Der Segler diente später wieder als Schulschiff vor Florida und im Seehafen Mystik, Connecticut. Und dort findet sich auch die Galione eines deutschen Schulschiffes der Neuzeit, der Bark Horst Wessel, ein riesiger Adler in Mahagoni und Kiefer, entstanden auf der Werft von Blohm & Voss in Hamburg 1937, restauriert und vergoldet 1960 als ein Wahrzeichen der nordamerikanischen Küstenwache auf einen hohen Sockel gesetzt, und man hat ihm sogar das Hakenkreuz in seinen Klauen belassen.
Symbol und Banner welken hin.
Trotz aller Müh des Ruhms
bleibt nur der wandelbare Sinn
jeglichen Heiligtums.
Ganz meine Meinung, Mister Bit. Ihr Thornton Wilder hat sich in seinen Dreiminutenspielen, die so schaurig übersetzt sind, auch mal mit einer Galione beschäftigt. Drei auf einem treibenden Seglerwrack halb Verdurstende, darunter die Frau des Kapitäns, die ihren Mann hat verrecken lassen, lösen die Engelsfigur vom Bug und stellen sie so auf, daß sie angebetet werden kann. Sie wird zum neuen Gott des Atlantiks ernannt und Lilli getauft. Tatsächlich naht die Rettung. Aber man schämt sich und bringt die Galione an ihren gehörigen Platz zurück.
Als ein Schweizer Kaufmann seinem jugendlichen Sohne die West- und Ostindia-Hafenbecken Londons zeigte, wurde es ihm etwas peinlich, es war anno 1830, weil das Schiff »Die schöne Katharina« und andere an der Spitze (wie er es nannte) eine große weibliche Figur von Holz trugen mit natürlichen Farben angestrichen, »mit frechem Gesicht und ganz entblößtem vollen Busen, was ich (sagte er), da die Nacktheit des Körpers bei uns nicht üblich ist und für höchst unanständig gehalten wird, mit dem Zart- und Sittlichkeitsgefühl des Engländers eben nicht wohl vereinigen konnte und daher vermute, diese schamlosen Figuren von frechen nackten Weibsbildern seien vielleicht berechnet, den Matrosen, die auf ihren Seereisen oft lange kein weißes weibliches Wesen zu Gesicht bekommen, Stoff zur Unterhaltung und zu ihren Matrosenscherzen zu geben«.
Dieser Herr Dalwig aus St. Gallen wußte nicht, wie verpönt jede unlautere Bemerkung über die Schutzgöttin an Bord war. Und daß die den Meerdämonen preisgegebene Entblößtheit schon seit der Antike zur Beschwichtigung der Stürme diente. Weshalb sich Tine Bockelhanft aus Twielenfleth, als sie in jungen Jahren manche Reise mit ihrem angeheirateten Kapitän gemacht, wenn’s nottat, an den Bug schlich, natürlich nur im Dustern, so erzählte sie, und dann schnell den Mantel mal öffnete und dem Taifun gezeigt, wie hübsch sie gebaut – damals noch – war. Und dann war der Taifun so dankbar oder erschrocken, daß er das fürchterliche Gepuste bald unterließ. Sie hatten nämlich als Galione nur einen dicken muschelblasenden Triton vorn an ihrem Rahsegelschoner. Der nützte in solchem Fall nichts.
Ich denke, Mister Bit, wir sind den Luftströmungen aller Breiten verwandt genug, um das zu verstehen. Zum Wohl denn!
Als ich so um zehn herum war, verkehrten noch eine Menge Rahsegler im Hamburger Hafen, und wir hatten in meines Vaters Werkstatt, die er sich eingerichtet, noch immer Aufträge für Galionsfiguren. Langweilt es Sie? Nein? Es ist eins Ihrer Lieblingsthemen? Dann lassen Sie mich weiter erzählen, begleitet von der Orgelmusik, die Wind und See uns kostenlos spendieren.
Einmal hatten wir eine kräftig gebaute Nixe für die Brigg »Meermaid« gefertigt, auf der Willy Molten als Vollmatrose fuhr. Und als sein Schiff nach Jahresfrist wieder mal Hamburg anlief, besuchte er uns. Und da hörte ich wieder einmal all die fernen Ziele nennen, die er schon kannte, abseitige Orte, die damals noch kein Dampfer des Anlaufens für wert hielt, Namen, klangvoll, fremd, von Seewind und Düften durchfiebert: Baranquilla, Paysandu, Swan River, Samarang, Surabaya, Torterallillo, Yalapa ...
Willy Molten zählte das alles auf wie die Gerichte einer Speisekarte, die man einer Freundin zur Auswahl vorliest ohne Rücksicht auf die Preise. Plötzlich sagte er: Jetzt aber los! Er zog seinen Hosenriemen strammer, schulterte den Seesack, den er im Flur abgesetzt, gab meinem Vater die Hand, lächelte meiner Mutter zu, als sei sie jung wie er, und dann begleitete ich ihn zum Baumwall, wo die Jollenführer ihrer Kunden warteten.
Und Muggi Wimp ging auch mit, weil er grad von mir eine Rechenaufgabe abschreiben wollte.
Wollen die auch mit auf See und so lütt all? griente der Schiffer. Ich sprang ins Boot.
Ja, ich! versetzte ich. Die Kehle war mir eng wie die Welt weit war.
Nur bis ans Fallreep! knurrte Willy.
Der Jollenführer pullte uns, Motor gab’s damals noch nicht, zum Jonashafen. Da lag die Brigg »Meermaid«. Ihr scharfer Steven ragte hinter den Pfahlbündeln hervor, daran sie noch vertäut lag. Ich konnte die hellen Buchstaben auf dem schwarzen Rumpf schon von weitem lesen. Und unter dem schrägen Bugspriet da sah ich sie wieder, die schöne Meerfee, und es war, als wolle sie grad ins Wasser jumpen.
Will die baden? fragte Muggi.
Dösbattel! entgegnete Willy: Das ist doch uns Galjon!
Und ich fügte stolz hinzu: Und mein Vater hat die geschnitzt, und ich hab’ sie angemalt.
Muggi war ahnungslos und von Haus aus völlig unbekannt mit solchem Bildwerk, für das wir Lindenholz genommen hatten, was sich weich und glatt verarbeiten läßt und auch die Farben schön hält, himmelblau mit goldener Krone und um die Mitte einen Kranz grüner Blätter, wo aber keine richtigen Beine anfingen, sondern lange Fischschwänze, und die waren fest an die Stevenwand hingeringelt; damit hielt sich die hübsche Dame. Sie blickte aber gar nicht ins Wasser und dachte an keinen Kopfsprung, obschon die Flut noch auflief und der übliche Hafendreck sich in Grenzen hielt. Sie blickte starr vorweg gen West, wo hinter Blankenese irgendwo die See liegt und die Unsäglichkeit und all das, wovon Willy so geheimnisvoll zu berichten wußte, obschon er tat, als sei das bloß für fünf Pfennig in der Tüte.
Und ihrer Augen Sterne
sind blauer als die Ferne,
und ihre Brüstelein
berauschen wie Branntwein.
Jene schöne Nixe war noch nicht die letzte gewesen, die mein Vater in Auftrag gemacht hatte, und dennoch bald eine der letzten der unzählbaren Heerschar, die in Jahrhunderten den Seglern aller Sorte voraufgeeilt, Sinnbild und Talismann, kristallisiertes »Gode Reis!« und »Kiek mol wedder in!«, zugleich auch Dämonenschreck und Windbeschmeichler, Wetterbeschwörer, Heros und Heilige, Herold und unberührtes Matrosenliebchen und was alles sonst.
Alter Zauber, ich weiß, Mister Bit. Ich sah wie Sie noch die Nachklänge in Londons Südhäfen, wie sie in der leisen Wasserregung vor den Trossen zu atmen schienen, und sah sie noch im alten Hafen zu Kopenhagen von Finnland hereingleiten. Sie haben recht, es war nicht Ihre, es war die weit nüchternere amerikanische Marineleitung, die bald nach der Jahrhundertwende anno 1906 in ihrem Befehlsbereich derlei »Schmuck ohne praktischen Wert« verbot.
Indes, als der geniale Zeichner Rockwell Kent 1914 auf Neufundland wohnte, fischte er eine Galione aus dem Abfallhaufen einer Schiffshandlung. Er wusch ihr den Schmutz herunter, schabte sie sauber und glättete sie mit Sandpapier. Den letzten Hauch ihrer Farbreste beachtend, malte er ihre Haut weiß, ihre Wangen rosa, ihr Haar glänzend schwarz, ihre Ohrringe und ihr Halsband golden. Und gab ihr einen Platz zu Schmuck und Wachsamkeit seines Häuschens am Türpfosten. Als er die Insel verließ, wollte er sie mitnehmen. Der Schiffshändler aber, der kaum wußte, wie und wann sie in seinen Schrott gelangte, verlangte nun, da sie so schön geworden, eine Bezahlung, und die war dem Künstler unerschwinglich.
Zehn Jahre später sah er sie wieder, in New York in einem teuren Antiquitätenladen. Sie war unverändert. Inmitten der hochfeinen Möbel, Uhren und anderer Überreste vermotteter Vornehmheiten blickte sie verloren durchs Ladenfenster, als sei draußen die Stadt und die Welt nichts als ein Stück der weiten See, für die sie geboren war. Er fragte den Verkäufer beinah flüsternd nach ihrer Herkunft.
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