„Elna!“ Olaf Wests Stimme ist wie eine dunkle Drohung, aber die Frau gibt seinen Blick fest zurück.
„Es hat keinen Zweck, Olaf, daß du noch einmal davon redest. Ich will nicht! Und jetzt sind wir wieder am Strandweg. Es ist wohl besser, wenn ich allein in die Stadt zurückfahre. Gute Nacht, Olaf!“
Olaf West starrt der Frau nach, die mit eiligen Schritten zur Haltestelle geht und richtig noch den abfahrtbereiten Wagen der Straßenbahn erwischt. Erst als die Lichter des Wagens in der Ferne verblinken, reißt er sich zusammen und schlendert nachdenklich zu dem kleinen Restaurant an der Landungsbrücke der Küstendampfer.
„Sie entgleitet mir,“ denkt er erbittert, während er einen Toddy hinunterstürzt. „Verdammt noch mal, das Mädel beginnt mir aus der Hand zu gleiten! Ich bin zu wenig zusammen mit ihr! Wenn ich Gelegenheit hätte, sie zu besuchen oder sonst täglich mit ihr zusammen zu sein, wäre das nicht möglich. Das muß anders werden!“
Und Olaf West grübelt den Rest des Abends darüber nach, wie es möglich ist, den verlorenen Einfluß auf Elna wiederzugewinnen, ohne daß Dr. Holk Wind bekommt von einem näheren Verhältnis zwischen ihm und der Telefonistin der Firma Skovbäk u. Co.
*
„Nun, Fräulein Vinge? Eine Nachricht?“
„Er hat geschrieben, Herr Doktor.“ Ellen Vinge legt mit etwas enttäuschtem Gesicht einen Brief vor Dr. Holk hin. „Aber nur eine Absage. Auch mein Bild schickt er zurück. Es scheint ihm nicht zu gefallen.“
„Na, na, keine gekränkte Eitelkeit, kleines Fräulein. Ist eigentlich ein Kompliment für Sie, daß Sie nicht der Typ eines Mädchenhändlers sind. Aber für unsere Zwecke ist’s allerdings nicht sehr erfreulich. Na, sehen wir mal, was er schreibt.“
Es ist nur ein zweizeiliger, handschriftlicher Brief, den der Kommissar in den Händen hält, aber er liest mit gespannter Aufmerksamkeit jedes Wort, dreht und wendet auch dann noch bedächtig den Brief in seiner Hand. „Hm — Tja. — Anständiges, gutes Papier. Auch der Briefstil deutet auf einen kultivierten Menschen hin. Scheint eine besondere Klasse zu sein, dieser — wie unterschreibt er sich denn? — Peter Bruhn! Hm. Kein Titel? Kein Adelsname oder so was? Das sieht ja nun eigentlich nicht nach einem Hochstapler aus. Donnerwetter! Auf dem Briefumschlag hat er sogar seine Adresse vermerkt: Peter Bruhn. Hotel d’Angleterre! Hm. Kann natürlich Falle sein. Wollen wir doch gleich mal ...“ Dr. Holk greift nach dem Hörer und läßt sich mit dem Portier des Hotels d’Angleterre verbinden, ohne seinen Namen zu nennen. Nach ein paar Minuten legt er bedächtig den Hörer wieder hin.
„Hm. Ein Herr Peter Bruhn wohnt tatsächlich seit fünf Tagen im Hotel d’Angleterre, Zimmer Nr. 25.“
„Also falscher Alarm, Herr Kommissar?“ fragt der Assistent Hedekranz, der aufmerksam zugehört hat. Dr. Holk reibt sich gewohnheitsmäßig nachdenklich die Stirn. „Ich weiß nicht recht. Daß der Mann seine richtige Adresse angibt, zeigt, daß er entweder wirklich eine reine Weste hat, oder aber, daß er ein ganz großer Gauner ist, der sich unbedingt sicher fühlt. Gehen Sie doch mal zur Fremdenpolizei rüber, Hedekranz. Ich lasse um den Anmeldezettel der letzten Woche vom Hotel d’Angleterre bitten.“
Zehn Minuten später liegt ein Stoß von rosafarbenen Meldezetteln vor dem Kommissar, der sie aufmerksam durchblättert. „Aha, hier haben wir ihn ja! Peter Bruhn, geboren am 18. Dezember 1902, Beruf Kaufmann, Staatsangehörigkeit Deutschland, angekommen am 25. April aus — oho!“ Dr. Holk rückt sich unwillkürlich zurecht und furcht die Stirn. — „Aus Rio de Janeiro? Sieh da! Ausgerechnet aus Rio. Aus dieser gesegneten Stadt stammt ja auch der gute Mann, den wir suchen, dieser Alfredo Soliz alias Baron Korff alias Marquis d’Aubainville und wie er sich sonst noch alles genannt hat.“
Hedekranz macht ein bedenkliches Gesicht. „Nun, er muß ja nicht gerade auch ein Verbrecher sein, nur weil er aus Rio de Janeiro kommt, Herr Kommissar.“
„Hab’ ich das gesagt? Um Gottes willen, Hedekranz, reden Sie keinen Zinnober. Sonst beschwert sich morgen noch die brasilianische Gesandtschaft über mich! Aber ein wenig merkwürdig ist das Zusammentreffen doch. Hm. Er lehnt die freundliche Offerte unseres Fräuleins Vinge höflich dankend ab, obwohl ihr Bildchen doch wirklich direkt zum Anbeißen ist. Finden Sie nicht, Hedekranz? Sie brauchen deshalb nicht rot zu werden, Fräulein Vinge. Wenn ein alter Junggeselle wie ich das sagt, so dürfen Sie’s schon glauben. Ja, hm — also er will nicht. Das kann unter Umständen bedeuten, daß er bereits mit Ware reichlich versehen ist. Wäre kein Wunder, denn auf seine verlockende Annonce haben sich sicher Dutzende von hübschen jungen Mädels gemeldet. Um so notwendiger, daß wir ihm ein bißchen auf die Finger sehen. Also — lieber Hedekranz — veranlassen Sie, daß die Fremdenpolizei heute noch unauffällig eine kleine Kontrolle im Hotel d’Angleterre veranstaltet und dabei sich auch den Paß dieses Herrn Peter Bruhn ansieht. Sie aber, Fräulein Vinge, müssen jetzt erst recht die Bekanntschaft dieses Herrn zu machen suchen. Glücklicherweise wissen wir ja nun, wo er zu finden ist. Also: Sie haben heute nachmittag dienstfrei und werden bummeln gehen. Und zwar ins Hotel d’Angleterre. Fragen Sie nach Herrn Peter Bruhn, und sagen Sie ihm, daß Sie auf seinen Brief hin kommen. Sagen Sie — hm, ja, das wird am besten sein! — sagen Sie, daß Ihr Bild dem Brief nicht beigelegen hat, und daß Sie es gern zurückhaben möchten. Und dann wickeln Sie Ihren ganzen einundzwanzigjährigen Liebreiz aus und den Mann aus Rio de Janeiro ein.“
„Ins Hotel d’Angleterre?“ Ellen Vinge tanzt aufgeregt auf ihren Zehenspitzen. „Herr Doktor, heute ist der Achtundzwanzigste!“
„Na, und?“
Ellen Vinge lacht etwas verlegen. „Ich meine, man könnte in die Verlegenheit kommen, in dem feinen Hotel irgendeine Kleinigkeit genießen zu müssen, eine Tasse Kaffee oder so ...“
„Verstehe!“ Dr. Holk lacht. „Und Sie haben kein Geld am Monatsende. Na, das geht auf Staatskosten. Hier ist ein Zehnkronenschein. Gehen Sie sparsam um mit den öffentlichen Mitteln, Kindchen, und ... Herrgott noch mal!“ Dr. Holk klatscht sich plötzlich heftig mit der flachen Hand vor die Stirn. „Nun haben wir doch einen Blödsinn gemacht! Wenn der Mann wirklich der ist, den wir suchen, dann hat er sich natürlich vorsorglich nach den Opfern, an die er geschrieben hat, erkundigt, und dann hat er wahrscheinlich längst schon erfahren, daß die Briefschreiberin Ellen Vinge Stenotypistin im Polizeipräsidium ist. Daher auch vielleicht die Absage!“
„Wieso?“ Ellen Vinge lacht unbekümmert. „Ich hab’ doch unter den Brief den Namen und die Adresse meiner Freundin Lisa gesetzt, die bei der Transozean-Companie arbeitet. Und der Lisa hab’ ich gesagt, daß ich aus Jux unter ihrem Namen auf ein Heiratsinserat geschrieben hab’!“
„Alle Achtung! Das war gescheit von Ihnen! Also dann los ins Hotel d’Angleterre! Angst brauchen Sie nicht zu haben. Frau Kjär wird sich ganz in der Nähe des Hotels zur Verfügung halten. Sollte der Herr Südamerikaner unverschämt werden, so brauchen Sie nur — Ihre Tante zu rufen. Verstanden?“
Kommissar Holk sieht dem Mädchen nach, das eifrig und in froher Erregung aus der Tür wirbelt.
„Brauchbar! Sehr brauchbar, die kleine Vinge. Das Mädel hat schon allerhand bei uns gelernt!“
„Sie sind ein Kavalier, Herr Bruhn! Aber wollen Sie nicht das Angenehme mit dem noch Angenehmeren verbinden? Ich kann Ihnen die Bekanntschaft mit Damen vermitteln, die nicht nur allen Ihren Anforderungen in geradezu idealer Weise genügen, sondern noch dazu äußerst gut situiert sind. Da ist eine junge österreichische Dame, deren Eltern — Exzellenzen, Herr Bruhn! — hier im Exil leben, aber gottlob ihr großes Vermögen mit herübergerettet haben, eine amerikanische Millionärin, großjährig, über ihr Vermögen verfügungsberechtigt, eine entzückende junge Witwe aus unsern besten Kopenhagener Kreisen — nun, das kommt wohl für Sie nicht in Frage —, ein Bijou von einer kleinen französischen Komtesse, eine ...“
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