Artur Brausewetter
Roman
Saga
Artur Brausewetter: Der Ruf der Heimat. © 1937 Artur Brausewetter. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711487679
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com- a part of Egmont, www.egmont.com.
Meta Schultz-Gora zu eigen!
Friedrich Vandekamp befindet sich auf seinem Morgenweg in sein Kontor. Es liegt auf der Speicherinsel, mitten im geschäftlichen Treiben der alten Hansestadt, die jetzt „Freie Stadt“ genannt wird. Sein Landhaus aber hat er sich draussen aufgebaut. In grün umkränzte Hügel hat er es gebettet mit weitem freien Blick auf den sanft aufsteigenden Wald und den blauenden Himmel über ihm. Kein Ton der aufgeregten Geschäftigkeit dringt in seine abgeschlossene Stille. Nur das Surren der elektrischen Bahn hört man aus verschleierter Ferne. Sonst nichts als Vogelgezwitscher und Bäumerauschen, und an Tagen, an denen die Luft besonders tragfähig ist, ein dumpf verhaltenes Murren und Grollen, als käme es vom Meere herüber. Aber vielleicht bildet er sich das nur ein. Denn seine Frau, die oben krank auf ihrem Zimmer liegt und für alles, was um sie her klingt und tönt, ein sehr feines Gehör besitzt, hat für seine Wahrnehmung nur ihr überlegenes Lächeln und meint, das Meer läge viel zu weit von ihrem waldumgebenen Hause, als dass man sein Rauschen bis hierher vernehmen könnte. Mag sein, dass er es sich einbildet. Schliesslich ist es ihm gleich. Er hat an soviel anderes zu denken, für soviel anderes zu sorgen, das wichtiger und gewinnbringender ist.
Er macht den Weg immer zu Fuss. Gewiss, er hat seinen Wagen. Aber er benutzt ihn nie. Sein Sohn Timm beansprucht ihn für seinen Sport, seine Jagden und galanten Ausflüge genügend, und er bedarf bei seiner angestrengten Tätigkeit der Bewegung und der frischen Luft.
Der Weg ist weit, aber sehr schön. Besonders in der Morgenfrühe, wenn alles um ihn her eben aufgestanden und noch jung und unverbraucht ist. In den Vorgärten, die sorgsam, manchmal bis zu gezierter Überkultur, gepflegt sind, erfreut ihn die bunte Üppigkeit der scheinbar wahllos und doch in wohlüberlegtem Gleichmass gepflanzten Bäume. Am Wegesrand sind die schattenden Kastanien beschäftigt, ihre ersten Kerzen anzuzünden, einige sind bereits weiter in der Arbeit, andere scheinen sich Zeit zu lassen. Gerade so ist es mit dem Flieder; der weisse ist in voller Blüte, der rotblaue hüllt sich noch in keusch verschlossene Knospen. Aber leiser, weicher Duft schwebt schon herüber, erquickt den Sinn und lenkt Vandekamp, für Augenblicke wenigstens, von den Gedanken und Sorgen ab, die nun einmal mit ihm gehen, wohin er den Fuss auch wendet. Dafür ist er der Inhaber einer der grössten Firmen der Stadt, und dafür hat er zu Hause die kranke Frau.
Nun ist er in die herrliche alte Allee eingebogen, die, zweireihig zu beiden Seiten der breiten, asphaltierten Strasse, den schmucken Vorort mit der Stadt verbindet.
Die Linden, die Spätlinge des Frühlings, haben weichschimmernde grüne Schleier angetan, die sich hier und da schon verdichten, so dass die Morgensonne einige Mühe hat, mit ihren des Kampfes noch wenig geübten Strahlen durch ihr im leichten Winde spielendes Gewirr hindurchzudringen.
Friedrich Vandekamp hat die Allee verlassen und wandert, den Schritt ein wenig beeilend, über die Nordpromenade, durch den winzigen Irrgarten, dessen Benennung einer übermütigen Ironie entsprungen scheint, der Stadt zu.
Der Frühling ist diesmal später und kälter als sonst wohl auf den Plan getreten. Er hat hier oben im herbgetönten Osten ja immer ein etwas sprödes Gesicht. Diesmal jedoch ganz besonders. Gerade so aber liebt ihn Friedrich Vandekamp. Denn in seiner durchsichtigen Klarheit und härtlichen Würze wirkt er um so wohltätiger auf angespannte Nerven und ein überarbeitetes Gehirn. Dankbar geniesst er ihn mit jedem Schritt, den er vorwärts kommt, zugleich mit einer leichten Wehmut, zu der er neigt. Denn er weiss, wie bald und unversehens, wenn man Tag für Tag dieselbe Strasse wandert, das Bild wechselt, wie dieser lachende Frühling dem schwülen Sommer, in dem ihm der lange Weg nicht mehr ganz leicht fällt, und dem Spätherbst, unter dessen fröstelnder Feuchtigkeit er leidet, den Platz räumen wird.
Wie pfeilschnell doch solche Jahre dahinfliessen, wenn jedes von ihnen genau dasselbe bringt: die streng geregelte Arbeit im Kontor, das anstrengende Disponieren, den niemals Ruhe lassenden Gelderwerb.
Aber diese wunderbaren Denkmäler altdeutscher Kunst, die er auch heute wieder mit stiller Ehrfurcht betrachtet, sie bleiben sich in ihrer Schönheit immer gleich, ob er sie im flimmernden Spiel der jungen Frühlingskinder, im satten Glühen der sommerreifen Sonne oder in den grotesk gezackten Gebilden des winterlichen Schnees erblickt.
Seltsam, dass das Geschaffene beständiger und dauerhafter sein kann als die Natur, ja, als das Leben selber, in dem der Wechsel das einzig Bestehende ist: dies goldgezierte Hohe Tor und gegenüber der altgotische Stockturm, über die Jahrhunderte hindurch Frühling und Herbst, Sommer und Winter dahingegangen sind und die so fest und trutzig dastehen, als gäbe es für sie weder einen Wechsel der Jahreszeiten noch der Schicksale.
Die Langgasse mit ihren alten Patrizierhäusern schreitet er hinunter, wird überall gegrüsst, hier und da auch angesprochen, obwohl er ungern stehen bleibt und Antworten gibt, deren Einsilbigkeit nicht zum Weiterreden ermuntert.
Pfeilschlank wie eine Nadel glüht der goldverbrämte Rathausturm zu ihm hinüber. Wie ein stiller Fingerzeig in Fernen, die man nur mit der Seele suchen und ersehnen kann. Feingemeisselte Spitzbogen lassen ihr wunderzartes Gewebe in der Sonne funkeln. Um den Neptunsbrunnen schwirren Tauben, flattern mit den silberglänzenden Schwingen hoch empor zum alten Artushof ...
Und nun? Was wächst ihm da entgegen? Reckt sich vor ihm empor aus dem steinernen Wald von Zinnen und Mauern, dem Geäst spitzgeschärfter Vasallentürmchen, aus dem weich und warm ihn umschmiegenden Häusergewirr? Etwas Massiges, Wuchtiges, Unaussprechliches, ein Recke, stark und gewaltig, einsam in seiner unnahbaren Majestät. Lässt den Blick auf ihn hinuntergleiten, den armen kleinen Wanderer dort, der mit seinen Geldgedanken und Geschäftssorgen seine Strasse zieht, so stolz und geringschätzig zugleich, dass Friedrich Vandekamp, der eben eine sehr gewichtige, heute abzuschliessende Berechnung durchkalkuliert hat, über sich selber den Kopf schütteln muss.
Der Turm von St. Marien ist es, das Wahrzeichen und der getreue Eckart der alten Hansestadt, der sturmverwitterte Zeuge ihrer Geschichte und Geschicke, ihrer Leiden, Kämpfe und Siege.
Friedrich Vandekamp ist kein Kunstkenner. Er will auch keiner sein. Er ist Kaufmann. Das ganze Wesen und Werk seines in nüchterner Gleichmässigkeit sich abwickelnden Daseins ist in dies eine Wort eingeschlossen wie in eine Festung. Aber die Liebe zu seiner Heimatstadt, in der er geboren ist, in der er auch sterben will, die trägt er im tiefsten Herzen, und ihre alten Bauten und Kunstdenkmäler sind ihm vertraut von seiner ersten Kindheit an.
Am Steffenshaus vorbei ist er durch das grüne Tor an die Mottlau gelangt. Und wieder ist ihm, als spürte er den Geruch der See, den der schärfer gewordene Wind von Neufahrwasser herüberträgt. Er liebt diesen Geruch. Eine erfrischende Würze ist in ihm und ein neubelebender Atem. Er muss an den Ausspruch eines süddeutschen Geschäftsfreundes denken: Dass die Leute im härtlichen Norden und Osten sich länger schaffensstark erhielten als die im weicheren Süden oder Westen.
Читать дальше