Artur Brausewetter
Ein Roman
Saga
Artur Brausewetter: Dämonen der Zeit. © 1925 Artur Brausewetter. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711487631
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Klaus Körber feierte seinen dreissigsten Geburtstag. Er war gerade beschäftigt, Frack, Binde und Oberhemde einer letzten Prüfung zu unterziehen, als Moritz, sein junger Diener, erschien.
„Herr Steinwender,“ meldete er in der ihm anerzogenen Kürze.
„Jetzt unmittelbar vor der Gesellschaft? Unmöglich.“
„Er kame in einer wichtigen Angelegenheit.“
„Er soll sie morgen früh vortragen.“
Nach einer Minute kehrte der Diener zurück: „Herr Steinwender muss den Herrn sofort und unter allen Umständen sprechen.“
„Zum Teufel auch!“ brauste Klaus Körber auf, nahm aber die Hausjacke von dunkelblauem Samt, die der Diener ihm reichte.
„Suche mir inzwischen eine andere Weste aus. Diese wirft eine Falte. Auch das Vorhemde ist nicht steif genug. Ich habe dir oft genug gesagt: unter dem Frack muss es wie ein Panzer sitzen.“
Im Empfangszimmer, das bereits zur Begrüssung der Gäste hergerichtet und von einer Wolke feinen Fliederdufts erfüllt war, stand ein kleiner, verhutzelter Mann mit grauem, verknittertem Gesicht und nüchternen Augen, die missvergnügt in diese Welt der Pracht und des Luxus hineinblinzelten: Herr Steinwender, der mit der Firma altgewordene Prokurist des Hauses „Körber & Sohn“. So hiess es bereits von Klaus’ Grossvater her, der es vermöge seines kaufmännischen Geschickes und eines ehernen Fleisses aus den kleinsten Anfängen zu Weltruf gebracht hatte.
„War es notwendig, dass Sie mich ausgerechnet in diesem Augenblicke sprechen mussten?“
„Es war notwendig.“
„Sie sind doch selbst geladen —“
„Ich bedaure. Es ist mir nicht möglich ... beim besten Willen nicht möglich, Herr Körber.“
„Nicht möglich?“
„Sie werden mich verstehen, wenn Sie mich gehört haben.“
„So haben Sie die Freundlichkeit, sich kurz zu fassen. Meine Gäste können jeden Augenblick erscheinen, und, wie Sie sehen, bin ich noch wenig für sie gerüstet.“
„Die Rechnungen von unseren finnischen Lieferanten sind eben eingetroffen und sofort zahlbar. Das Papier ist verladen und unterwegs.“
„Nun?“
„Wir können das Papier nicht einlösen.“
Klaus Körber nestelte mit der schlanken Hand an den Schnüren seiner Samtjacke und wandte den Blick von dem Alten ab.
„Herr Körber,“ raffte sich dieser auf, mit merkbarer Mühe nach den Worten suchend, „Sie wissen es, wie ich immer darauf gedrungen habe, dass Sie sich bei diesem grossen Einkauf mit den nötigen Devisen eindecken sollten. Sie meinten aber, die Hausse in Dollar werde in kurzer Zeit nachlassen, und lehnten es ab.“
„Jawohl. Die Banken erklärten mir einstimmig, es könnte sich nur um eine vorübergehende Hausse handeln.“
„Indessen stieg der Dollar, stieg rapide. Wir deckten uns nicht ein.“
„Wir konnten es nicht mehr.“
„Wir hatten andere Verluste: die übernommenen Verbindlichkeiten gegen die neugegründete Papiergesellschaft, die Übernahme einer so grossen Anzahl von Stammaktien, vor der ich warnte, und gegen die auch Herr Gomprecht seine Stimme erhob.“
„Die Männer, die dahinter standen, schienen Gewähr für ein besonderes Gelingen zu geben.“
„Wenn Tenerissen wie Hamanns Erben heute auf Erfüllung ihrer Verträge bestehen, so bedeutet das —“
Um die blutlosen Lippen lief ein Zucken. Man fühlte dem alten Manne die innere Bewegung an, die ihn nicht weitersprechen liess.
„Schwere, sehr schwere Verluste ... ich weiss das, mein lieber Steinwender. Aber andere Geschäfte machen in diesen unberechenbaren Zeiten ähnliches durch. Wir sind nicht die einzigen. Wir werden tapfer arbeiten. Ich werde Ihnen freiere Hand lassen — und wir werden die Verluste überwinden.“
„Es handelt sich nicht um Verluste.“
„Worum denn?“
„Um den Ruin.“
Ganz still war es zwischen den Beiden.
„— — Den Ruin, sagen Sie?“ fragte dann Klaus Körber, und seine Stimme zitterte. „Soweit wären wir?“
„Ja, Herr Körber — soweit sind wir.“
„Die Bank muss helfen.“
„Wir haben den Kredit bereits überzogen.“
„Ich werde mit Gomprecht sprechen.“
„Es wird Ihnen nichts nützen.“
„Tenerissen sowie Hamanns Erben müssen von ihren Verträgen zurücktreten. Sie stehen mir persönlich nahe. Sie befinden sich heute unter meinen Gästen, und ich darf sie zu meinen Freunden rechnen.“
„Es wäre die letzte Möglichkeit ... die einzige Rettung wäre es. Tun sie es nicht ... dann sind Sie morgen ein ruinierter Mann ... ein völlig ruinierter Mann. Und nun werden Sie verstehen, dass ich heute Ihren Geburtstag nicht mit Ihnen feiern kann.“
„Puh — was für ein Wetter!“ sagte Herr Benno Markenthin zu Herrn Lothar Tenerissen, rieb sich die roten, starkknochigen Hände, putzte lärmend die Nase und trat mit den platten Füssen, die sich an die widerwillige Einschnürung in die zierlichen Lackhalbschuhe immer noch nicht gewöhnt hatten, über den dicken Läufer der behaglich durchwärmten Diele.
Starr wie ein Fels stand der baumlange Tenerissen, sah immer geradeaus und mit keinem Blick auf den runden, wohlgenährten Zigarettenfabrikanten, der allerlei Geschichten aus dem Geschäft und aus der Gesellschaft erzählte und seiner Ungeduld über das lange Ausbleiben der Damen, die in den oberen Räumen ablegten, drastischen Ausdruck gab.
„Das ganze Verheiratetsein ist ein einziges Warten.“
Er liebte solche geistreichen Anmerkungen und war stolz auf sie.
„So ... so.“ Das war das einzige, was Herr Tenerissen sagte, was er überhaupt zu sagen pflegte, wenn man gleichgültige Dinge mit ihm verhandelte oder ihn in eine gesellschaftliche Unterhaltung zu ziehen suchte. Nur wenn sich das Gespräch um geschäftliche oder politische Gegenstände drehte, wurde er lebhaft.
Nun gesellte sich auch Felix Gomprecht, der noch jugendliche und, im Gegensatz zu den beiden andern Herren, mit vollem, dunklem Scheitelhaar bedachte Direktor der Deutschen Bank, zu ihnen. Er brauchte niemals zu warten, denn er hatte niemand, der es von ihm verlangt hätte, und freute sich über die Tatsache jedesmal aufs neue, wenn er seine Freunde vor den Gesellschaften mit grösserer und geringerer Ergebenheit in den Vorräumen auf- und niederschreiten sah.
Jetzt aber war alles in dem grossen Empfangssaal versammelt, in dem bereits Klaus Körbers Eltern ihre Gäste begrüsst hatten. Nichts Herkömmliches oder gesellschaftlich Steifes war in ihm. Altertümliche, mit sorgfältiger Kunst gearbeitete Möbel standen in reicher Anzahl und scheinbar planloser Anordnung in der Mitte des Zimmers, in lauschigen Ecken und Winkeln. Von schweren Pfeilern blickten wuchtige Bronzen herab, und an den mit bordeauxroter Seide ausgeschlagenen Wänden hingen zwischen kühngeschweiften Spiegeln und glitzernden Armleuchtern bunte Gemälde in goldenen, manchmal ein wenig prunkenden Rahmen. Und über alles das gossen von den hohen Deckfriesen herniederhängende Glühbirnen ein gedämpftes Licht, das diese Welt der Pracht und des Reichtums in wohlig weiches Behagen hüllte.
An der Eingangstür stand Klaus Körber.
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