Welcher Vater dringt in das Innere seines Kindes?
Von einem Fleisch und Blut, in der Gemeinschaft und Gewohnheit des Lebens täglich aufeinander angewiesen, bleiben sie sich im Grunde ihres Seins vollkommen fremd, und es bedarf schon besonderer Ereignisse oder aufrüttelnden Geschehens, dass einer von dem anderen Kunde empfängt.
Und vollends bei einem Mädchen, das von ihren Kinderjahren an allen Werbungsversuchen ein nie unfreundliches, aber streng in sich verschlossenes Wesen entgegensetzte.
Dabei kennt er das im Grunde lebhafte Temperament seiner Tochter, weiss auch, dass sie einer tieferen, ja, einer leidenschaftlichen Empfindung ganz und gar fähig wäre. Aber beides lebt in ihr, ohne sich je nach aussen zu betätigen oder in irgendeiner Form sich zu offenbaren. Oft ist es ihm, als habe sie geradezu Furcht, dass man in ihr Inneres eindringen, das, was sie denkt oder fühlt, irgendwie enträtseln oder gar blosslegen könnte.
Aber gerade ihm ist diese knospenhafte Zuschliessung an seinem Mädchen nie unangenehm, ja, sie ist ihm lieb gewesen. Vielleicht weil sie einen Teil von ihm selber, ein Erbe seiner eigenen Veranlagung ist, für das er eine gewisse Verantwortung trägt. Und er weiss, dass auch in ihr, so streng sie es verschliesst, ein Etwas ist, das ihm zustrebt.
„Da ist der Vater!“ hört er sie bei seinem Eintritt sagen. „Wir wollen ihn fragen. Aber er wird Ihnen nicht anders antworten, als ich es tat.“
„Worum handelt es sich?“ fragt Friedrich Vandekamp, indem er sich zu den beiden setzt.
„Um die Grossmutter“, schneidet Ina dem Geistlichen das Wort ab. „Denke: sie hat es sich in den Kopf gesetzt, die Mutter auf ihrer Krankenstube zu besuchen.“
„Frau Wallburg-Werra“, sagt dieser in seiner ruhigen Bestimmtheit, „hat das Verlangen, ihre Tochter, deren neulicher Anfall ihr schwere Sorge bereitet, nach langer Zeit wiederzusehen. Das hat sie mich wissen lassen und mich um meine Vermittelung gebeten. Sie hat den aufrichtigen Wunsch, den Zwist und Hader, die zu ihrem Schmerz nun bereits seit Jahren zwischen ihr und ihrer Tochter bestehen, endlich beigelegt zu sehen. Sie leidet unter dieser Entfremdung und will die versöhnende Hand reichen, auch tun, was in ihren Kräften steht, dass wieder Friede und Eintracht herrschen.“
Er sieht das halb mitleidige, halb ironische Lächeln, das um Inas Lippen schwebt.
„Sie sind ein Idealist, Herr Pfarrer“, sagt Ina, „der grösste vielleicht, der mir in meinem Leben begegnet ist. Ich weiss nicht, ob ich Sie bewundern oder beneiden soll.“
„Ich bin ein Mann, der seine ihm übertragene Sendung darin sieht, den Mühseligen und Beladenen beizustehen.“
Ein tiefes Durchdrungensein von seiner Aufgabe spricht aus den wenigen Worten.
„Und Sie meinen wirklich, dass eine so eingewurzelte Abneigung, eine durch lange Zeit hindurchgeschleppte, nie verstummende Feindschaft zwischen zwei Menschen durch eine einzige Begegnung, eine Auseinandersetzung, die selten klärt, meist aber zu schweren Missverständnissen führt, aus der Welt geschafft werden kann?“
„Sie sind Mutter und Tochter.“
„Das verschärft den Gegensatz.“
„Die Bande des Blutes lassen sich nicht lösen.“
„Aber wenn sie gelöst sind, kommen sie schwer wieder zusammen.“
„Auch Ihre Mutter ist eine kranke Frau —“
„Ein so tief eingefressener Zwiespalt macht selbst vor dem Tode nicht halt.“
„Ich aber glaube an die Macht des Guten. Denn ich liebe die Menschen.“
„Ja, Sie lieben die Menschen. Da haben Sie recht gesagt“, erwidert Ina, und ein wärmerer Ton ist in ihren Worten. „Aber Sie kennen sie nicht.“
„Wir werden uns hierin nicht verstehen, wie wir uns so manches Mal nicht verstanden haben“, bricht Pfarrer Wendland mit jener fast schroffen Härte das Gespräch ab, die ihm zu eigen ist, wenn das, was ihm Überzeugung und Glaube ist, auf Widerspruch stösst oder in Zweifel gezogen wird. „Und wenn Sie oder Ihr Herr Vater es nicht für richtig befinden, die Kranke auf den Besuch ihrer Mutter vorzubereiten, so werde ich selber zu ihr hinaufgehen.“
„Ich danke Ihnen, Herr Pfarrer“, sagt Friedrich Vandekamp mit kurzem Entschluss. „Ich werde mit meiner Frau sprechen.“
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