Heute geht’s einfacher per Avion. Ohne mich. Ich erobere mir die Breiten- und Längengrade noch immer lieber im Seefahrtstempo, wie Sie, Mister Bit. Veraltet sein und Unvernunft ist nicht immer dasselbe. Man muß es sich nur erlauben können.
Traf ich auf Hawaii oberhalb der Region, wo einem Hula-Hula-Kränze um den Hals gehängt werden, einen, der als Stift bei hiesiger Maklerfirma mir nicht sonderlich aufgefallen war. Hallo! sagte er und blickte auf von seiner Ananasplantage.
Hallo! sagte auch ich: Und was machen Sie denn hier?
Er erwiderte sachlich: Ich lege den Grundstock für ein Häuschen an der Elbchaussee. Und Sie?
Ich? So ähnlich.
Tatsächlich war ich damals drauf und dran, in Honolulu eine Art Rummelplatz aufzubauen, nachdem ich außer Restbeständen aus eigner Werkstatt über eine Menge solider Karussellfiguren aus dem Konkurs der Junopark AG verfügte. Mir schwebte eine Alterszuflucht in Blankenese vor. Ich habe sie erreicht. Auch ohne die Südsee mit meinem Ringelspiel zu beglücken.
Lassen Sie mich zurückrutschen ins Jahr 1893. Wir hatten die fürchterliche Cholerakatastrophe hinter uns. Der Ostwind hatte sie begünstigt, der Westwind schließlich zum Teufel geblasen. Das brauche ich Ihnen nicht zu schildern, Mister Bit, dergleichen hat Ihr Robinson-Defoe aus Londoner Erfahrung schon schaurig deutlich berichtet. Aber seitdem wurde in Hamburg das Trinkwasser besser. Und es war ein Landsmann von Ihnen, der uns dazu verhalf. Er lebe!
Also gegen Jahresende kam Professor Lichtwark zu meinem Vater. Alfred Lichtwark, Direktor unserer Kunsthalle, einer der wenigen Weltleute von kulturellem Rang, die Hamburg hervorgebracht. Wer hat sonst auch viel Zeit dafür. Also dieser elegante Herr stand plötzlich wie ein auftraggebender Reeder in unserer Werkstatt, füllig und selbstbewußt.
Ich war erst fünf, aber ich habe die Erscheinung ziemlich klar im Gedächtnis. Seinen Zylinderhut hatte er der »Galatea« aufgesetzt, sah dann meinen betroffenen Blick, nahm ihn herunter und stülpte ihn mir sachte über den struppigen Schädel. Er sackte mir auf Ohren und Nase. Denn mit dem strammen Bauernschädel des Müllersohnes aus den Vierlanden konnte ich mich noch nicht messen. Des weiteren stak der Besucher in einem schwarzen Mantel, darunter sah man eine gestreifte Hose und militärische Offiziersstiefeletten. Es ging auch ein guter Duft von ihm aus, ich nehme an, es war seiner anglophilen Neigung gemäß ein Lavendel von Dobb’s. Sein steifer weißer Kragen hatte die Oberkante dreieckig heruntergebogen. Darunter war ein breites schwarzes Plastron, leicht geblümt, und es stak eine große Perle darin. Ein Gentleman fürwahr. Aber das hab’ ich erst später summieren können.
Damals fiel mir besonders das Spiel seiner Glacéhandschuhe auf. Er begleitete hin und wieder ein Wort damit, unterstrich, strich aus, kreiste ein. Er gab der Galione Galatea einen zärtlichen Klaps auf den wohlgerundeten Arm und strich dann über die holzgewellte Mähne eines Karussellpferdes.
Hier wurden vormals doch nur Galionsfiguren geschnitzt, Meister! sagte er und blickte meinen Vater aus etwas verkniffenen, stets visierenden blaß blitzenden Augen an, als sei der selber ein altes Holzbild. Und in der Tat, mein Vater hatte den Ausdruck eines verwetterten ducknackig vorweg spähenden Meergottes, schwerfällig in Bewegung und Sprache, aber immer zielsicher und von feinster Fähigkeit der Hand. Er, und das fiel mir damals schon auf, trug seinen Schnurrbart dem des Galerieprofessors ähnlich, nur ergraut, an den Ecken gestutzt, sogenannt fußfrei, und nicht wie der des Staatsoberhauptes mit aufgerichteten Bajonettspitzen, sondern mehr auf englische und amerikanische Manier, und erst später den patriarchalischen Vollbart.
Mein Vater fragte so bedächtig, wie es bei erwartbarer Bestellung geraten ist: Wollen der Herr erst bauen oder haben schon?
Aber Lichtwark fragte weiter: Seit wann arbeiten Sie denn für den Jahrmarkt, Meister?
Seit Eisen Holz verdrängt, da braucht die Schiffahrt kein Schnitzwerk mehr, murrte mein Vater: Da muß man sich anderweitig umsehn. Und der Herr wollen trotzdem?
Der Herr, von dem wir, mein Herr und ich, damals keine nähere Ahnung hatten, fuhr in seiner geschmeidigen, doch wie eben aus Urgrund geborenen Sprechweise fort: Bester Meister, in der Kunst kommt keine Auferstehung zu spät. Unser Kaiser hat seine Luxusjacht soweit fertig, die »Hohenzollern«. Was fehlt, ist doch wohl eine zünftige Galione. Reeder Ballin möchte ihm eine stiften, ich soll es fachlich vermitteln, und wer könnte uns da das Rechte fertigen wenn nicht, Meister, Sie, der Letzte aus der ehrwürdigen Dynastie der Abdenas und Toppendralls.
Dabei denn streifte aber sein Handschuh und Blick mich, der ich gespannt mich nicht zu rühren wagte. Und ich hörte, wie ich als womöglicher Erbe eines aussterbenden Gewerbes weniger bedauert als angespornt wurde. Und ich reckte mich, nahm den großen Hut ab, wies auf die vorgebeugt hingelehnte und abgestützte Nymphe und äußerte kühn: Bei der hab’ ich schon mitgeholfen. Sie heißt Galatea, ihr Vater war ein Seekönig, und sie hatte neunundvierzig Schwestern. Und ist nicht abgeholt worden. Die können Sie kriegen.
Mein Vater gebot mir zu schweigen. Indes der Fremde mir übers Haar strich und lächelnd meine Kenntnis lobte und meine handwerkliche Neigung. Jedoch die schöne Galatea sei nicht das, was ihm vorschwebe oder vielmehr der Hohenzollern voranschweben solle. Er denke allerdings auch an eine weibliche Figur, diese hier sei nun freilich zu nackt für die strengen Auffassungen des Monarchen und vor allem seiner Gattin. Darum denke er mehr an ein Porträt Ihrer Majestät höchstselber in gewachsenster Volkskunst und also Volkstümlichkeit. Mein Vater kratzte sich hörbar den sturen Schnurrbart, nickte verhalten und erwog: Machen könnten wir das. Und man sollte preußisch Holz dafür nehmen, das hält aber den Wogenprall nicht lange aus, es müßte schon Pitchpine sein oder Teak, polnische Föhre geht auch, da haben wir unser Rathaus mit unterpfählt wie manches hier, damit wir nicht im Schlick versacken.
Nein, nein, es wird das Heimische zu bevorzugen sein! versetzte Lichtwark: Ulme, Rüster, Ahorn, Linde, Eiche. Eiche natürlich, deutsche Eiche, die zugleich der britische Baum ist, das wird den Beifall des Hofes und dessen prüder Verwandtschaft finden. Aber halt! Die Hapag baut sowieso eine »Auguste Viktoria«. Was machen wir denn da? Eine strotzende Germania an sich? Da könnten wir schließlich sogar diese »Galatea« ...
Ich schlage vor, sagte da mein Vater, wir nehmen Frau Petersen. Wenn Herr Petersen, unser guter Bürgermeister, so scheußlich von einem Berliner gemalt worden ist, dann ist das vielleicht ein Ausgleich.
Ob das nun ernst gemeint war oder nicht, unser eleganter Besuch verfinsterte sich und verabschiedete sich gewinnend, aber kurz. Keine Rede mehr von Auftrag. Zu spät erfuhren wir, daß er es gewesen war, Max Liebermann mit dem lebensgroßen Ölbildnis unseres regierenden Stadtstaatlenkers zu beauftragen und das nun niemand leiden mochte. Es sollte erst viel später zu Ehren gelangen, als man sich selbst in der Hansestadt an die ungewohnt unglatte Art solcher Moderne, genannt Impressionismus, gewöhnt und vor allem davon gehört hatte, welch Geschäft solches sehr bald dem Kunsthandel und dem Liebhaber und Sammler bedeutete.
Der Maler hat’s gemalt,
ein Liebhaber hat’s bezahlt,
er zahlte nicht viel,
weil’s eben nur ihm gefiel.
Als aber der Kunsthandel das Bild entdeckt,
da hat es goldene Eier geheckt.
Ich glaube, die »Hohenzollern« hat sich dann mit einem Reichsadler begnügt, natürlich in Bronze vergoldet. Aus Untertanenschweißgold, nannte es der kleine Maler Fred von Hörschelmann, der aus dem Baltikum stammte und in Bayern lebte und eine spöttische Zunge hatte. Er lachte über die entgangene Wotansgöttin so, wie er später im Old Commercial Room, der Kapitänstaverne an der Hafenrampe, lachte, als er das Horst-Wessel-Lied mit dem, wie er behauptete, eigentlichen, einem alten Räubertext, lauthals sang, obwohl er Gast war des hansischen Landesgerichtspräsidenten R. Johannes Meyer. Dieser war ein Kunstfreund und war kein Freund eines alten oder neuen Potsdamer Geistes. Und ich war dabei, denn der Gnom Hörschelmann sammelte Zirkusplakate, wie sie so plankengroß anscheinend nur in Hamburg hergestellt wurden, mit Indianerschlachten darauf und Bajaderenorgien, die alles in den Vorstellungen Gebotene weit übertrafen. Ich hatte solche Riesenaffichen auch mal gesammelt und gab sie dann gern dem eifrigen Liebhaber, der unter der Rolle von dannen wippte wie ein Eichhörnchen mit dem Ofenrohr.
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