Und ich sehe, Mister Bit, Sie halten es ebenso. Nein? Sie lieben gewisse Zeremonien aus dekorativem Genuß? Bei Trauungen und bei Bestattungen? Gewiß, auch das.
Als Emil Jannings, der saftige Mime, trotz aller Beschwichtigungen seiner Ärzte und seiner lieben Auguste merkte, daß die Stunde des endgültigen Abtretens nicht fern sei, überlegte er, welch magere Vorstellung er als Protestant am Wolfgangsee mit seiner Beerdigung bieten würde, und wurde darum noch schnell katholisch. Und es wurde ein rechtes Gepränge. Sogar der Bischof oder gar Erzbischof aus Salzburg war dabei.
Zum Wohl denn, Mister Bit! Er lebe! Denn er war wirklich ein großer Schauspieler. Ich kannte ihn nicht nur aus seinen Filmen, wo er mir am besten gefallen hatte in The Way of all Flesh, obschon das noch ein Stummfilm war. Und er spielte da in den USA einen deutschblütigen Kassierer und Familienvater, der, unversehens von der Gier nach prächtigem Dasein gepackt, mit einem hohen Betrag von seiner Bank verschwand, aber wie der Mann in Georg Kaisers »Von Morgen bis Mitternacht« und wie in allen ähnlichen tatsächlichen Fällen nicht glücklich wird und im Film schließlich als Landstreicher heimlich ins Fenster des alten Hauses blickt, seine verlassene Familie getröstet und fröhlich unterm Weihnachtsbaum sieht und daraufhin still im Schneetreiben davongeht.
Ich hab’s Jannings hoch angerechnet, den Schluß so entgegen dem von der Hollywood-Produktion gewünschten Happy-End durchgesetzt zu haben. Er erzählte mir davon. Und sollte oder wollte nun eine gewisse Rummelplatzgestalt spielen, wohl einen Luftschaukelbesitzer namens Liliom, und gedachte bei mir Näheres über solchen Typ zu erfahren und die entsprechende Atmosphäre, die meinem Landsmann Hans Albers allerdings eher lag.
Das war, als ich schon mein Karussell auf dem Spielbudenplatz hatte, da kam Jannings vorbei mit seiner zierlichen hübschen blonden Gussy – ich nehme an, sie war geborene Bremerin, indes er bald aus der Schweiz, bald aus Schlesien und bald aus Hoboken zu stammen vorgab, je wie es die geschäftliche Sachlage oder Laune ergab. Denn bei einem Schauspieler von Rang wird das Wandelbare zur Natur, und was er jeweils darstellt ist tatsächlicher als die karge Wirklichkeit.
Mit den beiden damals war auch die noch kleine Tochter Ruth, die ihm sehr ähnlich sah, obschon sie, wie ich hörte, aus anderer Ehe der Mutter herrührte und einen echten Fürsten zum Vater hatte. Die drei setzten sich munter auf meine Karussellviecher, er auf den grauen rotbesattelten Elefanten, seiner Statur gemäß, seine Gattin auf meinen gelben Löwen mit der blauen Schabracke, und saß da im Damensitz wie auf einem Zelter, indes Ruth mein liebstes Pferd wie ein Junge bestieg. Und sie fuhren ein paar Runden zu der Platte, die ich gerade aufgelegt und die ihnen sichtlich behagte.
Und zu Hamburg, da stehn
schon die Mädchen an der Pier,
und was bringst du mit nach Haus,
und was schenkst du mir?
Eine Perle aus Samoa,
eine Muschel aus Balboa,
Gruß und Kuß von allerwärts
und dazu mein Herz.
Und dann sollte ich St. Pauli zeigen, ohne die kleine Ruth natürlich. Denn St. Pauli Reeperbahn, das hatten sie selbst in San Francisco aufgetischt bekommen, das überträfe alle ähnliche Gelegenheit sonstiger Hafenstädte. Sie meinten vor allem Striptease und dergleichen, aber ich zeigte ihnen anderes, das mir besonderer zu sein schien, also Papa Haases Museum für Kolonie und Heimat, wie jener ulkige seemannsbärtige Aufschneider seinen Trödelladen in der Erichstraße benamste. Und auch Woinkes Museum und Schauerkabinett tief im Keller Ecke Kleine Freiheit und die beiden Tätowierer Finke und Wahrlich und was sonst zwischen Panoptikum und Hippodrom sehenswert war und auch die Damenboxkämpfe. Mal durch die Marien- und Petersstraße zu schlendern, verzichteten sie. Die Huren dort hätten wohl auch einigen Tamtam gemacht wegen solcher nicht unauffälligen Zaungäste. Und auch in die Grabgewölbe unter der schönen Barockkirche Große Freiheit, die so weise erhaben sich und unbeachtet in das Gewursel der irdischen Lichtreklamen und Bumsorchester fügt, wollten sie auch nicht, obschon man da den Sargdeckel von der eingetrockneten Hülle eines weiland k.u.k. Gesandten und auch des einstigen Oberpostdirektors zu Thurn und Taxis, Grafen von Kurzrock, zu heben vermochte, und es gab da dreihundert Särge mehr.
Indes hatte Gussy, geborene Holl, schon genug von den gelblichen Kinderleichen bei Woinke, und somit gingen wir ins Alkazar, wo sich das Tanzparkett gerade in eine Eisfläche verwandelte und ein Schlittschuhballett auftrat, das war angenehmer.
Sie erwähnen die Finkenbude, Mister Bit. Aber dahin hätten wir ohne kriminalbeamtlichen Schutz die Füße kaum lenken dürfen.
Ich hatte diese wenig romantische Umwelt mit der vorsorglich zwei Meter breiten Theke und dem griffbereiten Gummiknüppel des Wirtes und wo man billig übernachten konnte (mit einem tiefgespannten Schiffstau als Kopfkissen oder vielmehr Nackenstütze, was beim Wecken einfach gelockert wurde) nicht in bester Erinnerung. Nicht daß ich belästigt wurde, als ich wegen einer vom Werftgelände verschwundenen Galione dort vorsprach. Von den unterschiedlichsten Anwesenden dort wurde mir mit ehrbarstem Grinsen ein solches Bündel von Fingerzeigen unterbreitet – und manche Gesichter hätten in jedes Pastorat gepaßt –, daß ich wohl einsehen mußte, durch den Kakao gezogen zu sein. Ich zahlte dann in gemessener Dankbarkeit eine große Runde kleiner Gläser, an der ich mich beteiligte, und achtete auf mein Portemonnaie, mußte aber, wieder an der frischen Luft, feststellen, daß es dennoch nicht mehr in meiner Hosentasche stak.
Ich zog dann vor, keinen Lärm zu schlagen, ging auch wegen der gemopsten Figur nicht auf die Davidswache und entdeckte dann immerhin anderntags unser schon abgebuchtes Bildwerk unbeschädigt auf der Werft, und die Arbeiter waren schon dabei, es vor den Bug der Brigantine Tondelaia zu hissen. Und es stellte eine Südsee-Insulanerin vor, die wir noch von meines Vaters Hand auf Lager gehabt. Und war eine der letzten Bestellungen dieser Art, die uns erreichten.
Wir hatten uns schon auf Belieferung von Jahrmärkten, sei es Karussell, sei es Orgeldekor, umgestellt. Ohne die väterliche Hilfe kam ich damals noch sowieso nicht gebührend mit der menschlichen Figur zurecht, zumal die gehörige Lieblichkeit der Nymphengesichter wollte mir nicht gelingen. So verlegte ich mich erstmals mehr aufs Tierreich, und die Kirmesbelieferung machte mir Spaß, und wir konnten manchmal drei Gesellen mitbeschäftigen.
Besonders die Löwen gerieten mir furchterregend, waren sie doch auch früher an Schiffssteven beliebt gewesen, und schon als ich eben zwölf war, hatte ich mein erstes Leuenhaupt nach Vorlage sauber gefertigt. Ich hab’ wohl an die vier Dutzend auf Meerfahrt geschickt. Sollten von diesen fletschenden Mähnenträgern noch heute welche im Antikenhandel auftauchen, so tut der erwerbende Liebhaber gut daran, mit schmeckender Zunge den Salzgehalt zu erkunden, damit die ozeanische Getränktheit nicht nur in der Phantasie des Sammlers... aber nein, er unterlasse die mißtrauische Probe und bleibe lieber unenttäuscht, falls es sich zufällig doch um den abgesägten Kopf eines Karussellöwen handeln sollte.
Was heißt denn echt,
was heißt denn schlecht?
Wenn man’s nur lieb hat,
ist es recht.
Besagtes Unternehmen blühte eine Weile ganz erträglich. Und das trotz der niederländischen Konkurrenz, wo ähnliche Zimmereien wie meine von der Seebelieferung aufs Trockene geraten waren. Namentlich die Drehorgeln der dortigen Hafenstädte übertrafen einander an Ausschmückung, und auch mich erreichten solche Aufträge, und wir lieferten manchen Satz bemalter Najaden und Odalisken kleineren Formats, an das ich mich eher getraute und wobei ich schließlich auch an Fertigkeit gewann, hatte zudem meine Lust, etwas Beweglichkeit in die Püppchen zu bringen, so daß solch starre Schöne einen nackten Arm zu schwingen wußte und der zierliche Klöppel in ihrer Hand im Takte, gekoppelt mit der metallischen Lochscheibe der Musik, zur Unterstreichung besonderer Stellen gegen einen Triangel, ein Tamburin oder ein Glöckchen schlug. Das geschah oft zittrig genug im Geschepper der Mechanik und sah wenig vollkommen aus, mich aber rührte es, als stiege da eine bängliche Lebendigkeit aus meinem Schnitzwerk. Von dort zur Marionette wäre nur ein Sprung gewesen. Doch bald scheute ich mich, den Puppen ihr feierliches Insichberuhen zu stören und ihnen eine Nachäffung der menschlichen Tragikomödie aufzuzwingen.
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