Jede Ökologie ist ein dynamisches System, und die Zukunftsökologie der Öko-Habitate macht es möglich, dass dieses System kein natürliches, statisches Gleichgewicht findet, wie in der Natur bislang üblich, sondern ein dynamisches, hoffnungsvolles, fortschrittliches Gleichgewicht.
Zufriedenheit hängt nicht von äußeren Umständen ab, sondern von einem inneren Zustand.
Mira Alfassa
Kapitel 4
Grundlagen
Das menschliche Leben auf der Erde bewegt sich zur Zeit immer mehr in Richtung Auslaufmodell. Die Menschen kommen nicht miteinander aus und zerstören so ganz nebenbei ihre eigenen Lebensgrundlagen; und kaum einer bemerkt es, und keiner will es gewesen sein. Aber so wie bisher kann es auf der Erde nicht weitergehen. Das sollte mittlerweile eigentlich jedermann bewusst sein, der mit zumindest halb offenen Augen durch das Leben geht. Und trotzdem unternimmt kaum jemand etwas. Es scheint, als ob die Welt von lauter Kaninchen bevölkert ist, die bei dem Anblick ihrer selbstgemachten Schlange in Starre verfallen. Die Öko-Habitate als konkreter erster Lösungsschritt wären rein technisch gesehen bereits heute problemlos machbar. Wir könnten jederzeit anfangen, sie Wirklichkeit werden zu lassen.
Doch wie soll das vor sich gehen? Wie kommt es zur Bildung der ersten Öko-Habitate? Man könnte nun natürlich meinen, es würde reichen, dass ein Staat sich entschließt, ein paar Öko-Habitate zu fördern, ein Architekt entwirft sie, und dann kämen von überall her Menschen, die an diesen coolen, zukunftsträchtigen Orten leben möchten, und nach kurzer Zeit würden diese Habitate zu einem selbstlaufenden Erfolgsmodell, das sich überall auf der Erde verbreitet. – Das kann man zwar machen, aber das wird so nicht funktionieren. Das würde eine Totgeburt werden, wie es schon bei Brasilia der Fall war. Wenn eine Sache nicht in den Herzen der Menschen angekommen ist, dann ist sie nicht richtig lebensfähig. Und für die Öko-Habitate, und ganz besonders für die ersten von ihnen, ist dies eine zwingende Grundvoraussetzung.
Zwar kann der Staat, oder besser die Staatengemeinschaft, schon etwas unternehmen, um den Öko-Habitaten auf den Weg zu helfen. Die Staaten können Grundlagen schaffen (sofern ihnen ihr Paragrafendschungel die nötigen Freiräume lässt und die politischen Recken sich mal zu einer gemeinsamen Anstrengung FÜR etwas durchringen können), rechtliche Rahmenbedingungen etwa, die durch die Einräumung von mehr Freiheiten für die zukünftigen Öko-Habitate ihren Bewohnern den Aufbau der Habitate erleichtern, und auch eine finanzielle Unterstützung wäre hilfreich – ohne Bedingungen. Doch mehr wäre kontraproduktiv, denn ein Öko-Habitat ist ein lebendiger Organismus, der wachsen muss. Man kann ihn nicht wie Frankenstein künstlich erschaffen oder wie eine Kulturrevolution anordnen. Es bringt nichts, in einem technokratischen Lösungsansatz ein Gemeinwesen aus Menschen zusammenzusetzen, die nichts anderes verbindet als der Wunsch, dem allgemeinen Wahnsinn in ein angenehmes Leben zu entkommen. Noch ehe die ersten Habitate fertiggestellt wären, würden sie wie viele künstliche Trabantenstädte zu Problemfällen werden.
Der Aufbau, das Wachsen und das Erblühen von Öko-Habitaten ist nur im Prinzip eine einfache Sache, dann nämlich, wenn sich alle Beteiligten einig sind und die optimalen Umstände vorliegen. Aber diese Rahmenbedingungen sind bislang nicht in Sicht. Die Genese der Öko-Habitate wird also anfangs von Widerständen begleitet sein. Hinzu kommt, dass man sich dabei auch auf unerforschtes Terrain begibt, denn etwas Vergleichbares ist im Bewusstsein der meisten Menschen bislang noch nicht angekommen – obwohl in Mirapuri, der Stadt des Friedens und des Zukunftsmenschen in Europa, immerhin schon daran gearbeitet wird. Öko-Habitate und die mit ihrer Entstehung einhergehenden Begleitumstände sind noch Terra inkognita.
Darum ist es wichtig, dass die richtigen Menschen zusammenfinden. Die Gründer und künftigen Einwohner der geplanten Öko-Habitate benötigen vor allem eine gehörige Portion Pioniergeist. Das scheint ein einfaches Konzept zu sein, aber Pioniergeist ist mehr als ein romantischer Siedlertreck mit Planwagen, Kühen und Schreinern, wie er in manchen Hollywoodproduktionen zu sehen ist.
Pioniergeist fängt zum Beispiel schon damit an, dass man den Mut hat, in sich Den Traum zu entdecken und sich der Aufgabe zu stellen, die diese Entdeckung in sich birgt. Jeder Mensch trägt Den Traum in sich. Man könnte sagen, Der Traum ist die Wahrheit des eigenen Wesens, und bisweilen unterscheidet sich diese Wahrheit von dem Bild, das man bislang von sich selbst hat. Darum braucht man Mut, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, wenn man sich auf Entdeckungsreise begibt.
Dieser Traum, diese Wahrheit ist mal mehr, mal weniger stark verschüttet. Er ist das Ideal, nach dem zu leben es uns drängt, unser inneres Gesetz. Je mehr man dieses Ideal freilegen kann, desto besser kann man versuchen, es vollständig auszudrücken und umzusetzen. Manchmal blitzt ein kleines, begrenztes Teilstück durch, und so hat etwa Napoleon entsprechend dem damaligen Bewusstsein und Wissensstand versucht, Europa zu vereinigen, indem er es mit Krieg überzogen hat. Andere haben versucht, diese Blitze in Bilder oder Musik umzusetzen, oder glauben, die Welt missionieren zu müssen.
Ein wahrer Pionier muss sich also zuerst einmal auf die Suche nach Dem Traum machen, und wenn er ein Zipfelchen gefunden hat, darf er nicht sagen, er habe die absolute Wahrheit entdeckt, sondern muss noch tiefer graben. Die Suche nach Dem Traum ist eine Lebensaufgabe und erfordert wachsende Aufrichtigkeit. Um Fortschritte zu machen, muss man sich stetig bewegen, immer nach noch mehr streben, denn wer glaubt, am Ziel angekommen zu sein, stagniert im besten Fall. Die Schaffung von Öko-Habitaten erfordert ganzen Einsatz, blühendes Leben, unermüdliche Begeisterung und ausdauernden Fortschritt. Man setzt sich nicht für ein Öko-Habitat ein, um einen Ort des Ausruhens zu schaffen, sondern um progressiv Den Traum zu verwirklichen.
Wenn der wirkliche Pionier einen ersten Zipfel Des Traums gefunden hat und die Öko-Habitate ein Bestandteil dieses Traumes sind, was durchaus nicht bei jedem Menschen der Fall sein muss, dann ist erneut Mut gefragt, denn im heimischen Bett von Heldenmut zu träumen und den ersten mutigen Schritt in eine unbekannte Zukunft zu wagen, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Im normalen Leben kommt man mit Mitläufertum und Verantwortungsdelegation oder -verweigerung ganz gut zurecht, aber als Pionier, als zukünftiger Held sieht man sich wirklichen Herausforderungen gegenüber. Da kann man das sichere Leben, das man bisher geführt hat, vergessen. Beim Aufbau von Öko-Habitaten gibt es keine Checkliste, die man nach und nach abhaken und an deren Ende man sich im Habitat zur Ruhe setzen kann. Man trifft damit eine grundlegende Entscheidung für ein neues Leben, das mit dem bisherigen nicht mehr viel zu tun hat. Wer seinem Traum folgen will, braucht Mut, denn er muss einen Schritt ins Ungewisse wagen, einen Sprung in die Zukunft tun.
Wenn man diesen ersten und entscheidenden Schritt getan hat, dann kommen viele Veränderungen auf einen zu. Man muss immer wieder Entscheidungen treffen, auch unangenehme, und sich manchmal wiederholt mit der Frage auseinandersetzen, ob man mit diesem Schritt das Richtige getan hat. Man muss immer wieder Kräften entgegentreten, die einen ins alte Leben zurückziehen möchten oder die sagen, dass es der halbe Einsatz auch tut.
Wenn man seinen Traum erkannt hat und den Mut hatte, den ersten Schritt zu tun, dann war diese Entscheidung auch von einer Begeisterung für Den Traum und für das Ziel begleitet. Diese Begeisterung muss man in sich immer lebendig erhalten, damit man sich nicht entmutigen lässt, wenn es beim Aufbau der Öko-Habitate nicht nur Fortschritte gibt. Dann hat man die Kraft, immer wieder von vorne anzufangen und suboptimale Entwicklungen weiter zu perfektionieren, denn die Begeisterung gilt dem Ideal in seiner Vollkommenheit, nicht in einer groben Anmutung davon. Man kann sich das wie eine Beziehung zwischen zwei Menschen vorstellen. Nach dem Erkennen der Liebe oder auch gleichzeitig mit der Erkenntnis hat man sich für eine Beziehung entschieden, und wenn man das verbindende Element in ihr nicht immerzu am Leben erhält oder besser immer stärker entfacht, dann wird die Beziehung zur Gewohnheit und Gleichgültigkeit und stirbt unbemerkt. Wenn man sich für die Teilnahme am Aufbau eines Öko-Habitats entschieden hat, dann muss man in seinem Herzen das Feuer der Aspiration und der Hingabe entfachen und es wie eine Fackel vor dem inneren Auge mit sich tragen.
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