Wolf erhob sich. Sein Blick wurde geradezu magisch von dem Auto angezogen, das so überraschend vor seinen Augen erschien. Um die geheimnisvollen Ankömmlinge machte er sich erstmal keine weiteren Gedanken, obwohl es eine überaus interessante Geschichte zu sein schien. Hier lief auf jeden Fall etwas ab, wohinein er seine Nase auf keinen Fall stecken wollte. Sein Bestreben war es ja nun, die Anlage so schnell wie möglich zu verlassen. Das Auto war offen. Auf der hinteren Sitzbank lagen zwei Rucksäcke mit irgendwelchen Ausrüstungsgegenständen und wenigen persönlichen Sachen. Im Zündschloß steckte jedoch kein Schlüssel. Das war nicht weiter schlimm. Wolf hätte den Wagen auch so zum Starten gekriegt. Doch was war, wenn die Unbekannten kurzfristig zu ihrem Fahrzeug zurückkehrten. Sein Fehlen würde sie in höchste Alarmbereitschaft versetzen und sicher eine sofortige Suche zur Folge haben. Wenn es ihm bis dahin nicht gelingen würde, die unterirdische Anlage zu verlassen und am besten noch Stunden weit weg zu gelangen, würde dies die schlimmsten Konsequenzen haben. Kurz entschlossen warf er die Fahrertür wieder zu und eilte zielstrebig in den Tunnel hinein, aus dem das Auto in die Halle gefahren war. Dieser zog sich breit und lang hin. Das Licht seiner Lampe wurde immer schwächer. Er mußte bald die Batterien wechseln. Hallend hörte er seine eigenen Schritte auf dem feuchten Betonboden. Atemlos hastete er immer weiter. Von irgendwo mußten die beiden Typen ja in die Anlage eingefahren sein. Sicher jedoch nicht direkt in diesen langen, leeren Fahrtunnel, der lag einfach zu tief unter der Oberfläche. Nach etwa zehn Minuten weiteren eiligen Marsches öffnete sich endlich der Stollen. Wieder befand er sich in einer relativ kleinen, niedrigen Halle. Schnaufend ließ sich Wolf auf einer vergessenen, leeren Kiste nieder, die achtlos an der sauber verputzten Wand lag. Er wechselte jetzt die Batterien seiner Lampe und hatte endlich wieder genügend Licht, seine Umgebung zu betrachten. Die kleine Halle war bis auf ein paar liegengebliebene Kabelreste und zerbrochene Ziegelsteine leer. Aber an einer Stirnwand zeigten sich Armaturen und Schalter. Daneben befand sich ein stählernes Scherengitter, durch das sein Blick in einen großen Aufzugkorb fiel. Ein Lastenfahrstuhl! Wolf fiel ein Stein vom Herzen. Hier mußten die Unbekannten einfach eingefahren sein. Der Platz im Aufzug hätte sogar für einen LKW gereicht.
„Vielleicht geht das Ding sogar noch“, schöpfte Wolf Hoffnung. Und das Ding ging tatsächlich noch. Es gab nur zwei Knöpfe am Fahrstuhl. Der eine wies mit einem Pfeil nach oben, der andere nach unten. Anscheinend bediente der Aufzug nur zwei Ebenen. Wolf drückte mutig auf den Knopf, dessen Markierung eindeutig nach oben zeigte. Tatsächlich und zu seiner großen Erleichterung setzte sich der Fahrkorb leicht ruckend nach oben in Bewegung.
Die beiden Männer aus der Eisbasis gingen den kurzen Gang entlang, bis sie auf ein weiteres starkes Stahlschott stießen. Diese massive Panzertür hatte zur Gangseite hin ebenfalls keinerlei Handgriffe oder Drehräder, womit sie von außen zu öffnen gewesen wäre. Dafür blinkte oben an der Wand das Objektiv einer kleinen Überwachungskamera in den Gang hinein. Dann gab es ein saugendes Geräusch. Das gasdichte Schott öffnete sich, und vor ihnen stand Hahnfeld. Sie traten ein und erstatteten zuerst vorschriftsmäßig Meldung.
„Nun endlich, nach der ganzen Zeit“, murmelte der der Major, deutlich beeindruckt über die seit Jahren ersehnte Begegnung. „Kommen Sie, meine Herren“, sagte er. „Nehmen Sie Platz“, wobei er sie vorerst an die Sitze des großen Kontrollpultes bat. „Ihre Quartiere zeige ich Ihnen gleich nachher. Jetzt müssen Sie aber erstmal erzählen.“ Hahnfeld zeigte, trotz aller nach außen hin getragenen militärischen Haltung, Erleichterung, die sich in seiner aufgehellten Miene widerspiegelte. Seidel und Hase sahen sich neu-gierig um. Derartiges hatten sie in der Gebirgsbasis nicht erwartet. „Sie haben ja hier eine richtige Schaltzentrale. Dieses Ding ist wohl doch funktionaler und größer, als wir es angenommen haben“, meinte Seidel leicht verschmitzt. „Da müssen Sie ja ein ausgefuchster Techniker sein, Kommandant, mit so etwas Gigantischem umzugehen.“
„Das ist alles halb so wild“, entgegnete der Angesprochene. „Die Dinge waren gut vorbereitet und eingerichtet. Mir kam hier eigentlich mehr eine Art Kontrollfunktion zu. Ich habe ja die Anlage selbst mit konzipiert, geplant und eingerichtet. Da ist mir nur wenig fremd geblieben. Weitaus beeindruckender erscheint mir da schon die Flugscheibe, die ja nun hier auf Sie wartet. Das ist ja nun eine wirklich ganz und gar phänomenale Technik. Es war damals schon ein unvergeßliches Erlebnis, sie hier in den Berghangar einfliegen zu sehen. Daß so etwas problemlos möglich ist, hätte ich nie gedacht.“ Ehrliche Begeisterung leuchtete aus Hahnfelds Augen.
„Sie werden das Ding ja bald auch im Flug erleben, Kommandant“, unterbrach ihn Hase. „Wir haben zuvor allerdings eine Menge zu tun“, sagte er, stand auf und klopfte seinem Gastgeber kameradschaftlich auf die Schulter. „Hier ist aber erstmal eine kleine Überraschung für Sie.“ Mit diesen Worten zog er lächelnd einen braunen Papierumschlag hervor und reichte ihn Hahnfeld. „Unser beider herzlicher Glückwunsch gleich mit dazu.“
Hahnfeld hob die Augenbrauen und öffnete das Kuvert mit fragendem Blick. Es enthielt nichts anderes, als seine Beförderung zum nächsthöheren Dienstgrad. Der Chef der so unendlich fernen Eisbasis hatte noch ein paar persönliche Zeilen angefügt, worin er mitteilte, sich zu freuen, seinen Kameraden bald persönlich kennenzulernen.
Der Beförderte zeigte sich nun sichtlich gerührt. „Nein, daß ich dies noch erlebe. Meine Herren, ich danke Ihnen. Sie haben mir eine sehr große Freude bereitet. Hat man uns in der Heimat doch nicht vergessen. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Sie haben es sich mehr als verdient. Mehr als viele andere“, antwortete Hase. „Schließlich haben Sie zuletzt ganz allein hier die Stellung gehalten und sehr Wichtiges gut und zuverlässig bewacht. Das wird sicher nicht immer ganz einfach gewesen sein.“
„Nun, genug davon“, der frisch beförderte Oberstleutnant zeigte sich wieder energisch und war ganz der Alte. „Wie lautet Ihre Order, meine Herren?“
„Wir müßten als erstes die Flugscheibe und den Startraum überprüfen. Dann wäre die Ladung zu sichten und zum Aggregat zu schaffen. Die Verladung des Gutes nimmt auch einige Zeit in Anspruch. Wir haben hier genaue Listen, was alles mitgenommen wird. Die Basis selbst bleibt bestehen. Es wird in bestimmten Zeiträumen einen Besuch geben, der die technische Unversehrtheit und Sicherheit der Anlage überprüft. Immerhin läuft hier ja auch alles über einen Atommeiler“, informierte Seidel in kurzen Worten. „Sie sollen übrigens die gesamten technischen Unterlagen zur Basis mitnehmen. Es darf nichts davon hier bleiben. Und dann muß vor unserem Abflug noch die Funkfernzündung für den Reaktor aktiviert werden. Nur für alle Fälle. Wir sind dann in der Lage, die Vernichtung der Basis sogar bei einem sehr hohen Überflug zu aktivieren, so jedenfalls die Anweisung.“
„Da bin ich ja vorerst beruhigt“, atmete Hahnfeld auf. „Ich dachte schon, es würde alles zum Teufel ...“
„Nein, nein“, unterbrach Hase ihn. „Die Anlage ist noch immer zu wertvoll, um sie zu opfern“, entschied man im Stützpunkt. „Und das hier sind wichtige Papiere, in denen alles genau aufgelistet ist, was wir an Bord von ‘Thor‘ bringen müssen“, fuhr Hase weiter fort und zog dabei einen kleinen Schnellhefter unter seiner Wetterjacke hervor. „Es sind wirklich sehr wichtige Dinge, Herr Oberstleutnant. Und Sie müßten darüber unterrichtet sein und vor allem Bescheid wissen, wo das Material in der Basis genau lagert.“
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