1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Ein Frühlingstag, wie er schöner nicht gedacht werden kann, umschmiegt die alte Hansestadt mit jungen Liebesarmen.
Nicht in dunstige Schleier mehr gewoben, wie in der Frühe des Morgens, scheint die Sonne des Mai. Von hell durchsichtiger Klarheit ist ihr Licht geworden, sendet seine mitleidsvoll suchenden Strahlen bis in die engsten Gassen, liegt in weithin leuchtendem Gold auf der Ratsturmspitze, windet einen Kranz von mattsilbernen Perlen um das trutzige Haupt von St. Marien, weckt aus dem Schlafe von Trägheit und Gleichgültigkeit, der Nacht von Sorgen und Finsternissen, macht alles froh und lind und lebensstark.
Keiner freut sich des schönen Tages mehr als Timm. Denn er kann ihn für seine Paddelfahrt brauchen. Wohlzusammengepackt liegt das Faltboot in seinem Auto, in dem er mit Locki der Stelle des Umfluters entgegenfährt, an der die grosse Fahrt beginnen soll.
Nun sind sie am Ziele, legen Mäntel, Kappen, Autobrillen ab und freuen sich, der lastenden Hüllen entledigt, einer an dem anderen.
Aber Locki sieht auch wirklich aus wie ein Kind des lachenden Frühlingstages da draussen. Weich schmiegt sich das von einem feschen Ledergürtel umschlossene rohseidene Kleid an den jungblühenden Körper.
Die schönen, in einem matten Bronzeton gefärbten Arme bleiben frei, und die kleinen Füsse stecken in zierlichen Sandaletten. Die Strümpfe, von derselben goldbraunen Tönung wie die Arme und an den Knien ein bisschen kokett aufgewirbelt, umschliessen tadellos gebaute Beine.
Aber auch Timm kann sich sehen lassen in seinem kurzärmeligen Seidenhemd, über dem das dunkelgebräunte Gesicht und der muskulöse Hals fast kupfern funkeln. Schwarze Satinhosen fallen weit und luftig bis hart an die Knie, während die Füsse von weissen Gummischuhen und ebensolchen Seidensocken eingeschlossen sind — wirklich ein schmuckes Paddlerpaar, das zur verheissenden Fahrt sich rüstet.
Mit liebevoller Sorgfalt, in der zugleich eine merkbare Wichtigkeit sich kundgibt, packt Timm sein Faltboot aus, baut es mit derselben Sorgfalt auf, setzt es aufs Wasser, sieht es mit kindlichem Stolz auf den leise flutenden Wogen schaukeln und plantschen, wie ein Junge, der zum ersten Male das von dem Vater geschenkte kleine Segelboot am Bindfaden auf dem Wasser schwimmen lässt.
Jetzt steigt er ein, nimmt seinen Platz, balanciert aus, verfrachtet einen kleinen Korb mit einer Flasche Sherry und einigen wohlverpackten Leckerbissen, die ihnen gute Dienste tun sollen, verstaut das Zelt, das er für alle Fälle mitgenommen, und hat sein stilles Ergötzen, als er sieht, wie die kleine, sonst so sichere Locki mit allerlei mühsamen Kletterversuchen, bei denen sie ängstlich auf ihr rohseidenes Kleid und die zierlichen Sandaletten achtgibt, ihren Schlagmannssitz erobert und sich, beseligt über das endlich gelungene Werk, zu ihm umwendet.
Aber sofort erstirbt das triumphierende Lächeln auf den kecken Lippen. Denn „Puck“ ist ein gar empfindsames Geschöpf, das so unvermutete Bewegungen nicht ohne gehörigen Widerspruch hinnimmt. Er bäumt sich leicht auf, macht einen Seitenschwupser, stampft und zittert am ganzen Leibe, dass Locki voller Erschrecken den Kopf wieder vorwärts wendet und, den Blick starr geradeaus gerichtet, regungslos auf ihrem Schlagmannssitz verharrt.
Jetzt ist alles klar. Die Fahrt kann beginnen.
Schon sind sie auf der Mitte des Umfluters, schon gleitet „Puck“, von den schnell und ebenmässig auf und nieder schwingenden Paddeln getrieben, über die aufkräuselnde, lustig gurgelnde Flut.
Unbeschreiblich schön ist die Fahrt. Wie ein Riesenfächer liegt die reife Nachmittagssonne über dem Vorfluter, sendet ihre wärmenden Strahlen hinüber auf das Land, das mit lichtem Ausblick auf weich dämmernde Fernen in einem Meer von Duft und Blüten sich vor ihnen breitet.
Hochbuschige Kastanienbäume stehen am Ufer. Ein leichter Wind treibt mit ihren kerzengerade sich reckenden Blüten sein Wesen, wirbelt die Flocken, die sie ihm nach kurzem Widerstreben preisgeben müssen, im lustigen Durcheinander auf die von ihnen bereits weiss besäte Erde, streicht mit sanft zärtlicher Hand über das im ersten jungen Grün erschimmernde Gelände, über die Teppiche und Decken von braunem Brokat, die zwischen ihnen sich breiten. In den Koppeln tummeln sich die Fohlen, kommen mit ungelenken Sätzen herbeigesprungen, beäugen das hurtig dahingleitende Boot.
Häuser, niedrig, aber behaglich gebaut, manchmal noch mit strohgedeckten Dächern und geruhig sich sonnenden Gärten mit rohgezimmerten Bänken vor der Tür, auf denen man am Feierabend Rast macht, höher aufragende Scheunen, Verschläge, die sich hinter dichten Bäumen kuscheln, Ställe, weidendes Vieh, ab und zu ein Wagen, der geringe Lasten fährt, troddelnde Pferde, in Arbeitstracht schwerfällig ihre Strasse ziehende Männer und Frauen, alles das kommt auf sie zu, entgleitet, ist wieder da.
Manchmal lässt Timm die Paddel ruhen. Dann fliegt und flitzt „Puck“ eine ganze Weile, als triebe ihn eine unaufhaltsam in ihm sprudelnde Kraft ganz von selber, als trügen und schöben ihn die Kräfte der geheimnisvollen Tiefe.
Und wieder hebt und senkt Timm die Paddel. Heidi, wie „Puck“ jetzt volle Fahrt nimmt! Als hätte er eine neue Gestalt erhalten, wäre gar kein Faltboot mehr, sondern ein schlank und rassig gebautes Rennpferd, vielleicht ein Wasserrennpferd, das die unter ihm geschäftig fliessende, eilig schwindende Bahn mit Blitzesschnelle durchrast.
Bis dahin hat Locki in derselben starren Gebundenheit vorn auf ihrem Schlagmannssitze verharrt und sich kaum zu rühren gewagt, als fürchtete sie, durch die Willkür einer Bewegung, auf die „Puck“ nicht vorbereitet oder die seiner empfindsamen Veranlagung nicht genehm ist, in neue Ungelegenheit zu geraten. Allmählich aber wird sie freier und ungebundener. Denn sie empfindet, wie sich eine leichte Annäherung zwischen ihr und dem Boot vollzieht, wie sie beide gewissermassen Fühlung miteinander gewinnen. Und diese Wahrnehmung bereitet ihr ein kindliches Vergnügen.
Sie hat noch nie in einem Paddelboot gesessen. Bei allem Sport, den sie getrieben, ist ihr dies etwas ganz Neues und, wie alles Neue, ergreift sie es mit der ganzen Lust ihres lebhaften Temperamentes.
Immer mehr wird sie inne, dass diese wohltuende Übereinstimmung zwischen Boot und Mensch auf einer verborgen schwingenden Schwebefähigkeit des Körpers beruht, über die sie in hohem Masse verfügen muss. Denn sie ist ihr schon bei anderen Sportübungen, beim Tennis und Reiten, zustatten gekommen.
Nun ist sie kein untätiger, kein nur mitgenommener Fahrgast mehr, sondern ein mitwirkender, mitlenkender Teil und Glied dieses wunderbaren Bootes, das immer sichtbarer die Form eines lebenden Wesens für sie annimmt, zu ihm gehörig und mit ihm verwachsen. Und nicht nur mit ihm, nein, mit dem Wasser selber.
Das Wasser hat sie von je geliebt und sich mit ihm vertraut gefühlt.
Jetzt aber ist ihr, als wäre sie nie, selbst beim Schwimmen nicht, mit ihm in eine so nahe und innige Berührung gekommen, wie auf dieser Fahrt.
Manchmal hat sie das Gefühl, als sässe sie gar nicht auf ihrem Schlagmannssitz, sondern schwebte auf dem Wasser selber, würde von seinen weichen Armen wie auf einer Sänfte davongetragen.
Dann steigert sich das Gefühl: Nicht auf dem Wasser, in ihm befindet sie sich, ist eine lustige kleine Nymphe, die unter seinem Spiegel dahingleitet, sich der lüsternen Faune entwehren muss, die von allen Seiten auf sie eindringen, ihr verwegenes Spiel mit ihr treiben.
Sie ist mutiger geworden und nicht mehr so schweigsam wie am Anfang der Fahrt. Durch keine Hemmung länger gehindert, wendet sie sich nach Timm um, sooft es ihr gefällt. Manch neckisches Wort, manch übermütiger Scherz fliegt zu ihm hinüber. Das lebhafte Auge, in dem, besonders wenn sie aufgeräumt ist, die verschiedensten Farben aufsprühen, gleitet wohlgefällig über seine sehnige Erscheinung, in der vom Kopf bis zu den Füssen, wohlig gelöst, jede Muskel spielt.
Читать дальше