1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Wenn die Weiber das Wasser am Bache holen und noch ein wenig beieinander stehenbleiben, behaupten sie: „Nicht vergeblich spazierte Magnhild zu jener Zeit mit ihrer Jugendblüte herum! Hihi! Und sie hat mehr als einen Burschen von Mjelvik geküßt und mehr als eine Sommernacht auf der Landstraße durchtanzt!“
Und wenn man es so betrachten wollte, war der Benjamin nur einer unter mehreren. Und daß der Krämer dennoch die Postwitwe heiratete, das war und blieb in jedem Falle eine schöne Tat. Die Weiber sagten insgesamt, dieses sei wohlgetan.
Magnhild hatte es beim Krämer-Benjamin um nichts schlechter, als sie es beim Post-Nikolaj gehabt hatte. Tagtäglich bekam sie ihren Zucker zum Kaffee, und ihre Grütze kochte sie vom weißesten amerikanischen Weizenmehl. Und wenn sie einmal vergaß, den Sirup dazu auf den Tisch zu stellen, konnte der Benjamin ausrufen: „Ja, ja, Magnhild! Spare du nur! Oder fürchtest du dich vielleicht vor dem Armenhaus? — Als ob wir den Sirup nicht fingerdick unten und oben auf die Grütze streichen könnten! Und wenn wir Lust dazu hätten, noch einen Kranz um den ganzen Teller herum ... Warum sparst du denn? Und du könntest dich doch im echten Bohnenkaffee waschen ...“
So redete der Krämer-Benjamin bei jeder Gelegenheit und bewies seinen Wohlstand und seine Freigebigkeit. Es bereitete ihm ein unschuldiges Vergnügen, mit seinen Erfolgen hin und wieder vor Magnhild zu glänzen. Er trieb sie wahrhaftig nicht zum Geiz an. Im Gegenteil: er war der Meinung, jede Knauserigkeit könnte sein Ansehen schädigen. Darum mußte Magnhild, wie die reichen Leute, an alle Fenster des Hauses lange weiße Gardinen hängen und durfte nicht ohne Hut über die Straße gehen. Und wenn sie Wasser am Bache holen oder sonst eine gröbere Arbeit verrichten wollte, wurde der Krämer förmlich zornig in seiner Art und fragte: „Aber, Magnhild — und wozu hast du dann das Dienstmädchen?“
Ja, der Krämer-Benjamin war wirklich fein geworden. Das zeigte, er nicht nur mit Kontor und Bartkoteletten und Kopierpresse. Bei einer Auktion in der Stadt kaufte er sogar eine Hausorgel und ein zweiteiliges Sofa, das man in eine Ecke stellen konnte.
Es geht ihm also trotz Krieg und Friedensverlust noch immer gut, dem Krämer-Benjamin. Kein Mensch kann im Grunde begreifen, warum er so oft des Nachts in seinem Bette liegt und nicht schlafen kann und mit Herzklopfen in seinem Inneren herumhorcht. Stundenlang liegt er und lauscht und wartet, ob nicht eine geheime Krankheit oder ein anderes Übel sich melde.
Wenn eine Nacht gar zu schlimm ist, und die Kunden kommen in den Laden und fragen, ist er vielleicht weniger zurückhaltend und macht eine kleine Andeutung. Und dann nicken die Kunden und behaupten: „Es geht Ihnen viel zu gut, Sagensen! Ihr Blut wird zu dick von all dem starken Essen.“
Magnhild aber wird ängstlich und meint: „Du solltest dich ein wenig mehr schonen und nicht immerfort überanstrengen mit Geschäften.“
Und sie bindet ihm ihr wollenes Tuch um den Hals und schickt ihn hinaus an die frische Luft. Auch heute schickte sie ihn. Und da sitzt er jetzt.
Ein Mann kommt von der Landungsbrücke her. Es ist ein alter Mann mit hängenden Schultern und kleinem, gelbem Kindergesicht. Er hat eine seltsame Art, zu gehen, fast so, als schleppe er schwere Kugeln an den Füßen. Das muß ein Fremder sein. Er bleibt oft stehen und schaut sich um.
Wie die meisten Menschen von Mjelvik und fast alle Menschen, die in der Einsamkeit leben, ist auch der Krämer-Benjamin sehr neugierig. Kein Auge läßt er von diesem besonderlichen Wanderer; was ihn aber am meisten interessiert, ist die kleine, blau gemalte Kiste. Beides, der Wanderer und seine Kiste, erscheint geheimnisvoll. Nun bleibt der fremde Mann vor dem Krämer stehen, macht mit dem Kopf eine kleine runde Bewegung und sagt: „Ja fürwahr, hier ist vieles anders geworden ... Auch diese Brücke ist neu ...“
Und damit läßt er sich ebenfalls auf dem Geländer nieder. Der Krämer-Benjamin erwidert verblüfft: „Es hat sich hier weiß Gott nicht vieles verändert in der letzten Zeit. Und diese Brücke mag wohl ihre fünfundzwanzig Jahre alt sein.“
„Das kann stimmen. Aber die Landungsbrücke? Und dort hinten das Haus mit dem hohen Schornstein? Großartig. Ganz wie eine richtige Stadt ... Hingegen die Berge scheinen mir heute weniger hoch als früher.“
„Die Berge? — Hoho! Haben Sie sie denn überhaupt schon einmal gesehen, diese Berge?“
„O ja — o ja — ich kenne sie noch gut! Das dort ist Trolltinden, und jenes Kolla ... und dahinter Blaafjell.“
Der Krämer legt den Kopf zur Seite: „Dann sind Sie wirklich schon einmal hier gewesen?“
„Ob ich hier gewesen bin? Wo in aller Welt hätte ich denn sonst sein sollen?“
Nun betrachtet der Krämer-Benjamin den gelben Mann sehr aufmerksam: „Wer sind Sie?“
Und es zeigt sich bald, daß es kein anderer ist als der Posträuber Haldor Oevreseth, der seine lange Strafe abgebüßt hat und im Gefängnis Hornlöffel schnitzen lernte. Und jetzt ist er also Hornlöffelmeister.
Dem Krämer-Benjamin gibt das einen Stich in die Herzgrube. Man sitzt in Mjelvik nicht jeden Tag neben einem Mörder auf dem Brückengeländer. Kein Wunder, daß das unruhige Herz nun so wild zu klopfen beginnt.
„Jetzt bist du also wieder nach Mjelvik zurückgekommen?“
„Ja, natürlich. Wohin hätte ich denn gehen sollen?“
Das ist so merkwürdig, daß es fast unheimlich wird. Das ist fast so, als sei ein Toter aus seinem Grabe auferstanden, im langen Hemd und mit gefalteten Händen. Nun sitzt er da, dreht den verwelkten Kopf nach allen Seiten hin und strömt fürchterlichen Modergeruch aus.
„Was willst du aber hier treiben?“ fragt der Krämer-Benjamin mit hochgezogener Faltenstirn.
„Jedermann braucht doch einen Hornlöffel zur Grütze.“
Nein. Der Krämer könnte nun sagen, daß die Hornlöffel fast ganz aus der Mode gekommen, seit er hier fremde Kultur einführte.
„Aber deine Mutter ist schon lange tot. Dein Haus hat der Staat verkauft ...“
„Ja, ja. Sie sagen es.“
„Wo willst du denn wohnen?“
Es werde sich für diesen alten lahmen Fuchs auch eine Höhle finden.
Dem Krämer-Benjamin kommt da ein Gedanke, der wahrlich schön und seiner würdig ist: „Du könntest bei mir ...“ Aber plötzlich stockt er, läßt die Unterlippe hängen und sagt: „Nein! Es geht doch nicht. Wegen Magnhild, verstehst du ...“
Der Krämer erzählt dem Posträuber, daß Nikolajs Witwe seine Frau geworden. Und diese Mitteilung nimmt der Hornlöffelmeister leicht und nickt bloß dazu. Dieser Mann scheint überhaupt ganz ohne Reue und Gewissensqual in die Heimat zurückgekehrt zu sein.
„Ich will dir helfen. Haldor!“ ruft der Krämer. „... in irgendeiner Weise. Wenn du Geld brauchst ...“
Schon greift er in die Brusttasche und streckt dem Hornlöffelmeister einen blauen Fünfkronenschein hin. „Du sollst es aber keinem erzählen. Das ist es nicht wert.“
„Nein.“
Es gibt eine sehr bedeutungsvolle Pause.
„Wie war es denn im Gefängnis?“ erkundigt sich der Krämer-Benjamin.
„Es war nicht so übel. In der ersten Zeit vielleicht ...“
Ja, am Anfang hat der Hornlöffelmeister immer zurückdenken müssen. Aber bald dachte er nicht mehr daran. Und mit jedem Jahr hat er mehr vergessen. Erst jetzt fällt ihm manches wieder ein. Aber sonst war es nicht so schlimm.
„Nun ja, mit der Zeit“, nickt der Krämer. „Es geht alles vorüber.“
Dann gibt er sich einen Ruck und geht eilig bis ans Ende der Brücke, bleibt dort stehen und kehrt wieder um: „Hast du vielleicht Hornlöffel in deiner Kiste. Gut, ich kaufe alle miteinander.“
Das alles sieht dem Benjamin Sagensen wieder so ähnlich! Er übt Wohltaten am Mörder des Post-Nikolaj.
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