Allerdings ist im kirchlichen Arbeitsrecht in den letzten Jahren durchaus ein Bröckeln der Privilegien zu beobachten: So entschieden die EuGH-Richter im Jahre 2016, dass die Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen erneuter Heirat eine verbotene Diskriminierung aufgrund der Religion darstellen könnte und gaben dem BAG auf, die Angelegenheit erneut zu prüfen. Dieses kam mit Urt. vom 20.2.2019 – 2 AZR 746/14 – auch tatsächlich zu dem Schluss, dass medizinische Fähigkeiten der Einhaltung des Ehe-Sakraments vorgehen.
Stimmt es, dass man in einer kirchlichen Einrichtung nicht einmal einen Betriebsrat haben darf?
Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung besteht eine besondere
Mitarbeitervertretung, deren Rechte in den Mitarbeitervertretungsordnungen geregelt sind. Diese Sonderform der betrieblichen Mitbestimmung gilt aber nur für sog. Tendenzbetriebe der Kirchen, also Betriebe, die nach § 118 BetrVG unmittelbar und überwiegend konfessionellen, karitativen und erzieherischen Bestimmungen dienen. Seit sich ein Schankkellner des oberbayerischen Klosters Andechs in den 80er Jahren durch sämtliche Instanzen klagte, weil er einen Betriebsrat für die klostereigene Brauerei durchsetzen wollte, steht aber zumindest fest: Die reinen Wirtschaftsbetriebe der Kirchen – wie beispielsweise Brauereien – unterliegen den weltlichen Mitbestimmungsgesetzen. Ansonsten, befanden die Richter, „müsste die Produktion alkoholischer Getränke unter das Gebot christlicher Nächstenliebe fallen.“
Im AGG steht aber doch, dass niemand wegen seines Glaubens benachteiligt werden darf?
Zwar hat die EU-Kommission in einem Brief an die Bundesregierung den Umgang mit den Kirchenangestellten als „mangelhafte Umsetzung der europäischen Gleichstellungsrichtlinie“ kritisiert: Die Kirchen könnten nach der geltenden Rechtslage bestimmte berufliche Anforderungen allein aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechtes festlegen. Wünschenswert sei aber eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in Abhängigkeit von der Art der Beschäftigung. Es müssten staatliche Vorgaben geschaffen werden, welche Kirchenregeln für Verwaltungsangestellte, Erzieherinnen und Sozialarbeiter einerseits und Priester und Ordensschwestern andererseits gelten sollen. Bis aber hier eine Umsetzung der Forderungen eingetreten ist, gilt die als „Kirchenklausel“ bekannte Einschränkung des § 9 Antidiskriminierungsgesetzes:
„Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
(1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt .
(2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.“
Über etwaige Sonderrechte der Kirchen bei Neueinstellungen wurde jahrelang heftig kontrovers diskutiert. Mit Urt. des BAG aus dem Jahre 2018 steht immerhin nunmehr fest: Die Kirchen dürfen die Konfessionszugehörigkeit jedenfalls dann nicht zur Einstellungsvoraussetzung machen, wenn dies für die Tätigkeit nicht objektiv geboten und damit wesentlich und entscheidend für die konkrete Arbeit ist (BAG, Urt. vom 25.10.2018 – 8 AZR 501/14 -).
Conny L. war doch aber schwanger, gilt denn das MuSchG nicht für sie, weil sie in einem Tendenzbetrieb arbeitet?
Doch: Arbeitsrechtliche Schutzrechte, wie sie insbesondere für Schwangere nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) gelten, darf der AG grundsätzlich nicht aushebeln. Dies gilt uneingeschränkt auch für Tendenzbetriebe. Insoweit wiegt das Kündigungsverbot für Schwangere nach § 9 MuSchG höher als das Interesse des AG an einer christlichen Lebensführung. Mit Eintritt einer Schwangerschaft genießen Sie auch ohne kirchliche Trauung den für alle werdenden Mütter geltenden Sonderkündigungsschutz und sind während der Schwangerschaft und der Mutterschutzfrist unkündbar.
Was ändert sich denn nun mit dem Urteil des EGMR?
Im Fallbeispiel hat das EGMR ausdrücklich festgestellt, dass die Katholische Kirche AN nicht „automatisch“ entlassen darf, wenn diese die einmal eingegangene Ehe nicht aufrechterhalten, also nach dem Verständnis der Kirche Ehebruch begehen. Vielmehr müssen die Arbeitsgerichte den konkreten Fall daraufhin prüfen, ob ein anderweitiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen erfolgen kann. Es ist dabei beispielsweise auch die konkrete Tätigkeit der AN zu berücksichtigen, das Recht der AN auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie ihre weiteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten erkannte der EGMR, dass auch die arbeitsvertragliche Unterwerfung unter die Loyalitätspflichten nicht dahingehend verstanden werden kann, dass nach einer etwaigen Trennung oder Scheidung die Führung eines gänzlich enthaltsamen Lebens versprochen worden sei, insbesondere nicht das Nichteingehen bzw. Nichtführen einer anderen Beziehung. Nach Auffassung des EGMR sind im entschiedenen Fall die Interessen des kirchlichen AG nicht gegen die Interessen der AN, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, abgewogen worden.
Tipp:Werden Sie von einem kirchlichen AG gekündigt, sollten Sie detaillierte Auskunft über die Kündigungsgründe von ihrem AG verlangen. Hat dieser eine vorherige Interessenabwägung entweder gar nicht oder mangelhaft vorgenommen, ist die Kündigung unwirksam.
•Abmahnung
•Kündigung
•Mitarbeitervertretung
•Mutterschutz
•Stellenanzeige
•Vorstellungsgespräch
14.Arbeitsvertrag, Rechte und Pflichten
Fallbeispiel:
Ein Schwelbrand hat in der Nacht zum Sonntag dazu geführt, dass die Kita „Zwergenhaus“ ein Opfer der Flammen wurde. Die Feuerwehr kommt aufgrund der Anzeichen zum Verlauf der Brandentwicklung zu dem Ergebnis, dass ein fehlerhaftes Kabel im Raum der Mäusegruppe Ursache des Brandes gewesen sein muss. Gruppenleiterin Kerstin O. kann sich das nicht erklären. Im Strafprozess gegen sie wegen fahrlässiger Brandstiftung lässt sie sich zu ihrer Verteidigung ein wie folgt: Zwar stimme es, dass ihr Träger sämtlichen Erzieherinnen die Einhaltung der Unfallkassenvorschriften nahegelegt habe. Sie wisse auch, dass hierzu eine regelmäßige Kontrolle der verwendeten Stromkabel gehöre. Sie habe aber kein defektes Kabel bemerkt. Im Übrigen habe sie einen umfangreichen Arbeitsauftrag und müsse entscheiden, welchen Inhalten sie sich primär widme. Und wenn sie nicht dazu käme, bei jeder Benutzung des Beamers zu prüfen, ob seine Kabel auch noch alle intakt sind, läge das daran, dass sie stattdessen Kita-Plätze zu verteilen oder die Vertretung kranker Kolleginnen in der Krippe zu organisieren habe oder mit unzufriedenen Eltern diskutiert oder mit dem JA wegen eines verwahrlosten Kindes gesprochen habe.
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