste, dass er die ganze Bedeutung dieser Tat den Menschenaffen erst einmal gehörig klar machen müsse. Sie würden ihm sonst kaum so nützen können, wie er es erhoffte.
Ich bin der Affen-Tarzan, rief er. Ein großer Jäger bin ich und ein mächtiger Kämpfer. Am großen Wasser schonte ich Akut. Hätte ich ihn getötet, wäre ich euer König. Und jetzt? Vor Sheetas reißenden Pranken habe ich Akut wieder vom Tode gerettet.
Sind Akut oder die Seinen in Gefahr, dann sollen sie Tarzan rufen …, – und der Affenmensch erhob seine Stimme zu jenem furchtbaren Schrei, mit dem Kerschaks Stamm die fernen Genossen zurücklockte, so oft Gefahren drohten.
Und, fuhr er fort, wenn ihr vom Stamme Akuts diesen Notschrei Tarzans hört, dann sollt ihr daran denken, was er für Akut getan, und, so schnell es irgend geht, zu ihm eilen. Wollt ihr das?
Huh! kam Akuts Zustimmung, und wie in einem Chor tönte es von allen Seiten: Huh!
Dann setzten die Affen ihre Nahrungssuche fort, als sei inzwischen gar nichts weiter vorgefallen. Und John Clayton, Lord Greystoke, schmauste mit.
Es war merkwürdig, dass Akut kaum von seiner Seite wich und ihn öfters mit seinen kleinen blutunterlaufenen Augen voll eigenartiger Bewunderung ansah. Und mit einem Male tat er, was Tarzan während all der langen Jahre, die er früher unter den Affen zugebracht, niemals erlebt hatte: Akut hatte einen ganz besonderen Leckerbissen gefunden – und gab ihn Tarzan!
Wenn nun der ganze Stamm auf die Jagd auszog, war Tarzan stets dabei: Grell stach sein glänzender Körper gegen die schwarzbraunen, zottigen Felle seiner Gefährten ab. Oft kamen sie wohl einander auch ins Gehege, wenn sie den Dschungel durchstreiften, aber die Affen hielten es bereits für ausgemacht, dass er zu ihnen gehörte, ja dass er genau wie Akut zu respektieren war.
Es passierte wohl, dass er einer Äffin und ihrem Jungen zu nahe kam und dass sie dann unter Knurren ihre großen Fangzähne zeigte; oder dass ihn ein frecher Jungaffe anfuhr, weil er von Tarzan bei seiner Mahlzeit gestört zu werden glaubte. Doch so und ähnlich ging es allen anderen vom Stamme auch.
Tarzan fühlte sich also im Allgemeinen bei diesen wilden Tieren wie zu Hause. Wenn eine Äffin ihm mit drohender Geste begegnete, wich er jedes Mal aus. Das machten sie alle so, abgesehen von gelegentlichen stärkeren Wutausbrüchen, bei denen dann das Tierisch-Rohe die Oberhand gewann. Ab und zu knurrte er schließlich einen besonders unverschämten Jungaffen gehörig an und zeigte ihm seine Zähne, just so, wie sie es selbst gewohnt waren. So fiel er ganz wieder in seine alte gewohnte Lebensweise zurück. Leicht, geradezu selbstverständlich, vollzog sich diese Wandlung, als hätte er nie irgendetwas mit denen seines eigenen Blutes gemein gehabt.
Den größten Teil der Woche war er mit seinen neuen Freunden auf der Jagd im Dschungel. Er freute sich, nun wieder Gefährten um sich zu haben, und außerdem hoffte er, sich so am sichersten einen Platz in ihrem reichlich kurzen Gedächtnis zu sichern. Wusste er doch aus Erfahrung, wie vorteilhaft es einmal sein konnte, auf die Hilfe dieser kraftvollen und furchtgebietenden Tiere rechnen zu dürfen.
Als er der Überzeugung war, dass sich sein Bild ihnen genugsam eingeprägt haben müsse, beschloss er, die Erkundung der Gegend wieder aufzunehmen. So zog er eines Tages in der Frühe nordwärts, immer in gewissem Abstand vom Meere. Rasch strebte er voran, bis die Nacht sich niedersenkte.
Im Dämmern des nächsten Morgens ging er zum Strande. Doch nicht wie neulich erhob sich die Sonnenkugel heute aus den Wassern: Aus dem Dschungel zu seiner Rechten kam sie emporgestiegen! Er schloss daraus, dass die Küste hier nach Westen abbog. Am zweiten Tage kam er fast ebenso schnell vorwärts, oft gar noch schneller: Wie ein Eichhörnchen kletterte er auf halber Höhe der Bäume durch die weiten Wälder. Heute Abend sank die Sonne zum Meer hinab … Was er im Stillen befürchtet, bestätigte sich: Rokoff hatte ihn auf einer Insel ausgesetzt!
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