»Ich sehe etwas, das aussieht wie ein Gasleck oder Verwirbelungen in der Luft oberhalb der …«
In diesem Moment ergriff Kern meine Unterarme und schubste mich beiseite.
Ich wurde sofort sichtbar.
»Was zum …«
Die Lampe des Polizisten zuckte in meine Richtung, und ich riss die Arme nach oben.
Da hörte ich das Durchladegeräusch seiner Waffe und rief: »Nicht schießen!«
Kurz bevor sich der Schuss löste, schrie der Mann auf. Aus seinem Hals, an der Verbindungsstelle von Helm und Anzug, ragte das spitze Bruchstück einer Elektroplatine. Die Kugel fuhr oberhalb meines Kopfes in die Wand, Steinputz rieselte auf mich herab. Der Polizist brach zusammen, machte gurgelnde Geräusche, verstummte. Das Tarnfeld von Kern waberte neben ihm.
»Kern!« Ich stürzte zu ihm.
Er atmete schwer. »Hat einen Vorteil, unsichtbar zu sein. Es gibt keine Beweisfotos, wenn man jemanden ausschaltet. Dieser nervöse Idiot!«
Seine Stimme wurde leiser, ich merkte, wie Kerns Kräfte endgültig nachließen. Er musste unbedingt behandelt werden.
In dieser Sekunde knackte der Funk im Helm des Polizisten. Die Einsatzleitung forderte Informationen an, wie ich hören konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Verstärkung eintraf.
Wütend ballte ich erst die Fäuste und riss dann am Helm. Ein blasses Gesicht und blonde Haare kamen zum Vorschein.
Da jeder Polizeihelm einen Identifikationschip besaß, wusste ich plötzlich, was ich tun musste.
»Los Kern, einmal hoch noch!« Als er sich nicht bewegte, tastete ich nach ihm und seiner Armwunde und drückte darauf.
Er brüllte, kam schwankend hoch. Zusammen stolperten wir zum Gleiter.
Ich hielt den Helm hoch und betätigte den Griff der Tür, die vom Chip entriegelt wurde. Sie schwang auf.
»Schlaues Mädchen«, flüsterte Kern, als er in den Gleiter kletterte. Zuvor murmelte er ein paar Wörter und ließ etwas Metallisches fallen.
Ich folgte ihm ins Innere und sank in den Pilotensitz. Vor mir befanden sich Steuerknüppel, ein Schirm und mehrere Fluginstrumente.
Rote Flecken erschienen auf der Tastatur des Bordcomputers in der Mittelkonsole, als Kern Koordinaten eintippte.
Die Triebwerke starteten, der Gleiter setzte sich in Bewegung und hob ab. Ein virtueller Pfad auf der Windschutzscheibe zeigte, dass wir auf dem Weg zur südlichen Hauptverkehrsader waren.
Kern schnaufte schwer neben mir. Der Beifahrersitz färbte sich rot.
Unter uns blitzte etwas kurz auf.
»Ein Beweismittel weniger, wenn die Granate alle Spuren vernichtet hat.« Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Wie gut sind deine Flugfähigkeiten? Schon mal so ein Ding gesteuert?«
Ich zögerte. All das kam mir sehr bekannt vor, ich wusste sogar, wie die Technik des Gleiters funktionierte, dass vier Rotoren für Vorder- und Auftrieb zuständig waren. Woher? Daran erinnerte ich mich nicht. »Nun ja, ich … weiß nicht mehr, aber …«
»So ein Ding manuell zu fliegen, ist schwierig, daran würdest du dich erinnern. Aber das ist es, was wir tun müssen. Verdammt, die Polizei vermutet tatsächlich, dass wir die Mörder von diesem Typen sind. Die jagen uns!«
»Manuell fliegen?«
Er schnaubte. »Ja, wenn sie draufkommen, dass wir die Kiste geklaut haben, wird dieser Flugcomputer ihnen zeigen, wo wir sind. Deshalb musst du jetzt händisch fliegen. Ich … Ich bin zu schwach. Aber ich sage dir, was du tun musst, okay?«
Ich zögerte erneut, dann sagte ich leise: »Viel schlimmer als der tote Händler ist der Polizist. Finden sie auch nur die geringsten Überreste, werden sie uns eine ganze Armee hinterherschicken. Lass uns loslegen!«
Kern hustete, Blutspritzer tropften auf die Steuerkonsole. Ich ignorierte sie und umfasste die Steuerknüppel.
»Braves Mädchen«, keuchte Kern. »Ich hoffe nur, du machst mir deshalb keinen Vorwurf. Der Kerl hätte dich, nein, uns beide abgeknallt, ohne Skrupel.« Er räusperte sich. »Pass auf, der Gleiter hat vier Rotoren, die …«
»Die für Auftrieb und Vortrieb zuständig sind. Ich kenne die Spezifikationen, Kern. Erzähl mir etwas über das manuelle Fliegen!«
Er zögerte, dann fuhr er fort: »Wenn ich den Computer deaktiviere, werden wir ausschließlich mit den analogen Instrumenten fliegen. Das sind die runden Anzeigen dort – Geschwindigkeit, Höhe, Libelle, Kompass. Ganz wichtig ist die Libelle, die zeigt an, ob der Gleiter in der Kurve schiebt oder …«
»Oder ob wir eine saubere Kurve fliegen«, murmelte ich. Es war seltsam, aber ich verstand das Prinzip des Fluges und die Funktionen der Geräte, sobald Kern sie erwähnte. Es war, als würden Vorhänge in meinem Geist geöffnet bei der bloßen Erwähnung der darunterliegenden Themen.
»Genau. Und du bist dir sicher, dass du noch nie geflogen bist?«
»Nicht wirklich, nein. Ich bin mir nicht sicher. Was ist mit den Steuerknüppeln? Welcher Knüppel tut was?«
»Der linke stellt den Anstellwinkel der Rotoren ein. Wird er nach vorn gedrückt, fliegt der Gleiter auch nach vorn. Mit dem rechten Stick bewegst du den Gleiter zur Seite, vorn und hinten sind hier für die Rotation zuständig. Der Schiebeschalter an der Seite ist die Geschwindigkeitsregelung und …«
Das Funkgerät im Helm des Polizisten knarzte und gab einen seltsamen Ton von sich. Sofort reagierte der Computer und stoppte die Beschleunigung.
Kern fluchte. »Die Granate hat wohl nicht alles zerstört. Es geht los!«
Eine unscheinbare Klappe in der Mittelkonsole flog auf. Drähte sprühten Funken, als Kern sie – wahrscheinlich mit seinem Messer – durchtrennte.
Der Computerbildschirm erlosch, der virtuelle Pfad verschwand von der Scheibe. Sofort bockte der Gleiter und drehte sich um seine Achse.
»Rotation! Rechter Knüppel nach vorn!«
Ich reagierte sofort, der Gleiter drehte sich langsamer.
Dann sank er nach unten, Stockwerke rasten vorbei. Mein Magen rebellierte.
»Linker Knüppel, Geschwindigkeit auf Maximum!«, rief Kern.
Wieder reagierte ich, der Gleiter verlangsamte und stoppte knapp über dem Straßenasphalt.
Kerns Stimme war in ein angestrengtes Husten übergegangen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich den Dreh heraushatte.
Ich stellte die Knüppel so, dass wir langsam stiegen, und gab ein wenig Schub. Neonleuchten und gedämpfte Lichter aus den Etagenwohnungen glitten wieder vorbei. Trotz meiner Konzentration auf das Fliegen bemerkte ich ein Paar an einem der oberen Fenster, das sich küsste. Dahinter kniete eine Gestalt mit einem Aufnahmegerät. Die drei schreckten auf, als der Gleiter nur wenige Meter entfernt vorbeizog.
»Kern? Alles in Ordnung?«
Seine Stimme war so leise und undeutlich, dass ich mich zur Seite lehnen musste, um ihn zu verstehen.
»Flieg nach Südwesten. Tempelhof. Lande da.«
Tempelhof.
Der Name sagte mir etwas, ich konnte ihn aber nicht zuordnen. Und wie sollte ich den Zielort ohne Navigationsunterstützung finden?
»In Ordnung! Südwesten.«
Mein Herz raste, als der Regen stärker wurde und die Scheiben beschlugen. Ich flog vorsichtig in die Richtung, die der Kompass mir anzeigte. Häuser versperrten mir den Weg, ich stieg höher. Bevor ich die Dachebenen erreichte, griff eine Bö unter die rechte Seite des Gleiters und drohte ihn aus dem Gleichgewicht zu hebeln. Schnell kompensierte ich das, doch der Magnetkompass zeigte plötzlich eine andere Richtung an.
»Das ist normal. Sorge dafür, dass der Gleiter gerade fliegt, dann stimmt der Kompasskurs!«
Schweiß tropfte von meiner Stirn. Neonleuchten auf den Dächern warfen bunte Muster in die Dunkelheit. Einige Meter über mir strahlten unzählige Scheinwerfer. Das war die offizielle Flugroute, die der Navigationscomputer genommen hätte. Blaulichter leuchteten hier und da auf. Sie suchten uns.
Ich folgte der Silhouette unzähliger Hochhäuser, wich Funkmasten und Werbeleuchten aus.
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