Von Boston, antwortete der ebenso verhalten.
Und der Preis? flüsterte Kent.
Es war ein Vielfaches dessen, was der Schiffshändler gefordert, unerschwinglicher denn je für ihn, der sie gefunden, aufgefrischt und eine Weile besessen hatte.
Wenn wir nach den alten Tagen fragen,
wollen wir Verlornes nicht beklagen.
Bleibt es doch, wie’s war, in uns bestehn,
braucht nicht morsch und abgewrackt vergehn.
Je seltener, desto wertvoller, so heutzutage die Galionsfiguren, die da in ihren musealen Versorgungsstätten gelandet sind zu Greenwich, Karlskrona, Amsterdam, Helsingör, Paris, Annapolis, Berlin, zu Lübeck, Stralsund, Flensburg, Husum, Eiderstedt, Insel Föhr, Insel Juist, Vegesack, Bremerhaven, Cuxhaven, Stockholm, Toulon, Boston, Salem, Newport, New Haven, Mystik Seaport und vor allem bei uns zu Hamburg-Altona. Sie sind manchmal höher versichert als vormals das gesamte Schiff.
Wer aber will auch heute leugnen, daß, was wir schon immer gewußt, es sich um unwägbare Köstlichkeiten handelt? Diese durchgesalzenen Allegorien, alle diese Götter und Göttinnen, Könige, Königinnen, Helden, Najaden, Poeten, Staatsmänner, Kapitänsgattinnen, Marien, Erzväter, Muschelhornbläser, Blumenmädchen, Exoten, Einhörner, Drachen, Greifen, Löwen und Delphine? Die gesamte Kreatur, Mythologie und Gesellschaftsliste ward beliehen, Sage, Legende, Geschichte und lokalste Gewärtigkeit. Sogar ein Pierrot war dabei. Aber den Teufel malten sich selbst die Freibeuter nicht an die Schiffswand. Auch sie trauten mehr den rechtschaffenen Genien. Sogar die gekrönte Aufgeschwemmtheit der Potentatenbüste am Bug vor Nelsons »Victory« war ehrfurchtheischend gemeint samt den Huldinnen, Kolonialsklaven und Amoretten drum herum. Wie dieses Spektakulum Trafalgar hat überstehen können, ist schleierhaft. Die Tatsache scheint hundertundneun Jahre danach einen Draufgänger wie den alten Lanzenreiter und Reporter Churchill allzusehr überzeugt zu haben, auch er werde, mit Zeige- und Mittelfinger im Zeichen V gleich »Victory«, den Sieg beschwören und, mehr als das, dem Empire die Weltgeltung erhalten und mehren.
Wann wird das Schicksal geruhn,
uns wieder so günstig zu sein
wie damals: Ein Meter Kattun
gegen ein Meter Elfenbein?
Noch auf der gloriosen Empire Exhibition zu Wembley konnte man glauben, er habe recht behalten. Und wenn auch weitere drei Jahrzehnte nach 1914 das V der V-Waffen sein V nicht auslöschen konnte, so bedeutete es hier wie dort keineswegs Sieg, sondern nur noch Verderben, Vernichtung und Verlust.
Wohl wurde dem Riesendampfer »Imperator« noch eben vorm Ersten Weltkrieg ein mächtiger Adler vor den Bug gesetzt, aus Bronze, versteht sich. Die See zerschlug ihm auf der Jungfernfahrt einen Flügel. Der Kaiser grollte. Mußte ein Hamburger Schiff des Reiches Sinnbild so schnöde verletzen? Sein als freundschaftlich bezeichnetes Verhältnis zum Reeder Albert Ballin soll seitdem getrübt gewesen sein. Man hielt in der Hapag für geraten, das ahnungsvolle Galionsgeschöpf zu entfernen.
Anno 39 sah ich in Kiel das Artillerieschiff Aviso »Grille« mit einer Expression des Namens in Gold als Galione. Und immerhin haben die Segelschulschiffe als letzte Windjammer noch durchweg ihre Amulettfigur vorgeschnallt. Aber metallische Galionen? Wahrscheinlich sind sie stofflich zu gewichtig und mystisch zu unergiebig. Magnetismus ist eine allzu einsehbare Magie. Sowieso müßte bei modernen Überseern die Galione ein gigantisches Gebilde sein, um zu wirken. Holz würde nicht reichen.
Aber Holz muß es sein, Holz ist in sich nicht tot wie Metall, es lebt, bis zum letzten Wurm, es lebt wie das hölzerne Schiff lebte. Und die Baumgeister darin, ich weiß nicht, Mister Bit, wieweit Sie abergläubisch sind und ob Sie mitunter an Holz klopfen – es braucht nicht die Stirn und Hirnholz zu sein – und ob Sie wissen, damit die Dryaden und Elfen zu Hilfe zu rufen, die auch im gehauenen Holz unsterblich sind.
Mit Eisen geht das nicht. Birgt nicht alles, was mit Holz zu tun hat, einen Hang zur Zärtlichkeit? Und sei es unter rauher Rinde. Noch die ungeschlachteste Galione in Holz besitzt die anmutige Sicherheit, die jeder Baum aufweist und die auch dem Zimmermann eignet, der in schwindelnder Höhe sich über ein Balkengerüst bewegt, wie eben auch dem Seemann, der noch ganz anders in den stürmischen Wipfeln der Masten zu balancieren hat.
Gegossene Galionen? Hephästos war nie ein Gott der See, es sei denn, er wurde es bei Gründung der Stettiner Werft. Gewiß, seine vulkanische Gattin war Aphrodite, die Schaumgeborene. So entstand aus Feuer und Wasser das Zeitalter der Dampfschiffe. Und so vermochte man der Natur unnatürlich entgegenzutreten. Man überwand Wind und Wetter mit geringerer Anstrengung. Man bedurfte der übersinnlichen Hilfe nicht mehr so sehr.
Die karg sich äußernde Gefühlsbindung des Seemannes – so tatsächlich drückte sich ein Hamburger Senator aus – besaß in der Galione sozusagen einen Knotenpunkt, eine geradezu kultische Verstrickung, so wenig je darüber gesprochen wurde. In jener hölzernen Armadaschar ballte sich alles, was im Seemannsgarn spinnt und in den Shanties sich tarnt und was noch in kitschigsten Ahoi-Schlagern knistert: Der Abglanz der ewig fliehenden Kimm, die Gottverlassenheit in gnadenloser Beengung, die Unausweichlichkeit inmitten elementarer Gewalten und das scheue Vertrauen in die Barmherzigkeit unerforschlicher Mächte und selbstverständlich auch Abenteuerlust, das übliche Ungenügen, pralle Sehnsucht, brennende Erotik, gedämpft durch Mühsal und Entbehrung, Fernweh, Wagemut, Verbissenheit, Brutalität, Angst, Überdruß, Trotz, Heimweh und würgende Ergebung ins Schicksal.
Man blickt aufmerksam in die seegebeizten Puppengesichter! Das ozeanische Konzert ist in sie eingespielt, die Harfe der Riggen, die Orgel der Böen, die Donner der Brecher, die ganze unerbittliche Partitur der Weltmeere mitsamt dem heiseren Schrei der Möwen, dem Abschlag der Glasen, dem Gebelfer der Nebelsignale, dem Geknatter der Segel, dem Ächzen der Blöcke, dem Singsang vom Atoll, den Gangspillshanties, dem prickelnden Wimmern des Matrosenklaviers, dem Knall der Notraketen, dem Gebrüll der Schlachten und der Sphärenmusik der Sterne.
Uns Galjon! hatte Willy gesagt. Nicht nur des Kapitäns ungeküßte Braut zur Linken oder sein Blutsbruder, sondern Liebchen, Genius und für jeden an Bord bis zum Moses, der französisch viel netter mousse heißt, das Schaumflöckchen, das bißchen Nichts, und daher kommt die deutsche Bezeichnung. Eine Galione, die das robuste Teerjackengemüt ansprach, vermochte das Betriebsklima auf und unter Deck, die notgedrungene Kameradschaft selbst bei dürftiger Unterkunft und kläglicher Verpflegung freundlich zu beeinflussen, wachte sie doch unweit des im Vorschiff gelegenen Mannschaftslogis. Es ging eine geheime Verpflichtung von ihr aus, zumal wenn sie sich als Glücksbringer erwies zu raschen Reisen bei zügigem Wetter und wenn sich auch Achterdeck und Kombüse, Schiffsleitung und Koch ihrer gerechten Strahlung einordneten.
Hoch von den Planken dringen
Matrosenfluch und Singen.
Ihr folgt bei Tag und Nacht
der Bau voll Mensch und Fracht.
Wo es am gröbsten hergeht, ist das Sentimentale nicht fern. Besonders schöne Galionen besaßen darum die Walfänger. Dieser barbarischste aller Berufszweige zur See, abgesehen von dem der Sklavenjäger, bedurfte eines sanften Ausgleichs. Oft zierten den Bug Bildnisse der Kommandeursfrauen. Denen ein Miterlebnis der Eismeerstrapazen und das grausige Gemetzel der Wal- und Robbenjagd zuzumuten, war eine hilflose Roheit. Aber man bedurfte ihrer wie der Pflegerinnen im Lazarett.
Der Einwand, männliche Galionen seien nur den Uberquerern des Äquators gestattet gewesen und sei deren Ausweis, ist nicht stichhaltig. Der Dampfsegler »Saxonia« der Hapag 1875 wie auch die Laeisz-Segler noch nach 1900 besaßen weibliche Galionen. Sie sind mit ihren Schiffen dahin. Aber der Schutzengel des holländischen Grönlandfahrers »De Flora« von 1753 blieb erhalten, eine nördliche Blumenfee von handfestem Liebreiz, die ein paar Centifolien ans Herz drückt. Es könnte ein Hochzeitskonterfei sein von Marrien Hayen, der zweiten Frau des Föhrer Kommandeurs Nahmen Arfsten. Sie schenkte ihm zehn Kinder. Er verstand sich selber aufs Schnitzen und hat dem flandrischen Meister seiner Galione wohl zur Seite gestanden. Nicht alle Talente sind auf Ruhm erpicht.
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