„Aber Elna!“ Olaf West läßt im Sprechen fortwährend mißtrauisch seine Augen über die einsamen Wiesen schweifen, jeden Moment bereit, abzubrechen, wenn irgendwo ein Mensch auftauchen sollte. „Meinst du, es sei für mich angenehm, dich entbehren zu müssen? Aber es geht doch nicht anders. Unsere einzige Chance liegt darin, daß niemand, aber auch niemand weiß, wie nahe wir beide einander stehen.“
Elna Sörensen atmet tief und erregt. „Ja, das hast du gesagt damals, als ich die Stelle bei Skovbäk & Co. bekam. Ein Jahr, hast du gesagt, dann bin ich obenauf, dann können wir wegfahren und die ganze Welt auslachen. Ein Jahr! Nun geht es schon ins dritte Jahr, Olaf, und ich muß noch immer die widerwärtige Komödie spielen. Siehst du denn nicht, daß ich dabei kaputt gehe?“
Olaf West hat einen finsteren Zug im Gesicht. „Ich gebe zu, es hat nicht alles so geklappt, wie ich hoffte. Du weißt es ja selbst, die Ausbeute ist geringer gewesen, als wir dachten. Noch reicht es nicht hin und nicht her, trotz aller Sparsamkeit. Wir müssen die Ohren steif halten, Elna, und abwarten.“
Die junge Frau schweigt und heftet den Blick auf den Rasen, über den sie schreiten. „Du hast leicht reden, Olaf. Ein Mann versteht das nicht. Ein Mann hat’s leicht. Aber ich? Ist das denn noch ein Leben, Tag für Tag um dich sein zu müssen als eine Fremde, eine Kollegin, die nur ein paar gleichgültige Worte für dich haben darf? Höchstens daß wir alle vier Wochen mal wie heute uns ein paar Stunden stehlen dürfen, heimlich, unter freiem Himmel wie zwei Obdachlose.“ Sie bleibt plötzlich stehen und sieht den Mann aus angstvoll flehenden Augen an. „Olaf! Ich hab’ dich früher schon darum gebeten und tu es noch einmal! Du bist seit drei Jahren für die Welt der Kontorist West. Kannst du es nicht — für immer bleiben? Sieh mal, du hast doch nun schon ein Schönes Stück Geld liegen. Und wenn’s nicht langt für ein Leben in Südamerika, wie du es dir denkst, für ein kleines Heim in Kopenhagen, für den Kontoristen West und seine Frau langt es bestimmt. Wer kann dir etwas anhaben, wenn du eines Tages — deine Kollegin Sörensen heiratest? Wir könnten uns ineinander verlieben.“ Ihre Augen schimmern feucht, während ein verstohlenes Lächeln um ihren Mund zittert. „Wir könnten langsam das ganze Büro an den Gedanken gewöhnen, daß sich ein enges Verhältnis zwischen uns anspinnt. Die Rolle würde ich viel besser spielen können, Olaf!“
Olaf West lacht hart auf. „Vor zwei Jahren hätten wir das machen können, Elna. Heute nicht mehr. Du weißt doch, daß die Polizei mich längst im Verdacht hat. Dieser verdammte Dr. Holk hat mir damals, als ich im Verhör war, die Seele aus dem Leib gefragt. Er hat mich laufen lassen müssen, aber ich sah es ihm deutlich an: er glaubte mir nicht. Und der Hund ist schlau. Wenn wir beide plötzlich heirateten, glaub mir, der Mann würde sich sofort für dich lebhaft interessieren und schneller, als uns beiden lieb ist, heraushaben, daß wir uns schon viel länger kennen, als es scheint. Was willst du machen, wenn er eines Tages in dem kleinen Heim, von dem du faselst, erscheint und um Einsicht in unseren Trauschein bittet? Wie? Willst du ihm etwa unseren alten Trauschein aus dem Jahre 1926 aus dem Staate New Jersey vorlegen?“
Die Frau stöhnt schmerzvoll auf, und plötzlich reckt sie sich und wirft wild beide Arme um den Hals des Mannes. „Liebst du mich noch, Olaf? Sag mir, daß du mich noch liebst!“
„Dumme Frage von dir, Kindchen!“ Olaf West erwidert heftig den Kuß, läßt aber gleich darauf wieder seine vorsichtigen Augen spähend über die Ebene gehen. „Wofür kämpfe ich denn die ganze Zeit? Doch nur für uns! Damit wir endlich, endlich mal aus dem ganzen Dreck herauskönnen und zusammen drüben in Argentinien oder Brasilien ein neues Leben anfangen. Ein Heim, Elna!“ Seine Stimme wird einschmeichelnd weich und suggestiv. „Ein Heim, so wie du es dir träumst. Ohne Sorgen, ohne Versteckenspielen. Ein Garten, ein kleines Auto.,,—
„Ach, Olaf, daran glaubst du ja selber nicht!“ Elna schüttelte wehmütig den Kopf und löst langsam ihre Arme von seinem Hals. „Wenn du das wolltest, dann würdest du die ganze Sache aufgeben und bleiben, was du bist: ein anständiger kleiner Kontorist. Das Heim, nach dem ich mich sehne, würden wir auch hier finden. Es braucht gar kein Auto und kein Bankkonto dabei zu sein. Aber du willst ja nicht. Du wirst immer der Abenteurer bleiben, der mit einer unheimlichen Zähigkeit irgendeinem gefährlichen Ziel nachjagt!“
Olaf Wests Augen blitzen eine Sekunde hart auf, während er Elna zum Weitergehen zwingt. „Gut, daß du mich an das Ziel erinnerst, Elna. Mein ganzes Leben lang Kontorist bleiben, jeden Tag acht Stunden lang in einem muffigen Kontor sitzen und schuften für 250 Kronen Monatsgehalt — nein, da hast du recht. Das ist nichts für mich. Und für dich auch nicht, Kind! Bilde dir nicht ein, daß wir beide glücklich sein könnten. Wenn die Krippe leer ist, beißen sich die friedlichsten Gäule. Je schneller wir hier zu Ende kommen, um so besser für uns beide. Und jetzt ist eben eine Gelegenheit, mit einem Schlage dieses traurige Leben loszuwerden.“
Olaf West schweigt einen Augenblick und wägt noch einmal einen lange durchdachten Plan ab. Dann sagt er leise: „Du kennst doch den alten Etatsrat Hjort?“
„Den stillen Teilhaber von Skovbäk?“ Elna schaut verwundert auf. „Natürlich. Der alte Herr ist immer so lieb und nett zu mir, wenn er ins Kontor kommt. So ganz Kavalier der alten Schule. Man ist unwillkürlich in Versuchung, ‚Onkel‘ zu ihm zu sagen.“
Olaf West überhört den „Onkel“. Seine Gedanken gehen intensiv ganz andere Wege. Sein Gesicht ist plötzlich steinhart und verschlossen. „Alles, was du zu tun hast, Elna, ist folgendes: Der alte Hjort kommt gewöhnlich zu Ultimo ins Kontor. Das wäre übermorgen. Wenn er wieder zurückkommt von seiner Unterredung mit unserem Chef, brauchst du ihm nur zu sagen, ein Herr Lorenzen habe angerufen und ihn gebeten, in einer dringenden Angelegenheit sofort nach Valby zu kommen.“
„Wer ist Herr Lorenzen?“
„Ohne Interesse für dich.“ Olaf West zuckte ungeduldig die Achseln. „Ein guter Bekannter vom Etatsrat Hjort. Ich hab’ mich genau über seine Verbindungen orientiert.“
„Und dann?“ Eine angstvolle Frage steht in Elnas großen Augen. West sieht mit unheimlicher Entschlossenheit vor sich hin.
„Die Sache ist einfach. Niemand kann dir einen Vorwurf machen. Der Telefonanruf war fingiert. Von unserm Büro bis nach Valby sind es mit dem Auto gute drei Viertelstunden. Zurück ebenfalls. In dieser Zeit wird die Wohnung Hjorts am Solitudevej leer sein, denn seine alte Haushälterin zählt nicht. Er ist — ganz recht — ein Mann der alten Schule. Verwahrt ein hübsches Sümmchen in seinem Sekretär statt auf der Bank. Auch wertvollen Familienschmuck besitzt der Mann noch, aber keinen Tresor. Ein Kinderspiel ...“
„Nein!“ sagt Elna Sörensen plötzlich atemlos. „Ich tu es nicht, Olaf!“
Mit freundlichem, überlegenem Lächeln sieht der Mann auf ihr erregtes Gesicht nieder. „Natürlich wirst du es tun, Elna. Wenn mir dieser eine Schlag noch gelingt, dann verspreche ich dir — dann machen wir uns aus dem Staube. Dann brauchst du nicht mehr einsam zu sein und nicht mehr fremd neben mir herzugehen. Also am Ultimo, Elna, nicht wahr?“
Es zuckt in dem Gesicht der Frau. Ein verzweifelter Kampf steht darin. Groß und gebieterisch ruhen die Augen Olaf Wests auf ihr, aber diesmal ist es, als ob etwas Fremdes sich wie ein Schleier zwischen sie und die Augen der Frau schöbe.
„Nein,“ sagt Elna noch einmal mit fester Stimme. „Du magst sagen, was du willst, Olaf. Diesmal tue ich nicht mit. Ich will überhaupt nicht mehr. Tu, was du nicht lassen kannst, aber ohne mich!“
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