Steffi suchte indes nach den Worten „Meine Frau“ krampfhaft nach einem anderen Gesprächsstoff. „Ach, so schlimm war es schließlich nicht mit der Einsamkeit gemeint“, erklärte sie hastig, „du hast mich falsch verstanden. Ich habe ja meine Harfe und Vaters Bücher, und dann helfe ich der Mutter viel beim Nähen. Und der Lehrer-Vertreter, der das Jahr nach Vaters Tod bis jetzt hier die Schule hielt, machte keinen Anspruch auf die Amtswohnung und mietete sich, weil er unverheiratet ist, beim Lindenwirt ein, da hatten wir’s sehr bequem und durften vorläufig wohnen bleiben.“
Der junge Lehrer Alois Matausch reckte seine kleine Gestalt.
„Ich verzichte nicht auf die Amtswohnung, ich nicht, aber wenn es dir gefällt und du bleiben willst“, er machte eine kleine, feierliche Pause, „dann steht dem nichts im Wege.“ Wieder eine feierliche Pause, diesmal aber von längerer Dauer als das erstemal, ein sonderbarer Seitenblick, der wie Mahnung und Bitte war, flog zu der eifrig die Nadel handhabenden Frau am Fenster hin.
Und diese verstand den Blick, erhob sich hastig und brummelte, sie wolle schnell für den lieben Gast ein Täßchen Kaffee bereiten. Nun waren die beiden allein, und Steffi wußte, jetzt galt es offen zu sein, diesem harten Holzgesicht gegenüber waren keine Ausflüchte am Platze, diese starren Augen heischten eine gerade Antwort.
Ein tiefes Schweigen lag über dem kleinen Raum. Und plötzlich sagte die kalte, glatte Stimme des kleinen Mannes in das tiefe Schweigen hinein:
„Steffi, ich mag keine langen Reden halten, mag nicht um die Dinge herumreden, die ich meine, und deshalb, kurz heraus, wir kennen uns von Kind an, und ich habe dich gern. Sollst meine Frau Lehrerin sein, und ich denke, das paßt dir.“
Seine Augen ruhten unbeweglich auf dem unregelmäßigen, liebreizenden Antlitz, das ihm so nahe war, daß er die Arme nur ein wenig ausstrecken brauchte, um es an sich zu ziehen.
Steffi atmete bedrängt, aber dann faßte sie allen Mut zusammen, und wie bittend sprachen ihre Lippen: „Sei mir nicht böse, Alois, aber ich kann deine Frau nicht werden, denn ich liebe dich nicht.“
Der kleine Mann zuckte zusammen, als zweifle er, recht gehört zu haben. „Du liebst mich nicht? Aber vergißt du denn ganz, was ich dir zu bieten vermag, vergißt du, daß —“ Er brach ab, die Stimme gehorchte ihm nicht weiter.
„Lieber Alois, es tut mir sehr leid, dir wehe tun zu müssen, aber ich darf doch nicht ohne Liebe deine Frau werden“, sagte sie leise, doch fest.
In seine Augen trat ein Glitzern, und krampfig klang seine Frage: „So liebst du einen anderen?“
Steffi lächelte weich.
„Nein, nein, außer dem Vater habe ich keinen Mann lieb gehabt.“
„Dann ist ja alles gut“, atmete Alois Matausch auf, „dann ist ja alles gut. Wirst mich lieben lernen, Steffi, Liebe erweckt doch Gegenliebe.“ Seine knöchernen Finger tasteten nach ihren Händen, und ein Zug von Selbstbewußtsein hob seine Mundwinkel.
Steffi fuhr zurück, als krieche ihr eine Spinne über die Hände, und wie von Ekel hervorgepreßt, rief sie laut: „Nein, ich werde niemals deine Frau, niemals, hörst du, denn der Mann, den ich lieben werde, muß anders sein als du, ganz anders!“
Kaum waren ihr die Worte entflohen, bereute sie sie schon, denn ein kurzer Blick zeigte ihr, sie hatte sich in dieser Minute einen unerbittlichen Feind geschaffen. Mit zusammengebissenen Zähnen trat er zurück und griff nach seinem Hut. In der Tür erschien eben die Mutter.
„Aber ich bitt’, Herr Lehrer Matausch, wollen Sie schon fort? Ich habe doch eben einen guten starken Kaffee gekocht.“
Alois Matausch verneigte sich städtisch, weltmännisch. „Verehrte Frau Woschilda“, entgegnete er mit Würde, „meines Bleibens kann leider nicht länger sein, Steffi hat mir soeben unverhüllt gezeigt, ich sei ihr widerwärtig, und ich möchte um nichts in der Welt für aufdringlich gelten.“
Jetzt kam Leben in Frau Julie Woschilda. „Steffi ist ein törichtes, albernes Geschöpf, in ihrem Kopfe treiben allerlei Romane ihr Wesen, sie weiß nichts von der Wirklichkeit. Bleiben Sie, Herr Lehrer, bleiben Sie, und ich verspreche Ihnen, daß sie Ihre Frau wird, daß sie dankbar Ihre Frau wird.“
„Über mein Leben muß ich selbst bestimmen, Mutter“, sprach Steffi erregt, und ihr weißes Gesicht stand jäh in rosiger Glut.
„Alois Matausch dankt für erzwungene Gaben“, sagte der junge Lehrer zurückweisend. „Grüß Gott, Frau Woschilda.“ An der Tür blieb er flüchtig stehen, und mit triumphierendem Unterton in der Stimme rief er: „Am nächsten Ersten will ich ins Lehrerhaus einziehen, deshalb muß ich Sie bitten, bis dahin zu räumen, Frau Woschilda.“
Keine Antwort abwartend war er verschwunden.
Mit gerungenen Händen stürzte die grauhaarige Frau auf Steffi zu, und eine Flut von Vorwürfen ergoß sich über das lichtblonde Mädchenhaupt. Steffi aber stand stolz und aufrecht, es war, als glitten alle die Vorwürfe ungehört an ihr vorbei, erst als die Frau erstickt und heiser schwieg, sprach sie leise: „Ich habe den kleinen, aufgeblasenen Matausch-Alois nie leiden mögen, seine Lehrerwürde kann meine Meinung nicht beinflussen.“
„Was um des Himmels willen soll denn aus dir werden, hier im Dorf ist doch niemand, der zu dir paßt, die Handwerker wagen sich ja nicht an dich heran.“
Steffi lächelte: „Vielleicht springt für mich einmal die kleine Pforte auf, die von hier aus in die Welt führt, und draußen steht wartend ein Prinz am Wege und geleitet mich auf sein Märchenschloß.“
„Es ist zum Verzweifeln mit dir, mir steht der Sinn jetzt wirklich nicht nach schlechten Witzen“, nörgelte die Frau. Und dann sank sie in den alten braunen Lehnstuhl nieder, in dem vorhin der kleine Lehrer gesessen, und beide Hände vor das Gesicht schlagend, begann sie leise zu weinen.
Mit zwei Schritten stand Steffi neben ihr. „Mutter, liebs, liebs Mutterl, bitt’ schön, nicht weinen. Es ist doch gar kein Grund dazu. Wir werden ja nicht verhungern, auch wenn ich den Matausch-Alois nicht heirat’ und wir hier aus unserem lieben alten Hause müssen. Wir wollen in die Stadt ziehen, Mutterl, nach Tetschen, Bodenbach, vielleicht auch weiter nach Prag oder Wien. Nur von hier fort wollen wir. Ich bat dich ja schon so oft darum. In den Städten gibt es mehr Gelegenheit für mich, Geld zu verdienen, hier kann ich mich doch nicht betätigen.“ Sie strich sanft über das straff zurückgekämmte Haar der immer noch Weinenden. „Sieh, Mutterl, in der Stadt vermag ich mein Können zu verwerten, ich kann doch Klavierund Harfenunterricht geben. Schade nur, daß der Vater dicht vor seinem Tode, weil du es durchaus wolltest, seine schöne Konzertharfe nach Wien verkaufte. Ich habe so gerne drauf gespielt“, setzte sie mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu.
„Was braucht ein Dorfschullehrer, der bloß zu seinem eigenen Vergnügen ein bißchen Musik treibt, eine teure Konzertharfe, ich war froh, als er sie auf mein Drängen endlich hergab“, antwortete Frau Woschilda barsch.
„Ach, es klang doch alles so ganz anders darauf als auf der einfacheren kleineren Harfe, die Vater behalten“, wagte Steffi zu sagen, um dann fortzufahren: „Denk darüber nach, Mutter, ob es nicht gut für uns wäre, hier fortzugehen. Ich werde schon Schüler bekommen.“
Die noch immer erregte Frau sprang auf und fuhr sich mit dem Schürzenzipfel hastig über die Augen. „Das ist Unsinn!“ Sie stieß einen verächtlichen Ton aus. „Und auf diesen Unsinn hin sollen wir zwei in die weite Welt rennen wie zwei Abenteuerinnen? Nein, und hundertmal nein, schlag dir den Gedanken aus dem Kopf. Beim Fabrikanten Oswaldic droben wird ein Mädchen zur Beaufsichtigung und für den ersten Unterricht der Kinder gesucht. Da melde dich, dann bist du vorläufig geborgen, ich muß zusehen, wo ich unterkrieche.“ Sie schluchzte wieder. „Wenn ich denke, daß wir, wenn du nur gewollt hättest, hier ruhig und sorglos wohnen bleiben konnten, dann tut mir das Herz weh.“
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