Wie er die Affen mit Sheeta versöhnt hatte, so sollten sie auch Mugambi in ihre Reihen aufnehmen. Er brachte ihnen das viel leichter bei. Nur Sheeta schien absolut nicht begreifen zu können, dass man ihn herbeigerufen hatte, um Mugambis Krieger zu zerfleischen, und dass es jetzt nicht erlaubt sein sollte, mit Mugambi auf gleiche Weise kurzen Prozess zu machen. Er war jedoch gerade satt und begnügte sich damit, den vor Entsetzen an die Stelle gebannten Wilden zu umkreisen. Sein tiefes, drohendes Geknurr und die funkelnden, fast enttäuschten Augen, die kaum einen Moment von dem Schwarzen abließen, sagten aber genug.
Als Mugambi dann sah, wie der Riesenmensch mit bloßer Hand dem wütenden und unbarmherzigsten Dschungeltier einen Schlag versetzte, traten ihm seine Augen förmlich aus den Höhlen, und das Misstrauen, das er bisher diesem starken weißen Manne im Stillen entgegengebracht hatte, wandelte sich in fast göttliche Verehrung.
Die Dressur Sheetas machte so gute Fortschritte, dass Mugambi ihm bald nicht mehr zu den Geschöpfen zu gehören schien, die ihm zur Befriedigung seines Hungers bestimmt waren. Auch der Schwarze fühlte sich jetzt in seiner Gesellschaft ein wenig sicherer.
Dass Mugambi freilich in dieser neuen Umgebung sich besonders wohl gefühlt hätte, davon konnte nicht die Rede sein. So oft nur das eine oder andere von diesen wilden Tieren Anstalten machte, ihn etwas näher zu betrachten, ließ er seine Augen angsterfüllt in der Runde herumwandern, sodass man fast immer nur das Weiße in ihnen sah.
Und jedes Mal, wenn Tarzan mit Mugambi, Sheeta und Akut einem Hirsche auflauerten und die vier sich gemeinsam auf den Wink des Affenmenschen über das zu Tode gehetzte Wild hermachten, meinte der Schwarze wieder, das arme Opfer sei nur vor lauter Schreck tot zusammengebrochen, noch ehe eine der großen Bestien zugepackt hatte.
Mugambi röstete sich das Beutefleisch unter offenem Feuer, während Tarzan, Sheeta und Akut mit ihrem scharfen Gebiss über die rohen Stücke herfielen und sich gehörig anknurrten, wenn einer den Anteil des anderen zu schmälern suchte.
Es darf nach alledem auch nicht Wunder nehmen, dass in dem ganzen Verhalten des weißen Mannes weit mehr Gemeinsames mit den Raubtiernaturen als mit dem wilden schwarzen Krieger zutage trat. Wir alle zusammen stehen ja unter der Macht der Gewohnheit: und würde der scheinbare Zwang, der uns zu immer veränderten Bahnen und Formen treibt, einmal nicht mehr in uns wohnen, so würden wir naturnotwendig und leicht in Sitten und Gebräuche zurückfallen, die früheres Herkommen und frühere lange Gewohnheit uns gleichsam wie einen untilgbaren Stempel aufgedrückt haben.
Mugambi hatte von Kind auf kein Stückchen rohes Fleisch über die Zähne gebracht, während Tarzan jede irgendwie zubereitete Nahrung bis fast zum Eintritt ins Mannesalter nicht angerührt hatte. Erst in den letzten Jahren hatte er gekochtes oder gebratenes Fleisch zu sich nehmen müssen. Jetzt aber hatte ihn nicht allein die Gewohnheit seiner früheren Lebenszeit zum Genuss rohen Fleisches getrieben, nein, eine richtige heiße Gier danach war über ihn gekommen. Fleisch, irgendwie zubereitet, war für ihn so viel wie verdorbenes Fleisch, nicht zu vergleichen mit der warmen, saftigen Fülle, die ihm aus dem Fleische einer eben erlegten Beute entgegendampfte.
Dass ihm rohes Fleisch schmeckte, das er noch vor Wochen einfach verscharrt hätte, und dass er sogar kleine Nagetiere und Kerbtiere mit Behagen verzehrte, ist gewiss für uns, die wir immer als »zivilisierte Menschen« gelebt haben, so etwas wie eine Revolution des Geschmackes. Hätten wir aber als Kinder gelernt, derlei zu essen und es überall in unserer Umgebung nicht anders gesehen, so würde diese Kost uns zum mindesten nicht schlechter bekommen sein als viele unserer feinsten Leckerbissen, über die ein Wilder in Afrika die Nase rümpft.
Unweit vom Rudolf-See lebt z. B. ein Stamm, der im Gegensatz zu seiner nächsten Nachbarschaft Hammel-und Rindfleisch gar nicht anrührt. Und nicht weit von dort ergötzt sich wieder ein anderer Stamm besonders gern an Eselfleisch; man stellt mit diesem sonst allgemein dort verachteten Brauche geradezu die Anschauungen aller anderen auf den Kopf. Wer möchte also nun behaupten, dass Schnecken, Froschschenkel oder rohe Austern weniger ekelerregend sind als Kerbtiere, oder dass der Appetit auf rohe Austern etwas Normales, der Genuss einer sauberen blutwarmen Hirschkeule etwas Ungeheuerliches sei?
In den nächsten Tagen webte sich Tarzan aus allerlei Pflanzenfasern des Waldes ein Segel für das Boot, denn er hatte wenig Hoffnung, den Affen das Rudern beizubringen. Zwar war es ihm gelungen, einige wenigstens zum Besteigen des Bootes zu bewegen und dann mit Mugambi in der durch Riffe und Klippen fast abgeschlossenen und ruhigen Bucht ein paar kleine Probefahrten zu veranstalten. Als sie dann ihm und Mugambi die Ruderbewegungen mit den Armen nachmachten, gab er ihnen die Ruder in die Hand. Doch scheiterte alles an der mangelnden Ausdauer der Neulinge, man hätte es schon auf eine wochenlange Geduldsprobe ankommen lassen müssen, um sie mit dem neuen Gerät vertraut zu machen. Und dabei war es noch fraglich, ob sie dann im Ernstfalle überhaupt mitgemacht und auf die Dauer durchgehalten hätten. Nur Akut bildete eine rühmliche Ausnahme. Seine Intelligenz entpuppte sich auch hier als der seiner Stammesgenossen völlig überlegen, ja er legte von Anfang an ein verblüffendes Interesse für diesen neuen »Sport« an den Tag. Er schien den Sinn des Ganzen sogleich zu erfassen, und als Tarzan dies merkte, scheute er die Mühe nicht, ihn über den vorteilhaftesten Gebrauch der Ruder aufzuklären, wiewohl in der so unentwickelten Menschenaffensprache die passenden Worte schlecht zu finden waren.
Von Mugambi erfuhr Tarzan, dass das Festland gar nicht weit von dieser Insel entfernt sei. Die Wagambi-Krieger waren durch Sturm vom Land her und infolge hohen Seegangs abgetrieben worden. Sie waren die ganze Nacht gerudert, in der Meinung, das Boot halte den Kurs auf ihr Heimatgestade. Mit Freudengeschrei hatten sie dann bei Sonnenaufgang das Land begrüßt, in dem sie ihr Ziel, das Festland, vermuteten. Erst allmählich sei ihnen klar geworden, dass sie auf eine Insel verschlagen worden seien. Sie hatten aber noch nicht den Mut gehabt, sich abermals dem wilden Meere anzuvertrauen.
Dem Segel traute der Wagambihäuptling gar nicht recht, denn er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen. Sein Land lag der Beschreibung nach ziemlich weit oberhalb der Mündung des breiten Ugambi-Stromes, auf dessen Fluten er sich als erster seines Volkes bis zum Meere vorgewagt hatte.
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