»Ist schon gut, Schätzchen «, sagte ich und äffte seinen Tonfall nach. »Da wir beide wissen, dass du keine echte Portugalware anbietest, können wir uns das ganze Geplänkel sparen und sofort über den Preis sprechen, oder?« Der Mann schnaubte wütend und wollte widersprechen, doch ich hob das Analysegerät hoch. »Ich kenne Insomnia . Er traut diesen Geräten mehr als solch einem Schlitzohr wie dir! Also, ich würde sagen … fünfundzwanzigtausend für dreißig Kilo?«
Der Mann hatte eine schlechte Ausgangsposition, das wusste er, doch anstatt eine neue Strategie zu finden, versuchte er weiter, die Qualität seiner Ware hervorzuheben, indem er sagte: »Das Zeug ist besser als alles, was du in den Nordstaaten legal bekommst. Und dafür läppische achthundert Coins pro Kilo? Da könnte ich es auch gleich auf die Straße kippen.«
»Achthundertdreiunddreißig Coins pro Kilo habe ich geboten. Mir scheint, du hast ein Problem mit Details. Oder kannst du einfach nicht rechnen?« Ich nahm einen Karton mit Manic Miner und fuhr mit dem Zeigefinger über die Schriftzüge. »Aber ich will mal nicht so sein. Achthundertfünfzig Coins pro Kilo und eines dieser Spiele hier. Letztes Angebot.«
Wütend riss er mir den Karton aus der Hand und warf ihn zurück in die Kiste.
»Vergiss es! Erst mich mit gefälschten Analyseausgaben verarschen und jetzt auch noch Dumpingpreise verlangen! Du weißt genau, dass das Ganze mehr als doppelt so viel wert ist!«
Ich starrte ihn an, dann zuckte ich mit den Schultern. »In Ordnung, wenn du keine Geschäfte machen möchtest, dann gehe ich eben wieder.«
Aufgebracht schob er mich zur Tür. »Das ist komplette Zeitverschwendung, geh zu Insomnia zurück und erzähl ihm, dass er ab heute einen Lieferanten weniger hat. Und dass er nur dir das zu verdanken hat.«
Ich tat so, als würde mich diese Aussicht bestürzen. Tatsächlich hatte der Mann genau so reagiert, wie ich es erwartet hatte. Ich folgte ihm eine Weile, dann blieb ich stehen, während er fluchend und murrend zurück zur Hauptstraße lief, dorthin, wo Kern ihn eine Weile mit unsinnigen Fragen beschäftigen würde.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf meine zitternden Hände. Wenn ich aufgeregt war, kroch mein alter Begleiter, der pochende Schmerz, die Wirbelsäule hoch und versuchte meinen Verstand zu betäuben. Heute galoppierte er nur so auf den Kopf zu.
Ich vergewisserte mich, dass die kleine Blechkapsel in meiner Seitentasche steckte. Etwa eine Viertelstunde noch, dann würde mein Zittern zu einem unkontrollierten Zucken und das Pochen zu einem vernichtenden Hämmern werden. Ich kannte den Ablauf mittlerweile, sodass ich genau abschätzen konnte, wann ich die nächste Dosis AS-X benötigen würde. Zeit genug, meinen Auftrag zu erledigen. Ich vermied die hellen Bereiche der Straße und lief zurück in Richtung Tür. Das Zischen meiner kaputten rechten Beinprothese wurde vom Plätschern des Regens und dem Rauschen des Verkehrs auf der nahen Hauptstraße überdeckt. Es war niemand da, der es hätte bemerken können.
Ich tippte die Zahlen ein, das Schloss entriegelte. Als ich an der schweren Tür zog, merkte ich jäh, wie mir schwindelig wurde. Schnell öffnete ich meine Seitentasche und entfaltete einen zusammengelegten Rucksack. Meine Hände zitterten dabei so sehr, dass ich ihn fast fallen ließ.
Ich musste mich beeilen. Ich warf die Spielekartons achtlos aus der Kiste, sie klapperten auf den Boden.
Meine Finger zogen an einem der Kunststoffblöcke. Er war schwerer als erwartet. Wütend auf die eigene Schwäche zerrte und riss ich an ihm, bis plötzlich ein Widerstand nachgab und ich ihn herausheben konnte.
Da entdeckte ich das Kabel, das mit dem Block verbunden gewesen war und das ich herausgerissen hatte.
Ich fluchte und ließ die Beute los. Solch ein Kabel konnte alles Mögliche bedeuten, daher sprang ich zur Seite, so weit, wie meine Beine dies zuließen. Ich prallte gegen einen Betonpfeiler und stürzte zu Boden. Gebannt hielt ich den Atem an, doch es passierte nichts.
Während ich noch ein wenig wartete, wanderte der Schmerz ein Stück hoch und lauerte drohend in meinem Nacken. Es war, als sei er bereit, auszubrechen und mein Gehirn anzugreifen. Ich spürte, dass der Sturz die Viertelstunde reduziert hatte, dass ich ihn sofort behandeln musste. Meine Hand tastete nach dem AS-X und griff ins Leere. Die Blechkapsel war fort! Ich musste sie beim Sturz verloren haben.
Verzweifelt tastete ich den schmutzigen Boden ab, schob Kartons beiseite und versuchte das Zwielicht mit meinen Augen zu durchdringen. Erinnerungsfragmente von Hochleistungslinsen und Augenimplantaten blitzten auf. Entsprachen sie der Wahrheit oder waren sie Wunschträume, die ich in meinem Leben vor dem Nano-Schock hatte?
Ich schüttelte den Kopf und kroch hinter einen der Kistenstapel. War die Kapsel hierhin gerollt?
Ich hielt inne, als sich hastige Schritte näherten. Irgendjemand fluchte ununterbrochen, während er auf die Tür zusteuerte und diese aufriss. Es war der Händler.
»Arschlöcher! Junkie-Huren! Piss-Diebe! Was habt ihr mit meiner Ware gemacht?«
Das Geräusch klappernder Spielekartons verriet mir, dass er auf die offene Kiste zuhielt. Schnell zog ich die Beine an, damit er mich nicht sehen konnte. Meine Prothese zischte dabei so laut, als wollte sie dem Mann unbedingt mitteilen, wo ich zu finden war. Doch der übertönte jedes Geräusch mit seinem Monolog.
Wütend überprüfte er die Kunststoffblöcke und lachte hart. »Verfluchte Drogentussi! Hast wohl kalte Füße bekommen, als du das Kabel gesehen hast, wie? Könnte ja eine Scheißbombe, ein Giftspray oder eine Selbstschussanlage sein! Dabei ist es nur eine Alarmanlage, die beste, die ich bislang hatte.«
Er schaufelte Spielekartons in die Kiste. Jeder Ton dröhnte so laut, dass ich meine Hände gegen die Ohren presste. Schweiß floss mir in die Augen. Wenn ich nur nicht so schwach wäre! Hätte ich das AS-X, könnte ich es mit ihm aufnehmen.
Plötzlich stockte er. Blech klimperte. Er kicherte. »Na, das ist mal ein Einbruch, den ich mir lobe. Nichts geklaut, aber teure Schmerzmittel dagelassen.«
Mein AS-X!
Ich wollte aufspringen, es ihm entreißen, es an das Interface setzen, spüren, wie es den Schmerz fortspülte. Doch mein Kopf schwamm, und meine Beine reagierten nicht. Ich bemerkte, dass der Schwächeanfall mich fest im Griff hatte, dass ich sogar halluzinierte.
Durch einen Spalt zwischen den Kistenstapeln sah ich, wie hinter dem Händler ein Schatten erschien, unförmig und nur entfernt menschenähnlich. Und der Schemen wurde immer seltsamer und absurder, während ich versuchte den Schweiß aus meinen Augen zu blinzeln.
Jetzt verschmolz er mit dem Händler, ich hörte einen Schrei, dann einen Schlag. Blech klimperte, der hohe Klang durchdrang den Schmerz in meinem Kopf, füllte ihn mit Hoffnung auf Linderung. Meine Gedanken rasten hin und her, chaotisch und wirr. Irgendwann wurden sie ein wenig klarer, und ich fühlte mich wieder stark genug, die Augen aufzumachen.
Ich hatte nicht halluziniert. Ein Körper lag auf dem Boden vor der Kiste. Durch den Spalt konnte ich den Hals des Mannes sehen. Blut floss aus seiner Kehle. Er bewegte sich nicht.
Da schwebte die Kapsel in mein Sichtfeld. Sie war teilweise verdeckt von einem grauen Schleier, der das Aussehen der Umgebung widerspiegelte.
Ein Tarnfeld!
Eine Erkenntnis, die meinem Gehirn entsprang, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, so etwas je gesehen zu haben. Schon vor dem Nano-Schock waren Tarnfelder extrem selten gewesen, danach konnten sie nicht mehr existieren, weil sie auf Nano-Technologie basierten.
Ich hielt den Atem an. Wer war das? Wer hatte Zugriff auf diese Technik? Und was hatte er mit dem Händler gemacht?
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